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Grüne küren SpitzenkandidatinKlare Wahl vor der Wahl

Die Grünen lassen Exparteichefin Bettina Jarasch bei der Bewerbung um einen Bundestagssitz durchfallen, die Mehrheit will Lisa Paus.

Strahlende Siegerin: Lisa Paus wird Spitzenkandidatin der Berliner Grünen bei der Bundestagswahl. Foto: dpa

Die Abstimmung braucht es eigentlich nur noch, damit alles den offiziellen Vorgaben der Landeswahlleitung entspricht. Zu stark lässt sich schon am Beifall ablesen, dass Exparteichefin Bettina Jarasch scheitern wird mit ihrem Versuch, Lisa Paus den sicheren Platz als Grünen-Bundestagskandidatin abzunehmen. Das Ergebnis ist dank elektronischer Abstimmung schon wenige Minuten später klar: Über 70 Prozent der Grünen, die sich am Samstag im Estrel-Hotel versammelt haben, wollen Paus als Berliner Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl. Nur 27 Prozent votieren für Jarasch.

Je zehn Minuten haben die beiden Kandidatinnen für den ersten Listenplatz vor der Abstimmung für sich werben dürfen. Jarasch müht sich, spricht von tief greifenden Veränderungen im vergangenen Jahr zwischen Kölner Silvesternacht und Trump. Damit begründet sie auch, warum sie so schnell nach ihrer Spitzenteamkandidatur fürs Abgeordnetenhaus in den Bundestag will, was zwei Fragesteller kritisieren. „Ich bin eine Brückenbauerin“, sagt sie und belegt das mit ihrer sechsjährigen erfolgreichen Arbeit als Landesvorsitzende bis 2016. Sie wolle in den Bundestag, „weil es da jetzt Menschen wie mich braucht“.

Jarasch ist immerhin seit drei Jahren im Grünen-Bundesvorstand und dort zuständig für Soziales, Integration und Religion. Vielleicht ist es aber zu viel der Eigenwerbung. Der Funke springt jedenfalls nicht richtig über in den Saal, anders als wenig später bei Paus.

Diese präsentiert sich mit lässigen Sprüchen, erinnert gleichzeitig dezent an ihre Bilanz im Bundestag, dem sie seit 2009 angehört. Bezogen auf den Streit über das Dragoner-Areal in Kreuzberg, sagt sie beispielsweise: „Wir werden Miethaie zu Fischstäbchen machen“ – und bekommt dafür ordentlich Applaus, auch wenn dieser Spruch schon jahrzehntealt ist.

Auch die CDU hat gewählt

Nur acht Kilometer von den in Neukölln tagenden Grünen entfernt hat in Adlershof auch die Berliner CDU am Samstag ihre Kandidatenliste für die Bundestagswahl aufgestellt. Spitzenkandidatin ist wie seit 2005 die derzeitige Kulturstaatsministerin und Landesvorsitzende Monika Grütters. Sie ist definitiv auf einen Listenplatz angewiesen, weil sie keine Siegchance in ihrem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf hat. Auf den Plätzen 2 bis 4 stehen Männer, die ihre Wahlkreise durchaus gewinnen könnten: Kai Wegner (Spandau), Jan-Marco Luczak (Tempelhof-Schöneberg) und Thomas Heilmann (Steglitz-Zehlendorf). Heilmann, in dessen Kreisverband es jüngst zu einem Skandal wegen gefälschter Stimmzettel bei einer innerparteilichen Umfrage gab, konnte sich allerdings erst im zweiten Wahlgang mit knapper Mehrheit durchsetzen. Auf Platz 5 folgt das Pankower Abgeordnetenhausmitglied Gottfried Ludewig vor der Neuköllner Bundestagabgeordneten Christina Schwarzer. Exparteichef Frank Henkel wurde für die Landesliste nicht berücksichtigt. Auch seine Direktkandidatur im Wahlkreis Mitte gilt als wenig aussichtsreich. (sta)

Jarasch wirkt erstarrt

Während Paus nach der Abstimmung über ihren Sieg jubelt, sitzt Jarasch zwei Plätze neben ihr in der ersten Reihe und wirkt erstarrt. Parteifreunde reden auf sie ein. Eine dabeistehende Kamerafrau berichtet von Tränen; Jarasch habe den Aufforderungen, nun für Listenplatz 2 zu kandidieren, zuerst nicht folgen mögen.

Jarasch tritt schließlich doch an, hat aber keine Chance gegen den bisherigen Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu und Stefan Gelbhaar, den Verkehrsexperten der Abgeordnetenhausfraktion. Die beiden brauchen vier Wahlgänge, bis Gelbhaar sich mit 51 zu 47 Prozent durchsetzt.

Lasst uns den Schulz vergessen!

Exministerin Renate Künast

Mutlu erhält sich eine kleine Chance, indem er sich später Listenplatz 4 gegen Canan Bayram erkämpft. Vier Bundestagsmandate haben die Berliner Grünen derzeit. Falls es dabei bleibt – und Bayram nicht wie bisher Christian Ströbele das Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost gewinnt –, sitzt Mutlu auch über die Wahl am 24. September hi­naus im Bundestag.

Ströbele sorgt für den emotio­nalen Höhepunkt der mit über 1.100 Teilnehmenden so gut wie noch nie besuchten Mitgliederversammlung. Die Partei ehrt ihn mit einer Fotoserie aus mehreren Jahrzehnten und einer Rede von Exparteichef Daniel Wesener, seinem früheren Mitarbeiter. „Das ist ja noch viel zu früh, ich hab ja noch einen Fulltime-Job mit 12 bis 16 Stunden am Tag“, wehrt Ströbele ab, der mit einem Gehstock zur Rednerbühne kommt. „Ich habe immer gesagt; Ich mache weiter, solange ich noch krauchen kann – ihr werdet noch von mir hören.“

Künast: „Ich hab Energie“

Als Gastredner hat Bundesparteichef Cem Özdemir den Parteitag eingeleitet und dabei aufhorchen lassen mit einer Wortwahl, die im links geprägten Berliner Landesverband eher selten ist: Er warnt „allein schon aus Patriotismus und Liebe zu diesem Land“ davor, nach der Bundestagswahl erneut einen Unionspolitiker zum Verkehrsminister zu machen. Und dass er, wenn er Polizist wäre, „die wählen würde, die meine Farbe tragen, nämlich grün“. Was ein echter Fauxpas ist, denn in Berlin wie in Özdemirs Heimat Stuttgart sind die Polizeiuniformen seit Jahren blau – wie inzwischen auch in offiziellen Wahlgrafiken die Farbe der AfD.

Das knackigste Zitat des Parteitags liefert eine andere: Renate Künast stand bei den vergangenen vier Wahlen noch auf Platz 1 der Landesliste und wechselte nun auf den immer noch ziemlich sicheren Listenplatz 3. Die Exbundesministerin und Exfraktionschefin macht derzeit einen soliden Job als Rechtsausschussvorsitzende des Bundestags.

„Ich hab Energie“, leitet die inzwischen 61-Jährige ihre Rede ein – und beweist das in den folgenden Minuten unter viel Beifall. Die derzeit schlechten Umfragewerte? Der Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten? Kü­nast hat die Lösung: „Lasst uns den Schulz vergessen“, fordert sie ihre Parteifreunde auf. „Wir haben Gegenwind, keinen Rückenwind – aber mit Rückenwind kann jeder!“

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