piwik no script img

Grüner Kurswechsel im WahlkampfOperation „All Time Classics“

Steuererhöhungen? Welche Steuererhöhungen? Warum Jürgen Trittin plötzlich wieder Klassiker wie die Energiewende betont.

Ging mit seiner Betonung auf Steuerpolitik etwas baden: Jürgen Trittin. Bild: dpa

BERLIN taz | Jürgen Trittin ist sichtlich in seinem Element an diesem Montag in der Berliner Grünen-Zentrale. Der Spitzenkandidat beansprucht selbstbewusst das Energieministerium für seine Partei. Er schmunzelt eine Journalistenfrage nach der Großen Koalition weg („Das beste Rezept dagegen sind starke Grüne.“). Und stellt im Übrigen das 100-Tage-Programm der Grünen vor. Also das, was sie sofort machen, wenn sie die Wahl gewinnen, oder besser: er. Denn ohne ihn, davon ist der mächtigste Grüne überzeugt, geht da gar nichts.

Am interessantesten ist allerdings das, was Trittin nicht erwähnt. War da nicht was? Redet nicht die halbe Republik über die Steuerpläne von Rot-Grün? Erst auf Nachfrage erklärt Trittin umständlich, dass zum Sofortprogramm selbstverständlich auch Spitzensteuersatz und Vermögensabgabe dazu gehörten. Man finde beides in Punkt 8 des Papiers. Stimmt, da steht es tatsächlich, ganz unten hinter den Spiegelstrichen, fast hätte man es überlesen.

Diese Szene illustriert hübsch einen Kurswechsel: Die Parteispitze um Trittin rückt die Energiewende, ökologische Landwirtschaft oder gute Bildung in den Vordergrund, um von der leidigen Steuerdebatte wegzukommen. Mit urgrünen Klassikern will sie in der heißen Endphase des Wahlkampfs angreifen, ihre Kernwählerschaft mobilisieren und sich, nicht zuletzt, schärfer von der SPD abgrenzen, die ja auch mit gerechteren Steuern und einem Sozialschwerpunkt wirbt.

„Am Ende auf unser Alleinstellungsmerkmal Energiewende zuzuspitzen, ist völlig richtig“, findet Gesine Agena, die im Parteirat sitzt. „Das ändert aber nichts daran, dass wir hinter unseren Steuerplänen stehen.“ Anders gesagt: Es ist die Operation „All Time Classics“.

Abwärtstrend in Umfragen

Nervös beobachten führende Grüne derzeit die Umfragen. Die Prognosen schwanken zwischen 11 und 12 Prozent, sie haben sich in den vergangenen Wochen dem Wahlergebnis von 2009 (10,7 Prozent) von oben gefährlich angenähert. Dieser leichte Abwärtstrend, so die Analyse der Grünen-Spitze, muss unbedingt umgedreht werden.

Trittin weiß, dass es bei all dem auch um sein politisches Überleben nach der Wahl im September geht. Er hat das Finanzkonzept entwickelt, das auf moderate Steuererhöhungen für Gutverdiener setzt, um mehr Investitionen in Infrastruktur zu ermöglichen. Er ist die starke Figur, die den Wahlkampf federführend konzipiert hat. Ein schwaches Ergebnis wäre untrennbar mit ihm verknüpft.

An ihm lag es nicht, dass die Steuern zu einem bestimmenden Thema avancierten. Kurz vor dem Programmparteitag im April meldeten mehrere Realos, angeführt von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Zweifel an den Steuererhöhungen an. Sie warnten ihre Partei in großflächigen Interviews davor, den Bogen zu überspannen. Auf dem Parteitag stellten sie dann aber keinen echten Kurswechsel zur Abstimmung.

Diese Scheinrevolte animierte bürgerliche Leitmedien zu alarmistischen Berichten über den grünen „Raubzug mit Ansage“ (Spiegel). Plötzlich war das Thema gesetzt, die Grünen galten als die Steuererhöhungspartei schlechthin. Es war ein Betriebsunfall in Trittins Masterplan, vielleicht der wichtigste im sonst professionell-geräuschlosen Wahlkampf der Grünen.

Grüne Kommunikationspanne

Spricht man führende Köpfe heute auf diese Kommunikationspanne an, schaut man in verkniffene Gesichter. „Völlig verrückt, das Thema so hochzuziehen“, sagt ein Spitzengrüner im Bund. Der Schwerpunkt hätte auf Inhalten liegen müssen, die mit dem Geld finanziert werden sollen. Ähnlich sieht es NRW-Landeschef Sven Lehmann: „Es war nie das strategische Ziel, die Steuerdebatte in den Vordergrund zu rücken.“ Das Finanzkonzept bilde schließlich nur das Fundament, um mehr soziale Gerechtigkeit zu ermöglichen.

Die Frage ist nur, ob sich diese – für Trittin positive – Sicht nach einer Wahlniederlage durchsetzt. Schließlich könnten die Steuerpläne dazu führen, dass die Grünen in bürgerlichen, gut verdienenden Milieus der Mitte relevant Stimmen verlieren. Nicht ohne Grund erwähnt Grünen-Chef Cem Özdemir, der in Stuttgart um ein Direktmandat kämpft, sie in seinen Werbeflyern mit keinem Wort.

Trittins innerparteiliche Gegner basteln schon an Szenarien, die ihn für schwache 11 Prozent verantwortlich machen würden, weil er ebenjene Milieus verprellte. Den Grünen stünde dann im Herbst ein ideologisch aufgeladener Richtungsstreit bevor. Sind sie eine linke Partei, die Soziales und Umverteilung mitdenkt? Oder eine Scharnierpartei der Mitte, die auf Ökologie und Energiewende setzt? Dieser Kampf, das wird Trittin wissen, wird sich auf eine Person fokussieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • MM
    Markus Meister

    Man hat das bekommen, was man selbst gewollt hat, nämlich Joschka 2.0 inklusive der Prozentwerte von damals bei Umfragen und Wahlen. Ich glaube, es ist ganz sicher die Art des Wahlkampfes die abschreckt. Das ist reine Symbolik und keine Inhalte. Da geht es darum, dass jemand Vizekanzler werden möchte und alles Andere ist dem unterzuordnen und das merken die Menschen. Die so genannten Spitzengrünen sollten aber einfach die Klappe halten, hat ihnen doch der Mut an entscheidender Stelle gefehlt, einfach selbst gegen Trittin um das Spitzenamt im Wahlkampf anzutreten. Auf ein Neues (hoffentlich) für einen Regierungswechsel 2017!

  • J
    Jemand

    Ach, ist jetzt Zeit für Grünenklatsche?

  • FP
    Frau Professor

    Nachtrag: Der FOCUS beschreibt heute anschaulich, wie sich grüne Politik auswirkt http://www.focus.de/finanzen/steuern/thewes/tid-33341/steuerplaene-der-oppositionsparteien-umverteilung-absurd-warum-hoehere-reichen-steuern-die-armen-aermer-machen_aid_1091131.html

    Bald werden auch die Gutwilligsten keine Lust mehr haben, für einen solchen Abzockerstaat zu arbeiten.

  • FP
    Frau Professor

    Die Grünen sind eine überholte Partei. Längst sind grüne Themen auch bei den anderen Parteien en vogue. Die Grünen selbst sind eine Partei saturierter Anhänger, die zumeist im öffentlichen Dienst arbeiten und nicht wissen, wie Wirtschaft wirklich funktioniert.

     

    Die Grünen sind eher Sozialisten, die langsam zu Konservativen mutieren und sich den Sozialismus vom deutschen Arbeitnehmer zahlen lassen.

     

    Es zeigt sich allmählich, dass die grünen Moralapostel keine besseren Menschen sind. Immer mehr Menschen erkennen, dass sich die Grünen ungefragt selbst zu Vormündern erklärt haben.

  • K
    Kimme

    Ich bin sofort bei der Begrenzung der Managergehälter dabei, ähnlich wichtig halte ich die Aufsicht der Banken und Regulierung der Finanzmärkte; aber die Steuererhöhungspläne der Grünen sind tatsächlich der oben beschriebene "Raubzug" durch die Gesellschaft. Mit den Steuerplänen und weiteren geplanten Maßnahmen betätigen die Grünen sich höchstens als Jobvernichter und Schwächer der deutschen Wirtschaft, abgesehen davon dass es ihnen garnicht um soziale Gerechtigkeit geht.

  • Eines sind die Grünen keinesfalls: Eine linke Partei.

  • S
    Sören

    Gezielte Steuererhöhungen in das Programm aufzunehmen war richtig. Nach den Umfragen spielt das Thema "soziale Gerechtigkeit" eine wichtige Rolle für die Menschen. Allerdings war die Kommunikation unglücklich, denn das Wahlprogramm der Grünen ist umfassender und nicht auf dieses Steuer-Thema fokussiert. Es ist sicher auch schade, dass die gleichen Medien, die einen „spannenden“ Wahlkampf fordern, die rot-grüne Alternative schlecht machen, und die Kanzlerin schonen.

     

    Ich sehen keinen Widerspruch darin, dass die Grünen für Umverteilung sind, und gleichzeitig eine Scharnierfunktion zwischen den Lagern einnehmen. Sie sind nicht klassisch „links“, aber auch nicht konservativ. Dieser Umstand ist kein Nachteil in einer Gesellschaft, in der keine großen ideologischen Kämpfe mehr stattfinden. Mit ihren Themen, Nachhaltigkeit (im ökologischen und ökonomischen Sinn), Emanzipation des Einzelnen und soziale Gerechtigkeit, sind sie gut für die Zukunft aufgestellt.