Habeck kann sich auf Merz verlassen

Über Solingen und die Folgen sprechen die Grünen im Landtagswahlkampf ungern. Der Vizekanzler wagt es in Leipzig – mit unfreiwilliger Hilfe des CDU-Chefs

Schwieriger Wahlkampf im Osten: Vizekanzler Robert Habeck in Erfurt Foto: Fo­to: Hannes P Albert/dpa

Aus Leipzig Tobias Schulze

Auf Friedrich Merz ist Verlass. Eben sah es kurz so aus, als ob die Stimmung im Saal abkühlt: von beinahe frenetisch zu gerade noch freundlich. Vizekanzler Robert Habeck sprach über den Terror von Solingen und die nötigen Konsequenzen, auch über Abschiebungen – nichts fürs grüne Herz also. Jetzt schwenkt Habeck aber um auf den Oppositionsführer und dessen Show vom Vortag. Merz’Ruf nach einer nationalen Notlage? „Das ist nicht Problemlösung, das ist unverantwortlich“, sagt Habeck. Und zack: Schon bekommt er wieder begeisterten Applaus.

Es ist Mittwochabend, vier Tage vor der sächsischen Landtagswahl, und die Leipziger Grünen begehen ihren Wahlkampfhöhepunkt mit Habeck als Stargast. Es ist ein Heimspiel: Erstens ist die Großstadt eine grüne Insel im schwarz-blauen Freistaat. Zweitens tragen die Grünen solche Veranstaltungen nur noch selten auf den Marktplätzen aus, wo sie leicht zu stören und zu sprengen wären. Habeck und die drei sächsischen Spit­zen­kan­di­da­t*in­nen sprechen in einem Veranstaltungssaal. Wer dabei sein wollte, musste sich vorab anmelden.

Was heißt: Das Publikum besteht aus Grünen und Leuten, die es gut meinen mit den Grünen. Habeck erhält schon großen Applaus, als er die Bühne betritt und zwischendurch, als er über die Ukraine und die erneuerbaren Energien spricht.

Dann aber ist da eben noch das neue Wahlkampfthema: Der Anschlag von Solingen und die Migrationsdebatte, die sich daraus entsponnen hat. Die sächsischen Grünen halten sich aus der Diskussion bislang weitestgehend raus, anders als der Großteil ihrer Mitbewerber. Auf ihren Social-Media-Kanälen ist zu Solingen wenig zu finden. In Leipzig am Mittwochabend geht vor Habeck nur Justizministerin Katja Meier auf das Thema ein – in zweieinhalb Sätzen, von denen sich zwei ebenfalls gegen die „populistischen Ratschläge“ von Friedrich Merz richten.

Die Leerstelle ist verständlich. Sollte die Debatte am Ende wahlentscheidend sein, wäre es zwar misslich, darin nur am Rande vorgekommen zu sein. Aber positionieren sich die Grünen eindeutig, können sie auch verlieren: Stellen sie sich offensiv gegen Verschärfung, ecken sie möglicherweise bei Wäh­le­r*in­nen in der politischen Mitte an; machen sie Verschärfungen mit, könnten sie am anderen Ende des Spektrums verlieren.

Dazu kommt, dass das Thema über Sachsen hinaus auch innerparteilich nicht geklärt ist. Im linken Flügel gingen vielen schon die Asylrechtsänderungen der letzten Monate zu weit. Aufseiten der Realos dagegen fordert jetzt zum Beispiel Danyal Bayaz, Finanzminister von Baden-Württemberg, weitere „relevante Verschärfungen“.

Si­cher­heits­ex­per­t*in­nen der Bundestagsfraktionen veröffentlichten am Mittwoch ein Papier, in dem sie den Fokus etwas verschieben: Zunächst schreiben sie von einer „Zeitenwende im Inneren“, fordern mehr Geld und neue Strukturen für die Sicherheitsbehörden. Sie schrei­ben aber auch, dass die geltenden Abschiebegesetze „entschlossen“ angewendet werden sollten – nicht nur bei Straf­tä­te­r*in­nen und Gefähr­der*in­nen: „Es darf nicht länger hingenommen werden, dass zehntausende Menschen, die aufgrund vorliegender Voraussetzungen abgeschoben oder überstellt werden könnten, im Land bleiben.“

Und Habeck? In einem ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten Web-Video äußert er sich ähnlich. In Leipzig spricht er den islamistischen Terrorismus als „eines der großen Probleme unserer Zeit“ an. Schnell kommt auch er dann zur Migrationspolitik: Wer das Asylrecht missbrauche, verliere seinen Anspruch auf Asyl, müsse bestraft werden und danach das Land verlassen.

Der Vizekanzler wird zwar nicht konkreter und erklärt beispielsweise nicht, was das für die besonders umstrittenen Abschiebungen nach Syrien oder Afghanistan heißt. Aber was er sagt, reicht aus, um im Saal für Ruhe zu sorgen. Keine Hand bewegt sich zum Applaus. Den gibt es erst wieder, als Habeck im Anschluss mahnt, nicht alle Mi­gran­t*in­nen über einen Kamm zu scheren.

Zum Glück gibt es eben Friedrich Merz und seine großen Forderungen dieser Woche: unbegrenztes Abschiebegewahrsam, Aufnahmestopp für Sy­re­r*in­nen und Afghan*innen, neue Hürden für Einbürgerungen. Man könnte sagen, der Oppositionschef treibe damit die Regierung vor sich her und bringe auch die Grünen in Zugzwang. Man könnte aber auch sagen, dass er die Grünen wieder zusammenbringt: So krass wie Merz will es immerhin keiner von ihnen.