Grünen-Parteitag in Kiel: Geschlossene Gesellschaft
Ob Spitzensteuersatz oder Vermögensteuer - die Vorschläge des Grünen-Vorstands werden in Kiel alle routiniert durchgewunken. Und einer, ja einer zieht immer.
KIEL taz | Das ist Cem Özdemir jetzt wichtig. Der Grünen-Chef eilt nach vorne, schüttelt Holger Schwannecke heftig die Hand und greift sich das Mikrofon. "Was die Gebäudedämmung angeht, wird der Motor 2013 angeworfen", ruft er hinein. "Da können Sie sich auf uns verlassen."
Mit diesem Satz beschreibt Özdemir sehr genau, was er von dem Grünen-Parteitag will. Schwannecke kommt vom Zentralverband des Handwerks, er ist der wichtigste Redner der Wirtschaft. Und die, findet Özdemir, muss die Grünen als Partner akzeptieren. Und umgekehrt.
Der Parteitag in Kiel, der am Sonntag zu Ende ging, spiegelte das Spannungsverhältnis, in dem sich die Partei im Moment bewegt. Sie will 2013 an die Macht, außerdem den ökologischen Umbau und die Energiewende. Gleichzeitig hat sich bei den Grünen aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass sie Gutverdiener stärker belasten muss, um in der Krise all die schönen Ideen des Green New Deals zu finanzieren. Was die Unternehmer traditionell nicht so toll finden.
Doch wie diese Interessen austarieren? Für Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württembergs, ist die Sache klar. Der lange Vorzeige-Realo mit dem Bürstenhaarschnitt geht beim kleinen Zulieferer für Autoteile genauso ein und aus wie bei Daimler oder der IHK. "Wir müssen auf dem Teppich bleiben", sagt er. Und: "Wir dürfen nicht in eine Steuererhöhungsorgie verfallen."
Kretschmann erfrischend ehrlich
Kretschmann zieht immer. Er wird auf jeder Grünen-Veranstaltung bejubelt. Die Delegierten klatschen aber nicht etwa wegen seines Starstatus, sehr viele teilen ganz einfach seine Argumente. Hinzu kommt, dass Kretschmann erfrischend ehrlich argumentiert. Als Einziger spricht er aus, worum es für die Grünen beim Spitzensteuersatz natürlich auch geht. Wer jetzt viele Bürger abschreckt, die 2013 Grün wählen würden, lautet Kretschmanns Fazit, kann hinterher nichts umsetzen.
Jürgen Trittin bringt am Samstag den entscheidenden Finanzantrag ein. Der Chef der Bundestagsfraktion wirbt für den Vorstandsvorschlag, den Spitzensteuersatz ab einem Einkommen von 80.000 Euro auf 49 Prozent anzuheben. "Starke Schultern müssen tragen, was Schwache nicht tragen können", ruft Trittin unter dem riesigen grünen Banner, auf dem in riesigen Lettern "Antwort: Grün" prangt.
Der Antrag ist ein sorgsam abgestimmter Kompromiss, der auf eine Finanzanalyse der FraktionschefInnen in Bund und Ländern zurückgeht - neben dem Spitzensteuersatz wird darin eine befristete Vermögensabgabe, weniger Ausnahmen bei der Ökosteuer und das Abschmelzen des Ehegattensplittings gefordert. Jürgen Trittin spricht routiniert, auch wenn es nicht seine beste Rede ist.
"Ein Herz für Reiche - 49 Prozent jetzt"
Plötzlich drehen sich Köpfe nach hinten, ein Raunen geht durch den Saal. Zwei Dutzend junge Leute drängeln sich durch die Reihen, die Männer in Anzug und Krawatte, die Frauen in Trägerkleid mit Halskette. In der Hand halten sie Sektgläser und prosten den Delegierten zu. Die Grüne Jugend wagt es, den Leitwolf der Grünen zu stören. Sie will einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent. Ihr Kommentar auf Schildern: "Ein Herz für Reiche - 49 Prozent jetzt!"
Dass die Junggrünen bei ihrer subversiven Aktion die taktische Gefechtslage durcheinanderbringen, ist Nebensache. Trittin war es, der in den Gremien für weitgehende Regelungen gefochten hatte. Eigentlich ein Verbündeter. Das sei doch lustig gewesen, sagt Trittin später. Er weiß, dass die Junggrünen keine Chance haben. Wenig später lehnen die Delegierten die 53 Prozent ab.
Aussichtsreicher ist der Antrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft. In der AG sitzen Fachleute der Basis, vor allem aus Ländern und Kreisverbänden. Sie hatten dafür geworben, den Spitzensteuersatz zwar bei 49 Prozent festzulegen, den Tarifverlauf jedoch schon ab einem Einkommen von 68.000 Euro zu ändern. So würden die Erhöhungen eine größere Gruppe treffen.
"Ideologien bei der Vermögenssteuer wurscht"
Routiniert lehnen die rund 800 Delegierten auch den Antrag der AG-Fachleute ab und folgen mit großer Mehrheit der Vorstandslinie. Alle sind spürbar um Signale der Geschlossenheit bemüht. Vorstand und Antragskommission versuchen in diesen drei Tagen, alle Minen früh zu entschärfen. Bloß keinen Streit, lautet das Motto. Das funktioniert selbst bei der Vermögensteuer. Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Schleswig-Holstein hatten eine solche statt einer Vermögensabgabe im Vorfeld gefordert. Weil ihre Einnahmen den Ländern zugute käme, nicht dem Bund, weil sie dem Staat dauerhaft Einnahmen garantieren würde.
Monika Heinold ist Finanzexpertin der Fraktion in Schleswig-Holstein und hat für ihr Land die Ein- und Ausgaben durchgerechnet. "Angesichts der Tatsache, dass in den Schulen der Putz von der Decke fällt, sind mir Ideologien bei der Vermögensteuer wurscht", sagt sie. Ähnlich denken viele Realos, die früher keine Vermögensbesteuerung wollten. Heinolds Kompromiss - eine Verknüpfung von Vermögensabgabe und -steuer - wird vom Vorstand aufgegriffen und von den Delegierten bestätigt.
Jetzt wollen die Grünen erst zehn Jahre lang eine Abgabe einführen, die dem Staat 100 Milliarden Euro bringen soll. Währenddessen wollen sie Möglichkeiten für eine verfassungskonforme Steuer prüfen - und diese im Anschluss einführen. Eine Kommission soll entscheiden, wie die Länder beteiligt werden sollen. Die Knackpunkte verschieben die Grünen also lieber auf später.
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