Grüner Wechsel in Berlin-Mitte: Stefanie Remlingers Comeback
Die Bildungsstadträtin ist bereit, neue Bezirksbürgermeisterin von Mitte zu werden. Zunächst aber muss Stephan von Dassel abgewählt werden.
Remlinger mag der taz das mit der Genugtuung natürlich nicht bestätigen. Aber zur Bürgermeisterei ist die 51-jährige gebürtige Schwäbin und Noch-Bildungsstadträtin bereit. „Wenn die grüne Basis es möchte, stehe ich zur Verfügung“, sagt sie der taz.
Zuvor aber steht am Donnerstag in einer Sondersitzung des Bezirksparlaments die Abwahl von von Dassel an, der Amt und privates Engagement zu wenig getrennt haben soll. Unterstützung dafür haben in einer ersten Sondersitzung am 25. August alle Fraktionen außer der AfD angekündigt. Die hielt es für sinnvoller, erst den Ausgang eines Disziplinarverfahrens gegen von Dassel abzuwarten, das derzeit in der Senatskanzlei läuft. So vorzugehen wäre auch dem Grünen-Kreisvorstand in Mitte lieber gewesen. Der grenzte sich mit dieser Haltung von der eigenen Fraktion ab: Die hatte ungeachtet eines Verfahrens intern mit knapper Mehrheit beschlossen, von Dassel abzuwählen.
Nicht mehr haltbar
Hintergrund ist: Der Noch-Bürgermeister hatte sich persönlich in einem Bewerbungsverfahren für eine wichtige Leitungsposition engagiert. Weil wegen einer Klage die Besetzung möglicherweise jahrelang blockiert gewesen wäre, versuchte von Dassel, den unterlegenen Bewerber zum Rückzug zu bewegen. Der Vorwurf: Er habe ihm aus seiner eigenen Tasche Geld dafür geboten, rund 16.000 Euro.
Eine solche Quasi-Abfindung aus dem Bezirkshaushalt zu bezahlen hatten Rechtsexperten im Rathaus zuvor als nicht machbar angesehen. Von Dassel bestreitet, eine private Zahlung angeboten zu haben. Eine SMS von ihm lässt sich aber durchaus so verstehen. Er selbst nennt diese Nachricht „in höchstem Maße missverständlich“ und eine „Dummheit“. Ihm sei „nach wie vor nicht klar“, warum er die SMS so formulierte, sagte er in der Sondersitzung. Seine eigene Fraktion und die politische Konkurrenz sehen das Vertrauen in ihn irreparabel gestört.
Die Zeit seiner mutmaßlichen Nachfolgerin Remlinger als Profipolitikerin schien eigentlich Ende April 2021 beendet. Beim damaligen Grünen-Landesparteitag mochte die Parteilinke die profilierteste Schulpolitikerin der Abgeordnetenhausfraktion nicht auf einem vorderen Listenplatz sehen, der sie sicher wieder ins Parlament gebracht hätte. Auf Platz 17 landete Remlinger am Ende. Nur die ersten 13 kamen nach der Abgeordnetenhauswahl im folgenden September rein.
„Ihr Wissen schien für die Berliner Politik verloren“, kommentierte das der Tagesspiegel später – wären da nicht die Grünen im Kreisverband Mitte gewesen. Die hatten nach der Wahl im Bezirk das Bildungsressort zu besetzen und suchten nach einer geeigneten Stadträtin. Remlinger zu holen, die zugleich eine ausgewiesene Haushaltspolitikerin ist, wurde auch von Elternseite in dem Bezirk begrüßt, in dem die landesweite Schulbauoffensive von besonderer Bedeutung ist. Ziemlich schnell ließ sie mit einer ungewöhnlichen Personalie aufhorchen, als sie den SPD-Mann und Ex-Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles als Berater zu sich holte.
