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■ Grüne und Umweltbewegung müssen zu ihren Wurzeln zurückkehren – zur ökologischen Politik gehört VerzichtDie Illusion des Ökowachstums

Vor 25 Jahren erschien der erste Bericht des Club of Rome: „Grenzen des Wachstums“, ein Werk, das die Warnung vor der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und den Ruf nach einer fundamentalen Umkehr mitten in die gesellschaftliche Debatte katapultierte. Die Konsequenz aus dieser Analyse hieß „Weniger ist mehr“. Damit haben die Grünen zu Beginn noch Wahlkämpfe bestritten – auf den Gedanken würden sie heute kaum kommen, schon um sich nicht als ideologische Begleitmusikanten des Sozialabbaus verdächtig zu machen.

25 Jahre nach dem Club-of- Rome-Bericht hat das Ökothema eine steile internationale Karriere durchlaufen. Die Industriegesellschaften des Nordens haben gewaltige Beträge in Filteranlagen, Klärwerke und die Abfallwirtschaft investiert – mit dem Ergebnis, daß Luft und Flüsse hierzulande tatsächlich wieder sauberer geworden sind und die Abfall-Lawine in halbwegs geordnete Bahnen gelenkt wurde. Gleichzeitig hat die Industrie den Energie- und Ressourcenverbrauch als ökonomisches Einsparpotential entdeckt; effizientere Techniken haben dazu geführt, daß Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch partiell entkoppelt wurden. Die Exploration wirtschaftlich erschließbarer Rohstoffe (insbesondere fossiler Energieträger und Metall) wuchs schneller als ihr Verbrauch – entsprechend rückte der vorhergesagte Zusammenbruch der industriellen Zivilisation mangels Nachschub natürlicher Ressourcen wieder in die Ferne.

Daraus wurde die neue Utopie eines „nachhaltigen Wachstums“ geboren: Permanente technische Innovation soll den Ressourcenverbrauch und die Umweltemissionen so weit minimieren, daß neue Wachstumsmärkte erschlossen und mehr Beschäftigung bei sinkendem Naturverbrauch möglich werden – ökologisches Wachstum als eierlegendes Wollmilchschwein. Die frohe Botschaft lautet: Wir entkommen der Ökokrise mit Hilfe des Zauberstabs der wissenschaftlich-technischen Revolution und retten damit zugleich den Sozialstaat (der auf der Verteilung eines ständig wachsenden Mehrprodukts fußt) und den hedonistischen Lebensstil der urbanen Mittelklasse.

In dieser Allianz für ökologische Modernisierung können sich viele Akteure zusammenfinden: aufgeklärte Unternehmer und Gewerkschaftsleute, Ökobauern, Trendsetter des Lifestyle und die Grünen. Auf diesem Feld gibt es auch noch jede Menge schlummernder Chancen für Wirtschaft und Umwelt. Solartechnik und Kraft-Wärme-Koppelung, Dreiliterautos, Ökolandbau, sanfte Biotechnologie usw. – die stofflichen Elemente des „ökologischen Umbaus“ sind mittlerweile ebenso geläufig wie die Forderung nach einer ökologischen Steuerreform als Treibmittel dieses Prozesses.

Ein Narr, wer diese Chance, das ökologisch Notwendige mit dem ökonomisch Sinnvollen zu verknüpfen, nicht nutzen würde – eine strategische Konstellation, in der Grüne und Umweltbewegung den innovativen Part im Streit um den „Standort Deutschland“ besetzen können, ohne der Ökologie untreu zu werden, kommt so schnell nicht wieder. Trotzdem halten sich hartnäckige Zweifel an der Tragfähigkeit des „nachhaltigen Wachstums“. Denn unter dem Strich hat der ökotechnische Fortschritt kaum mehr bewirkt als eine Stagnation des Wasser- und Energieverbrauchs, der Stickoxyd- und CO2-Emissionen auf viel zu hohem Niveau, während in den industriell boomenden Regionen des Südens die Umweltbelastungen mit Siebenmeilenstiefeln mitwachsen.

Wenn es richtig ist, daß unser immenser Verbrauch an Naturkapital nicht als Vorbild für die restlichen 80 Prozent der Menschheit taugt; wenn es richtig ist, daß der Ressourcenverbrauch und die Emissionen der Industriemetropolen in den nächsten Jahrzehnten um 80 bis 90 Prozent vermindert werden müssen, um den Gesellschaften des Südens den notwendigen Entwicklungsraum zu lassen, ohne das globale Ökosystem zu überfordern – dann stehen „ökologische Modernisierung“ und „Ausstieg aus der Wachstumsspirale“ nicht alternativ, sondern sind zwei Seiten derselben Medaille. Es geht nicht nur um umweltfreundlichere Technik und Produkte, sondern auch um absolut weniger materielle Produktion und Konsum.

Wir brauchen also beides: ökologisch-technische Effizienz und die Selbstbegrenzung. Doch wie immer man die Botschaft benennt, um zu vermitteln, daß im „Weniger“ (Lohnarbeit und Konsum) auch die Chance auf ein „Mehr“ liegt (Muße, Kreativität, ein reicheres soziales Leben) – es bleibt ein Element von Verzicht gegenüber heutigen Lebensgewohnheiten und Konsumansprüchen, und zwar nicht nur für „die Reichen“. Verzicht aber ist ein politisches Unwort in der linksalternativen Tradition – erst recht unter den Vorzeichen ökonomischer Globalisierung, zerrütteter öffentlicher Finanzen, sinkender Reallöhne und Sozialleistungen.

Was wir lernen müssen, ist eine neue Politik sozialer Gerechtigkeit, die auf eine faire Verteilung des „Weniger“ setzt. Doch in Zeiten grassierender Massenarbeitslosigkeit und sinkender Masseneinkommen haftet der Kritik am Wirtschaftswachstum fast etwas Frivoles an – eine Marotte saturierter Wohlstandsbildungsbürger mit Pensionsgarantie. Konjunktur hat sie jedenfalls nicht. Von den Unternehmensverbänden bis zu den linksalternativen Wirtschaftsprofessoren sind sich alle einig, daß nur Wachstum hilft. Gestritten wird vor allem über das Wie: durch Deregulierung und Sparpolitik oder durch staatliche Investitionen und „Stärkung der Massenkaufkraft“. Das alte Spiel zwischen Monetaristen und Keynesianern.

Doch die Wachstumsideologie der 60er und 70er Jahre wird um so heftiger beschworen, je mehr sie sich an der Wirklichkeit bricht. Selbst ein Plus des Bruttosozialprodukts von mehr als zwei Prozent geht am Arbeitsmarkt fast spurlos vorbei. Wer auf Wachstum setzt, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden und den Sozialstaat zu sichern, baut auf Sand – und riskiert den irreversiblen ökologischen Kollaps des Globus. Und das bedeutet: Vorausschauende Politik muß sich ohnehin auf sinkende Wachstumsraten einstellen. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Verteilungskampf nach dem Motto „Mehr für alle“ neutralisiert und für jede „Problemgruppe“ ein eigenes Finanzierungsprogramm eingerichtet werden konnte. Das beliebte Sowohl-Als-auch hat als politische Gebrauchsanleitung ausgedient – in Zukunft müssen Entscheidungen nach dem Entweder-oder-Prinzip getroffen werden. Ralf Fücks

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