Grüne in NRW: Zur Not gibt's Rüttgers Club
Die Grünen gehen auf Distanz zur SPD und behaupten, die Linkspartei sei schlicht "nicht regierungsfähig". Die Basis ist angesichts des schwarz-grünen Durchmarsches frustiert.
HAMM taz | Bei den Landtagswahlen im kommenden Mai wollen Nordrhein-Westfalens Grüne mit ihrer Landtagsfraktionschefin Sylvia Löhrmann und dem Energieexperten Reiner Priggen als Spitzenkandidaten punkten. "Wir werden zweistellig, wir werden dritte Kraft", versprach die Bildungspolitikerin Löhrmann den Delegierten des grünen Personalparteitags am Wochenende im westfälischen Hamm in ihrer Bewerbungsrede.
Die Lehrerin Löhrmann setzt dazu auf einen eigenständigen Kurs und kritisierte die NRW-Regierungskoalition aus CDU und FDP, aber auch SPD und Linkspartei scharf. Alle vier Parteien hätten die Herausforderung des Klimawandels nicht "wirklich verstanden". Nötig sei außerdem eine umfassende Reform des Bildungswesens als "Schlüssel für soziale Gerechtigkeit". Der grüne Bundesvorsitzende Cem Özdemir hatte zuvor in seiner Eröffnungsrede besonders Schwarz-Gelb angegriffen: Nicht nur der zurückgetretene Exbundesverteidigungsmister Franz Josef Jung (CDU), sondern auch CSU-Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) seien "unfähig" und gehörten abgelöst.
Auf ein mögliches Bündnis mit SPD und Linkspartei wollte sich die NRW-Spitzenkandidatin Löhrmann nicht festlegen: Viele Sozialdemokraten, darunter auch SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel, hätten "den Schuss immer noch nicht gehört". Gleichzeitig zweifelte die grüne Spitzenkandidatin am Einzug der Linken in den Düsseldorfer Landtag. Dabei sieht die letzte Umfrage für NRW die Linke mit 8 Prozent sicher im Landtag, liegt ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis mit 49 Prozent aktuell drei Punkte vor der schwarz-gelben Regierungskoalition von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.
Schlicht für "nicht regierungsfähig" halten viele führende Grüne die Linke in NRW - und klingen wie die SPD-Landeschefin Hannelore Kraft. Der Zustand der Linken sei bestenfalls mit dem der Grünen nach ihrem erstmaligen Einzug in das Düsseldorfer Parlament 1990 vergleichbar: "Da hätten wir auch nicht sofort regieren können."
Doch auch zur SPD gehen die Grünen zunehmend auf Distanz. Die Sozialdemokraten bereiteten sich schon heute auf eine Rolle als Juniorpartner in einer großen Koalition Rüttgers vor, fürchten manche. Stattdessen setzen besonders Vertreter der Landtagsfraktion ihre Hoffnungen auf ein eigenes Bündnis mit der CDU: Viele Abgeordnete der NRW-Grünen amtieren schon mehr als zehn Jahre, sind noch immer frustriert von den Niederlagen, die ihnen die Bergbau-Partei SPD während der gemeinsamen Regierungszeit bis 2005 zum Beispiel in der Energiepolitik zugefügt hat. Sollte die CDU bis zu den Landtagswahlen im Mai leicht, die FDP wegen mangelnder Versorgung ihrer Klientel etwa durch die Steuergesetzgebung im Bund stark verlieren, könnte Rüttgers auf ein Bündnis mit ihrer Partei setzen wollen, glauben grüne Strategen.
Auf dem Programmparteitag der Grünen im Februar dürfte zwar eine Jamaika-Koalition mit CDU und FDP ausgeschlossen werden: "Wenn wir da als dritter Partner hinzukommen, können wir nur verlieren", räumen selbst Freunde von Schwarz-Grün ein. Alle weiteren Optionen aber sollen offen bleiben: Notfalls müsse man Bündnisaussagen eben erst kurz vor den Wahlen "präzisieren", hieß es - schließlich sei es auch denkbar, dass Schwarz-Gelb auch in NRW bis Februar wieder fest im Sattel sitze.
Vertreter der Basis gaben sich angesichts des schwarz-grünen Durchmarschs dagegen frustriert. Die mit Personal, Geld und Medienpräsenz ausgestattete Landtagsfraktion dominiere die Entscheidungen der Partei immer mehr, kritisierten manche. Grund dafür sei auch die personell schwache Parteibasis: So haben die Grünen in der Metropole Köln nur rund 800 und in Dortmund etwa 250 Mitglieder - weniger als die Linkspartei.
Entsprechend gedämpft wurden die Ambitionen der Parteichefs: Der grüne Landesvorsitzende Arndt Klocke verlor im Kampf um Listenplatz vier gegen den Fraktionsgeschäftsführer Johannes Remmel, musste sich mit Platz sechs zufrieden geben. Auch Parteichefin Daniela Schneckenburger scheiterte gegen die Innenexpertin der Fraktion, Monika Düker, und rutschte von Platz sieben auf Platz neun.
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