Frühere Wegbegleiter im Abgeordnetenhaus bescheinigen ihr fraktionsübergreifend große Kompetenz und Verlässlichkeit. Ihre Arbeit sei „von hoher Fachlichkeit geprägt“, sagt etwa der FDP-Landesparlamentarier und Bildungsexperte Paul Fresdorf der taz. „Sie ist jemand, der auf Ausgleich bedacht ist, und das kann in dem neuen Amt sicher nicht schaden.“ Andere bestätigen das und heben dabei auch ihre Beharrlichlichkeit hervor.
Nur noch zwei Posten
Dass nun die Reala Remlinger auf von Dassel folgen dürfte und niemand von außen an die Spitze des Bezirks rückt, hätte sich die Parteilinke mutmaßlich anders gewünscht. Doch inzwischen haben sich in Mitte die Gewichte im sechsköpfigen Bezirksamt verschoben.
Bisher haben die Grünen gemäß dem Wahlergebnis vom 26. September 2021 drei Sitze, je ein Stadtratsposten entfällt auf die SPD, die Linkspartei und die CDU. Nach dem Wechsel einer Grünen zur Fraktion der Linkspartei hat sich die Grundlage für diese Aufteilung aber verändert. Das nach seinem Erfinder so genannte D'-Hondt-Verfahren weist den Grünen nun nur noch zwei statt drei Plätze im Bezirksamt zu, der SPD hingegen einen mehr.
Die Grünen hinterfragen zwar noch rechtlich, ob ein Fraktionswechsel dafür überhaupt bedeutsam ist und es nicht allein auf das Wahlergebnis vom 26. September 2021 ankommt. Für die Senatsverwaltung für Inneres aber ist die Sache klar: „Entscheidend bei der Besetzung des Bezirksamtes sind die aktuellen Kräfteverhältnisse“, sagte deren Sprecherin Sabine Beikler auf taz-Anfrage. Nach einem Rücktritt oder einer Abwahl von von Dassel haben die Grünen nur noch das Vorschlagsrecht für zwei Bezirksamtsmitglieder, nicht wie bisher für drei.
Für die Besetzung des Bürgermeisterpostens kommen bei den Grünen deshalb nur die beiden derzeitigen Stadträtinnen infrage: Remlinger und die 38-jährige vormalige Verwaltungsrichterin Almut Neumann, zuständig unter anderem für Verkehr und das Ordnungsamt.
Remlinger ist die Favoritin
Remlinger ist dabei als frühere Parteichefin in Pankow, Fraktionsvorsitzende im dortigen Bezirksparlament und mit zehn Jahren im Abgeordnetenhaus, als die politisch weit erfahrenere anzusehen. Bei einer Mitgliederversammlung der Mitte-Grünen, deren 2.100 Mitglieder den größten Kreisverband der Partei in Berlin bilden, hat sie sich vergangene Woche bereits als Nachfolgekandidatin angeboten.
Für ihre Wahl müssen aber die Sozialdemokraten mitziehen, bisher Partner in der Zählgemeinschaft, wie eine Koalition in den Bezirksparlamenten heißt. Darauf läuft es offenbar auch hinaus: „Die SPD Mitte möchte die Zählgemeinschaft grundsätzlich fortsetzen“, sagte Kreischefin Julia Plehnert, am Samstag der taz. Dazu stehe man mit den Grünen in einem guten Austausch. „Die genauen Punkte hierzu müssen dann nach einer möglichen Abwahl gemeinsam vereinbart werden.“
Problematisch für die Grünen ist allerdings die feste Zuordnung von Aufgabenbereichen im Bezirksamt: Als Bürgermeisterin wäre Remlinger nicht länger für die Bildungspolitik zuständig, wofür sie extra geholt wurde, sondern für Finanzen und Personal. Das Bildungsressort ist zu groß, um es zusätzlich weiter betreuen zu können.
Für FDP-Mann Fresdorf ist das nicht irgendein Wechsel: „Das wird ein Verlust für die Bildungspolitik und Berlin sein, wenn Frau Remlinger diesen Bereich verlässt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin