Grüner Bürgermeister geht: König von Kreuzberg dankt ab
Franz Schulz hört auf. Als grüner Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg prägte er das Bezirksimage wie kein anderer.
Ende Juli ist Schluss: Mit seinem 65. Geburtstag gibt Franz Schulz sein Amt als Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg auf. Ursprünglich wollte der Grünen-Politiker sich vom Bezirksparlament die Erlaubnis holen, seinen Renteneintritt noch bis zur nächsten Wahl im Jahr 2016 aufzuschieben. Doch jetzt will er wegen einer Erkrankung aufhören. „Ich hatte einen unplanmäßigen Besuch beim Arzt, der mir riet kürzerzutreten“, sagte Schulz der taz.
Eine Mitgliederversammlung der Grünen im Bezirk soll Mitte Mai über die Nachfolge entscheiden. Dabei läuft alles auf Monika Herrmann hinaus, grüne Stadträtin für Familie, Gesundheit, Kultur und Bildung.
Franz Schulz war von 1996 bis 2000 Bürgermeister des alten Bezirks Kreuzberg, nach der Fusion mit Friedrichshain war er bis zum Jahr 2006 Baustadtrat, seither ist er wieder Bürgermeister. Wenn Bürger zum ersten Mal mit ihm sprachen, konnten sie den Eindruck haben, einen spröden Bürokraten vor sich zu haben, einen Verwaltungsmenschen, der jeden Paragrafen kennt und anderen gern an diesem Wissen teilhaben lässt. „Wer ihn kennenlernt, merkt: Der Mann hat auch Witz und Charme“, sagt Antje Kapek, die heutige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, die vorher in ihrer Zeit als Fraktionsvorsitzende im Bezirksparlament mit Schulz zusammenarbeitete.
Keiner holte bei der letzten Abgeordnetenhauswahl so viele Erststimmen wie er: 49,8 Prozent. Und die holte er in Kreuzberg. Auch sonst hat Dirk Behrendt alles, was es als Bürgermeister im Bezirk bräuchte: Als Richter kann er auch trockene Behördenpolitik, als scharfer Redner scheut er keine Konflikte, als Schwuler steht er für den queer-bunten Bezirk und als stramm Linker zettelt Behrendt auch schon mal in der eigenen Abgeordnetenhausfraktion Revolte an. Ein aufmüpfiger, prinzipienfester Kopf? Klingt nach Schulz.
Chancen: Gut. Aber Behrendt wird wohl eher Ströbele im Bundestag beerben. Irgendwann.
Die Karrierekurve zeigt nach oben: Antje Kapek ist in Kreuzberg geboren, wohnt noch immer da. Ihr Vater ist Berliner Urgrüner, Kapek selbst trat erst 2005 den Grünen bei, wurde sie wenig später schon Fraktionschefin im Bezirk. Seit Oktober ist Kapek, 36 Jahre jung und inzwischen zur gemäßigten Linken erwachsen, nun auch in gleicher Position für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Next step Bürgermeisterin? Da könnte Kapek vor allem Schulzens Kampf um East Side Gallery und freies Spreeufer fortsetzen - ist auch sie leidenschaftliche Streiterin für ein ungehindertes Flanieren am Wasser. Und Runde Tische mag sie auch, ganz wie der Noch-Amtsinhaber.
Chancen: Jung, Frau, Kreuzbergerin - das würde passen. Trotzdem: Kapek dürfte momentan mit ihrem Fraktionsvorsitz im Landesparlament ganz zufrieden sein.
Er brachte sich schon mal als Obama ins Spiel. Und tatsächlich: Wohl niemand könnte besser das Multikulti-Kreuzberg verkörpern als der gebürtige Anatole Özcan Mutlu. Seit 1973 lebt er im Kiez, zog 24-jährig schon ins Bezirksparlament ein, profilierte sich als Schulkämpfer und spielte in der Naunystraße im Theater. Und obwohl Realo, hat Mutlu sogar den nötigen Krawallfaktor: Kassierte er vor Jahren doch eine Geldstrafe, weil er einen Polizisten duzte.
Chancen: Mies. Hatte bei den Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg nie den besten Stand. Wanderte deshalb jüngst nach Mitte, wo er nun für den Bundestag kandidiert.
Er ist und bleibt Liebling Kreuzberg: Hans-Christian Ströbele. Keiner ist hier so bekannt, keiner so beliebt. Seit 2002 hält er im Bezirk das einzig grüne Direktmandat der Republik, sackte zuletzt sagenhafte 46 Wählerprozent ein. Auch eine Krebserkrankung kann ihn nicht stoppen, für den nächsten Bundestag erneut zu kandidieren. Zwar wohnt Ströbele in Mitte; nebenan in Friedrichhain-Kreuzberg ist er aber als Dauerradfahrer, Dauerlinker und Dauerabweichler im grünen Parteiapparat verehrt wie eh und je.
Chancen: Null. Ströbele ist mit 73 schlicht zu alt fürs Amt. Ab 65 Jahren ist Schluss mit Bürgermeister. Auch egal: Bleibt er eben König der Herzen.
Alles spricht für sie: Seit 2006 ist Monika Herrmann Stadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg. Erst für Schule, jetzt für Familie - ihr Herzensanliegen. Kreuzbergerin ist sie noch länger: seit 15 Jahren. Die Grüne - die auch gern Grün trägt - spricht geradeaus, sucht den Kontakt nach draußen, fordert aber auch die Eigeninitiative der Bezirksbürgerschaft. Herrmann glaubt ans Werkeln im Kleinen, um das große Ganze zu ändern. Wenn Herrmann es für richtig hält, haut sie auch mal forsch dazwischen. Dem Kreisverband gefällts: Für den Spitzenplatz zur letzten Bezirkswahl bekam sie 97 Prozent. Die 49-Jährige dankt es mit Aufopferung. Als einziges Hobby nennt sie auf der Bezirks-Homepage: Kommunalpolitik.
Chancen: Top! Kennt den Bezirk aus dem Effeff, ist profilierte Grünenfrau, hat sich als Bürgermeisterin schon selbst ins Spiel gebracht und wird in den eigenen Reihen geliebt. Das sollte reichen. KO
Knallharter Verhandler
Seine Expertise nutzte Schulz immer wieder in der Stadtentwicklungspolitik. „Er hat sich mit Großinvestoren in knallharte Verhandlungen begeben und Kompromisse erreicht, die man nicht für möglich gehalten hätte“, sagt Kapek und verweist zum Beispiel auf zusätzliche Grünflächen entlang der Spree.
Gesine Agena, Sprecherin der Bezirksgrünen, sagte, Schulz hinterlasse „sehr, sehr große Fußstapfen“. Er stehe für eine „faire Mietenpolitik“ und einen „multikulturellen Bezirk, der niemanden ausschließt“. Bereits am Dienstag will der Kreisverband die Ausschreibung für den Bürgermeisterposten auf den Weg bringen. Bewerben, so Agena, könne sich praktisch jeder. Allerdings sei ein „grünes Profil sicher vorteilhaft“.
Bezirksstadträtin Monika Herrmann hat bereits angekündigt, sich zu bewerben. Ihr sei wichtig, die bisherige Linie fortzuführen, „dass wir bei uns im Bezirk großen Wert auf Partizipation und Solidarität legen, dass wir alle mitnehmen, die hier leben, wohnen und arbeiten“. Da ihr Steckenpferd nicht die Stadtplanung sei, wolle sie ihre bisherigen Zuständigkeiten behalten.
Herrmann gilt als Favoritin auf den Posten. Mit wem auch immer man bei den Grünen spricht: Ein anderer Name für den Bürgermeisterposten ist bislang nicht zu hören.
Franz Schulz sagte, er wolle ab August versuchen, sich „gesundheitlich zu stabilisieren“. Danach wolle er sich, wenn möglich „wieder ins Getümmel stürzen“. Schulz sagte, er habe „immer die Rolle des engagierten Bürgers in Stadtentwicklungsprozessen hochgehalten“. Bisher habe er Mitgliedschaften in Initiativen und Vereinen allerdings abgelehnt, weil das sich nicht mit der Aufgabe des Bezirksbürgermeister vereinen ließe. Schulz: „Diese Beschränkung fällt dann weg.“
Der einzige Misston kam am Donnerstag von Kreuzbergs CDU-Chef Kurt Wansner. Schulz habe „Investoren verschreckt“ und für eine „Ära des Stillstands“ gesorgt, die nun hoffentlich bald vorbei sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen