Grüne Ministerin über Schlachthöfe: „Das System ist anfällig für Verstöße“
Wieder steht ein Schlachthof im Verdacht der Tierquälerei. Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte fordert dauerhafte Videoüberwachung.
taz: In Elsfleth ist ein Schlachthof geschlossen worden, wegen des Verdachts auf Tierquälerei. Laut der Tierrechtsorganisation Aninova waren auch Tierhalter beteiligt. Und Elsfleth ist kein Einzelfall. Was läuft schief in der Landwirtschaft?
Miriam Staudte: Das System ist anfällig für solche Verstöße. Die Produktion erfolgt auf der einen Seite unter hohem Preisdruck. Auf der anderen Seite herrscht auch bei den Veterinärbehörden Personalmangel. Das sind schwierige Grundvoraussetzungen, um eine tiergerechte Schlachtung sicherzustellen. Hinweise darauf, dass beim Schlachthof in Elsfleth auch Tierhalter beteiligt waren, liegen uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.
taz: Aninova sagt: „Immer wieder ist auch der amtliche Tierarzt auf den Aufnahmen zu sehen, doch bei Tierquälerei schreitet er nicht ein.“ Braucht es mehr Kontrolleure für Ihre Kontrolleure?
Staudte: Ein Rotationsprinzip wäre wünschenswert, aber dazu ist die Personaldecke leider zu dünn. Es würde sicherstellen, dass nicht immer derselbe Veterinär oder Veterinärin beim selben Schlachthof tätig ist. Das ist ja ein Bereich, wo schnell der Effekt einer Gewöhnung bei allen Beteiligten einsetzen kann.
taz: Inwiefern?
Staudte: Man gewöhnt sich an Abläufe. Ein Problem ist vermutlich auch, dass es leichter zu ertragen ist, dem Töten von Tieren beizuwohnen, wenn man sich nicht ständig vor Augen führt, dass das fühlende Lebewesen sind. Deshalb kommt es bei Schulungen nicht nur darauf an, Wissen zu vermitteln. Dort muss auch reflektiert werden: Was macht ein solcher Job mit mir als Mensch? Ich glaube, dass in der Vergangenheit der Schwerpunkt anders gesetzt war.
49, Grüne, ist seit 2022 Niedersachsens Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie setzt auf die Transformation der Landwirtschaft zu mehr Klimaschutz und Tierschutz.
taz: Wie geht es jetzt in Sachen Elsfleth weiter?
Staudte: Wir haben das ungeschnittene Videomaterial angefordert, um genau zu prüfen, wer wann wo war und wer wann wo hätte einschreiten müssen. Das muss Konsequenzen haben.
taz: Lässt sich der veterinärmedizinische Personalmangel durch technische Unterstützung abfedern?
Staudte: Unsere Forderung ist seit Jahren, das Tierschutzgesetz auf Bundesebene so zu ändern, dass die Videoüberwachung datenschutzrechtlich zulässig ist. Das Bundesministerium hatte eine umfangreiche Tierschutzgesetz-Novelle erarbeitet. Videoüberwachung sollte zumindest für Schlachthöfe ab 1.000 Großvieheinheiten pro Jahr verpflichtend werden. Elsfleth wäre davon betroffen gewesen. Allerdings haben wir jetzt das Ampel-Aus, und es sieht so aus, als ob diese Novelle nicht mehr kommt.
Wird das Leid von Tieren in Schlachthöfen aufgedeckt, ist die Reaktion eigentlich immer: Einzelfall. Einzelfälle wie diese:
Mit Undercover-Videomaterial dokumentierten Tierschützer die Zustände im Schlachthof Elsfleth im niedersächsischen Landkreis Wesermarsch. Es zeigt Tiere, die unbetäubt getötet werden, geschlagen, geworfen, gestapelt und getreten. Immer wieder ist der Amtstierarzt zu sehen, der nicht einschreitet. Der Schlachthof wurde Ende Oktober geschlossen.
Den Schlachthof Temme in Bad Iburg brachten 2018 Tierschützer durch verdeckt gefilmtes Videomaterial zu Fall. Möglich gemacht wurde die systematische Quälerei im Schlachtbetrieb durch abgestumpfte Landwirte, Viehtransporteure und pflichtvergessene Veterinäre. Es gab diverse Gerichtsverfahren, eines gegen zwei Amtstierärzte endete mit Freisprüchen, weil sie zur Anlieferung von Tieren, die gequält wurden, oft nicht vor Ort waren.
Dass Tierquälerei eher Alltag denn Ausnahme ist, zeigt die Datenbank tierschutz-skandale.de, dort sind aktuell sind 219 „Einzelfälle“ dokumentiert.
taz: Gesetzt, die Videoüberwachung wäre verpflichtend: Wer würde diese Materialflut analysieren?
Staudte: Wir müssten das mit KI kombinieren. Es nützt ja nichts, wenn aus Personalmangel keiner Zeit hat, sich das anzusehen.
taz: Im Zuge des Prozesskomplexes zum Bad Iburger Schlachthof Temme wurden Anfang 2023 zwei amtliche Tierärzte freigesprochen, die bei Schlachtungen nicht anwesend gewesen waren, obwohl sie dazu verpflichtet sind.
Staudte: Ein solches Urteil sendet in die Branche meiner Meinung nach ein völlig falsches Signal. Es darf nicht sein, dass man sich nur an den Schlachthofmitarbeitern abarbeitet. Die Kontroll-Verantwortung haben die Mitarbeitenden der Veterinärämter, sie müssen ihrem Auftrag im Sinne des Tierschutzes vollumfänglich nachzukommen.
taz: Was tun Sie gegen den veterinärmedizinischen Personalmangel?
Staudte: Ich bin mit der Tierärztekammer und der Tierärztlichen Hochschule Hannover einig, dass der Studienabschluss von Tierärztinnen und Tierärzten, die aus dem Ausland zu uns kommen, schneller anerkannt werden muss. Dazu arbeiten wir an einer Bundesratsinitiative.
taz: Wäre es nicht besser, die Massentierhaltung ganz einzustellen, die Tiernutzung generell?
Staudte: Wer Bilder wie aus Elsfleth sieht, entscheidet sich vielleicht, seinen Fleischkonsum zu verringern oder ganz auf tierische Produkte zu verzichten. Das ist aber eine persönliche Entscheidung. Unsere politische Leitlinie ist: weniger Tiere, und die besser halten. Klar ist: Das derzeitige System des Preisdrucks ermöglicht es nicht, Tiere so zu halten und zu schlachten, wie die Gesellschaft es sich wünscht. Wir brauchen daher unbedingt einen Tierwohl-Cent oder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer verpflichtend auf alle tierischen Produkte. Sonst werden sich die Standards nicht erhöhen. Wir haben aktuell ein Förderprogramm aufgesetzt, das Betriebe unterstützt, die Tierbestände abbauen und in andere Standbeine investieren wollen.
taz: Wie sehen Sie Tierrechtsorganisationen wie Aninova und Soko Tierschutz, die Missstände ans Licht bringen?
Staudte: Ich würde mir wünschen, dass die Arbeit dieser Organisationen unnötig wäre, aber das kann man im Moment nicht sagen. Dass sie immer wieder Straftaten aufdecken, ist für uns eine Hilfestellung, besser nachzufassen. Nur eine generelle staatliche Videoüberwachung wird dazu führen, dass es nicht mehr zu diesen eigenmächtigen Handlungen kommt.
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