Grünen-Chefin Peter über ihr neues Amt: „Unser Programm ist nicht zu links“
Nach dem Wahlfiasko der Grünen will Parteichefin Simone Peter „schnell wieder angreifen“ – und sich zur Linkspartei öffnen. Einen radikalen Kurswechsel will sie nicht.
taz: Frau Peter, muss man sich Ihren Job wie den einer Dompteurin vorstellen?
Simone Peter: Nein, das trifft es nicht. Eine Grünen-Chefin ist keine Dompteurin. Ich will ohne Kommandoton auskommen, aufs Miteinander setzen und den Teamgedanken leben.
Sind Sie dann eher so etwas wie eine Therapeutin?
Das ist auch eine schiefe Metapher. Therapien dauern sehr lange. Aber die Grünen dürfen sich keine lange Trauerphase gönnen, wir müssen schnell wieder handeln und angreifen können.
Ist der Vergleich schief? Die Partei wirkt, als hätten sich Selbstzweifel tief eingefressen.
Sicher, das Wahlergebnis war für uns ein Schock. Wir haben die Ursachen diskutiert, aber sicher noch nicht alle nötigen Schlüsse gezogen. Aber ich bin nicht der Typ für selbstquälerische Vergangenheitsbewältigung. Ich konzentriere mich lieber auf das, was ansteht.
Die Biografie: Simone Peter, 47, ist seit Oktober die Parteivorsitzende der Grünen. Sie tritt die Nachfolge von Claudia Roth an, die die Konsequenzen aus dem schlechten Wahlergebnis zog und sich nicht mehr zur Wahl stellte. Peters inhaltliche Schwerpunkte sind der Klimaschutz und die Ökologie. Die studierte Biologin war in der Jamaika-Koalition im Saarland von November 2009 bis Januar 2012 Umweltministerin. Vor ihrer politischen Karriere arbeitete sie bei Lobbyorganisationen für Erneuerbare Energien.
Das Team: Peter führt die Partei zusammen mit ihrem Kovorsitzenden Cem Özdemir, der seit 2008 an der Spitze steht. Ergänzt wird das grüne Führungsteam durch die beiden Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter. Beide wurden nach dem Wahldebakel im September neu gewählt. (us)
Wovor hatten Sie Angst, als Sie Parteichefin wurden?
Wenn ich Angst gehabt hätte, dann hätte ich es nicht gemacht.
Was qualifiziert Sie für das Amt?
Wenn ich die vielen Rückmeldungen auf meine Kandidatur als Maßstab nehme: Viele glauben, dass ich bei den grünen Kernthemen Klimaschutz und Energiewende Kompetenz besitze, dass ich wegen des Ministeramtes Führungserfahrung habe und ein integrativer und ausgleichender Charakter bin. Nicht unwichtig ist wohl auch, dass ich Erfahrungen auf Länderebene gesammelt habe. Die Ländersicht muss sich bei den Grünen stärker im Bund wiederfinden.
Was hat Sie bisher am meisten überrascht?
Das Presseecho nach meiner Antrittsrede und meiner Wahl auf dem Parteitag im Oktober war sehr gemischt.
Vorsichtig formuliert.
Es ist schon gewöhnungsbedürftig, wenn die eigene Person plötzlich so im Fokus einer breiten Medienöffentlichkeit steht, die jeden Schritt beobachtet und bewertet. Der Bund und das überschaubare Saarland, das ist ein Unterschied. Das hatte ich aber auch nicht anders erwartet.
Wann haben Sie entschieden, sich zur Wahl zu stellen?
Sehr schnell. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt anzutreten, falls sich Claudia Roth zurückzieht. Richtig konkret wurde es, als die Telefone nach dem Wahlabend am 22. September nicht mehr stillstanden. Ich habe drei Tage überlegt, mich mit Parteifreunden beraten.
Gab es einen Familienrat?
Gab es. Mein Mann und ich sind es gewohnt, das Familienleben gut zu organisieren. In meiner Zeit als Landesministerin und Abgeordnete in Saarbrücken gab es auch keine großen Freiräume. Jetzt pendeln wir erst mal.
Sie stammen aus einer durch und durch sozialdemokratischen Familie. Ihre Mutter war Arbeitsministerin im Kabinett von Oskar Lafontaine …
… und stellvertretende Ministerpräsidentin.
Das heißt, bei Ihnen zu Hause wurde früher ständig über Politik geredet?
Ja, das war so. Das ging schon am Frühstückstisch los. Auch mein Vater war politisch aktiv, im Kommunalen. Meine beiden Brüder sind acht und zehn Jahre älter als ich, die engagierten sich bei den Jusos. All das prägt und reißt mit.
Die kleine Schwester wurde mal zur Demo mitgenommen?
Zum Beispiel. Meine Brüder haben in den 80ern gegen das Atomkraftwerk Cattenom demonstriert, das direkt an der deutsch-französischen Grenze liegt, oder gegen den Nato-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten. Da fuhr ich gerne mit.
War es ein rebellischer Akt, dass Sie bei den Grünen eingetreten sind?
Überhaupt nicht. Meine Eltern haben mit uns sehr offen diskutiert. Es herrschte keine Doktrin, ständig „Glückauf, der Steiger kommt“ zu singen. Ich bin durch mein Interesse für ökologische Themen zu den Grünen gekommen. Wegen dieses Interesses habe ich damals auch mein Studienfach gewählt – die Biologie.
