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Grünen-Landesparteitag, Teil 2Diesmal klappt die Vorsitzwahl

Die Grünen wählen ihre Exlandesvorsitzende Nina Stahr vom Realo-Flügel erneut in die Doppelspitze. Co-Chef bleibt Philmon Ghirmai vom linken Lager.

Nina Stahr, neue und alte Landesvorsitzende der Berliner Grünen, kurz vor ihrer Parteitagsrede

Berlin taz | Dogmatisch zu sein ist ein Vorwurf, den gerade Grüne im linken Parteiflügel schon mal zu hören bekommen. Am Mittwochabend trifft der ganz und gar nicht zu: Da wählen die Berliner Grünen die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr mit überwältigender Mehrheit zur Landesvorsitzenden, obwohl die Satzung eine Trennung von Amt und Parlamentsmandat vorsieht.

Dass die Delegierten überhaupt um 19 Uhr im Tagungszentrum Jerusalemkirche in Kreuzberg zusammen sitzen, um Stahr, ihren Co-Vorsitzenden Philmon Ghirmai und den restlichen Landesvorstand zu wählen, ist Folge eines bizarren Vorfalls: Die Wahl hätte schon beim Parteitag am vergangenen Samstag in einem Hotel in Moabit über die Bühne gehen sollen. Doch das Parteitreffen wurde abgebrochen, nachdem beim ersten zu vergebenen Posten – dem für Frauen reservierten Platz in der Doppelspitze – die einzige Bewerberin, Tanja Prinz, drei Mal deutlich durchfiel.

Prinz hatte sich bei einer Vorabstimmung des Realo-Flügels gegen Ghirmais bisherige Co-Vorsitzende Susanne Mertens durchgesetzt. Beide waren 2021 gewählt worden und auf die fünf Jahre amtierende Doppelspitze aus Stahr und Werner Graf gefolgt, dem heutigen Fraktionschef im Abgeordnetenhaus.

Gemäß einer inoffiziellen Quotierung hätte der linke Parteiflügel Prinz unterstützen müssen, so wie es von den Realos für die Kandidatur von Ghirmai erwartet wurde. Doch die unter den 147 Delegierten dominierenden Parteilinken akzeptierten die Vorauswahl nicht: Dreimal fiel Prinz durch. Sie erhielt maximal 27 Prozent der Stimmen. Dass jeweils über 70 Prozent gegen sie wählten, bedeutete, dass auch Realo-Delegierte mit „Nein“ stimmten.

Prinz trat für einen Kurs an, der stärker als bisher auf Wähler aus dem bürgerlichen Lager zielt. Der sie tragende Teil der Realos hielt der bisherigen Parteichefin Mertens vor, sie habe es der Parteilinken zu leicht gemacht. Der Vorwurf trifft auch Fraktionschefin Bettina Jarasch, 2021 und 2023 zweimal Spitzenkandidatin bei der Abgeordnetenauswahl.

Aus Sicht der radikaleren Realos hätte sie sich dem Druck des linken Flügels widersetzen müssen, den Wahlkampf auf die grüne Kernwählerschaft und nicht auf ein bürgerliches Klientel zu fokussieren. Dazu gehört für sie auch Jaraschs Entscheidung, 2022 als damalige Verkehrssenatorin die Friedrichstraße für Autos sperren zu lassen, was durch ein Gerichtsurteil aufgehoben wurde.

„Hello again“, begrüßt Parteichef Ghirmai die Delegierten, die an diesem Mittwochabend weitaus entspannter zusammen sitzen und stehen als am Samstag zu Parteitagsbeginn. Es würde wenig überraschen, wenn Ghirmais Worte aus den Lautsprecher mit der gleichnamigen Schlagerschulze von Howard Carpendale untermalt würden. Die führenden Realos hatten tags zuvor Stahr als Ersatz-Kandidatin ausgerufen, führende Realos hatte sich schnell öffentlich zustimmend geäußert und damit fast jegliche Spannung aus der Parteitagsfortsetzung genommen.

Für Stahr ist es die Rückkehr in ein Amt, das sie vor zwei Jahren abgab, weil sie Ende September 2021 ein Bundestagsmandat erreichte. Vor ihrer erneuten Nominierung hatte sie erklärt, das sie das Mandat dieses Mal nicht abgeben will – was damit zu tun haben dürfte, dass sie den Vorsitz nur bis zu einer erneuten Vorstandswahl im Mai übernehmen soll.

Es könnte jedoch gut sein, dass Stahr länger im Amt bleibt: Bei der wahrscheinlich am 11. Februar ganz oder teilweise zu wiederholenden Bundestagswahl – das Bundesverfassungsgericht will darüber am Dienstag urteilen – könnte Stahr ihren Parlamentssitz verlieren. Sie hat zwar keinen Wahlkreis zu verteidigen. Ihr Mandat über die Landesliste der Grünen wackelt jedoch bei einer zu erwartenden geringeren Wahlbeteiligung stark: Denn wieviele Bundestagssitze Berlin insgesamt erhält, hängt von der absoluten Stimmenzahl im Verhältnis zu den anderen Bundesländern ab – und Stahr Mandat ist das erste, das bei den Grünen weg fallen würde.

In diesem Fall dürfte wenig dagegen sprechen, Stahr längerfristig im Amt zu behalten – immer voraus gesetzt, dass sie ihren klaren Auftrag erfüllt: Den durch den Streit um Tanja Prinz zerstrittenen Landesverband wieder zu beruhigen. Am Mittwochabend ist der Rückhalt dafür groß: 88,2 Prozent stimmen für Stahr, 7,6 Prozent gegen sie, 4,2 Prozent enthalten sich. Ghirmai kommt wenig später auf 73,6 Prozent.

Dabei ist es nicht so, dass sich die 41-Jährige den Delegierten und vor allem den Parteilinken anbiedern und um Stimmen buhlen würde. „Heute hier zu stehen, ist nicht schön“, hat Stahr ihre Vorstellungsrede vor dem Wahlgang eingeleitet, hat dann den Streit der vergangenen Wochen kritisiert. Darin sieht sie mehr als die übliche Härte in der Politik. In Richtung von Tanja Prinz, die Samstag nach ihren drei vergeblichen Anläufen den Parteitag unter Tränen verließ, sagt sie: „So wie wir mit Dir umgegangen sind, das war einer feministischen Partei nicht würdig.“ Man werde viel reden, „wir werden Dinge in Ordnung bringen müssen“, kündigt Stahr an. „Die Welt hat genug Krisen, sie braucht nicht auch noch eine Krise bei den Grünen.“

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1 Kommentar

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  • Eine Partei, die die Trennung von Amt und Mandat sonst als demokratische Errungenschaft für sich proklamiert wirft diese also sehr schnell über Bord. Man könnte auch sagen, zur Not frisst der Teufel fliegen.

    Schlimmer noch, die "feministischen" Grünen haben offensichtich nicht genug qualifizierte Frauen in den eigenen Reihen, um eine solche Doppelbesetzung zu vermeiden.

    Na dann, hello again.