Sind Ihre Eltern stolz auf Sie?
(lacht) Stolz wie Oskar.
Was ist das Wichtigste, was Sie bei den Grünen ändern wollen?
Besonders wichtig war mir, dass wir auf dem Parteitag im Oktober festgestellt haben: Die Grünen brauchen keinen radikalen Kurswechsel. Es war nicht alles schlecht, sondern das allermeiste war ziemlich gut.
Im Ernst? Weiter so trotz 8,4 Prozent?
Nein. Die Grünen müssen ihre Grundwerte – Ökologie, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, offene Gesellschaft – wieder stärker in den Vordergrund rücken. Die sind im Wahlkampf angesichts doch sehr mathematischer Debatten zu kurz gekommen – siehe Steuerkonzept.
Gut, das sagen jetzt alle Grünen.
Ich will stärker Ideen von der Parteibasis aufgreifen und alle Mitglieder mitnehmen. Und ich möchte, dass die Grünen stärker mit Gewerkschaften und Verbänden ins Gespräch kommen. Mehrheiten entstehen durch breite Verankerung in der Gesellschaft.
Starke Landesverbände, etwa Baden-Württemberg, finden, dass die Partei mit ihrem linken Programm die bürgerliche Mitte verschreckt hat.
Unser Programm ist nicht zu links. Das ist nicht der Punkt. Es ist vernünftig, über die Jahre gewachsen, und es wurde mit sehr großer Mehrheit beschlossen. Es wird sich aber selbstverständlich weiterentwickeln.
Viele Realos sähen gerne, dass die Grünen ihr Steuerprogramm abspecken, die Linken sehen das anders. Wie werden Sie diesen Konflikt managen?
Ich glaube: Wer seriös rechnet, wird nicht darum herumkommen, auch in Zukunft die Frage nach Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen zu stellen. Stattdessen sollen nach den Plänen von Union und SPD jetzt alle, auch Geringverdiener, über die Sozialbeiträge belastet werden. Und wenn wir Milliarden in Bildung, Infrastruktur und die Energiewende investieren wollen, müssen wir sagen, wo das Geld herkommen soll.
Also auch ein „Weiter so“? Für Winfried Kretschmann sind die Grünen aus der Spur geraten.
Gerade der Investitionsbedarf in Ländern und Kommunen ist riesig. Deshalb bin ich sicher, dass Winfried und ich am Ende gar nicht weit auseinanderliegen.
Baden-Württembergs Ministerpräsident fordert einen „neuen Sound“ der Grünen. Hat er recht?
Ein anderer Sound ergibt sich schon deshalb, weil jetzt neue Leute in der ersten Reihe stehen. Und klar, es schadet nicht, wenn die Grünen wieder stärker auf Themen setzen, die Emotionen wecken, denn dann sind sie kampagnenfähiger.
Was bedeutet das eigentlich – neuer Sound?
Es geht vor allem um die Art der Ansprache. Politik ist dann spannend, wenn sie konkret ist. Wenn Unternehmen oder Kommunen in den Ländern im Bereich Erneuerbare Energien beispielhaft zeigen, wie es vorangehen kann. Von solchen Modellen kann auch Bundespolitik profitieren, die ja oft etwas über den Dingen schwebt.
Die Grünen wollen sich neue Machtoptionen eröffnen. Warum erklärt ihr Kovorsitzender Cem Özdemir dann, Rot-Rot-Grün sei für die nächsten vier Jahre keine Option?
Wir gehen gemeinsam davon aus, dass die Große Koalition kommt und dann auch eine Legislaturperiode und damit vier Jahre hält. Wenn sie aber wider Erwarten vorher auseinanderbricht, müssen auch Gespräche mit der Linkspartei geführt werden können. Deshalb geht es darum, jetzt damit zu beginnen, auch in diese Richtung Gesprächsfäden zu knüpfen.
Sie selbst sagen, Sie wollten nicht Merkels Notnagel sein, falls die Gespräche mit der SPD scheitern.
Ja. Wir stehen doch jetzt nicht Gewehr bei Fuß, wenn Merkel nicht mit der SPD zusammenkommen sollte, weil sie einfach so weitermachen will wie bisher. Die Sondierungen haben ergeben, dass die gemeinsame Basis nicht trägt. Mit Merkel ist ein ambitionierter Klimaschutz nicht zu machen, das wäre für uns aber eine notwendige Bedingung.
Merken Sie es?
Was?
Der eine Chef verschließt die Tür zur Linken, die andere Chefin die zur CDU. Ist das jetzt Eigenständigkeit?
Unfug. Wir machen keine einzige Tür dicht. Die gemeinsame Linie von Cem und mir ist klar: Wir führen Gespräche mit allen Parteien, der klare Leitfaden dafür sind unsere Inhalte.
Haben Sie die Handynummer von Angela Merkel?
Nein, die habe ich noch nicht.
Die von Hermann Gröhe?
Nein. Aber wir kennen uns.
Die von Gregor Gysi?
Bisher nicht, aber mit seinem Vorsitzenden habe ich mich schon mal verabredet.
Na, dann steht guten Kontakten ja nichts mehr im Wege.
An den Handynummern wird es bestimmt nicht scheitern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW