Grüne Kandidaten zur Wahl: Mutlu machts
Aus einem so breiten Bewerberfeld wie nie wählen die Grünen in Mitte den Bildungspolitiker Özcan Mutlu zu ihrem Bundestagskandidaten.
Özcan Mutlu soll in Mitte bei der Bundestagswahl 2013 das bundesweit erst zweite grüne Direktmandat holen. Der dortige Kreisverband bestimmte den Bildungsexperten am Dienstagabend nach mehrstündiger Wahl in erhitzter Atmosphäre zu seinem Kandidaten. Zu den Verlierern gehört Mutlus Fraktionskollege Michael Schäfer, der trotz seiner Rede – der besten des Abends – keine Chance hatte.
Eigentlich sollte bei den Grünen in Mitte die Kandidatenwahl so ablaufen: hart streiten, dann aber wieder gemeinsam beim Sieger stehen. Das klappte allerdings nicht so ganz. Über 130 Grüne drängten sich bei der Mitgliederversammlung im Rathaus Tiergarten – zu den regulären Parteitreffen kommen zumeist nur knapp 30 bis 35 Mitglieder. Regelmäßig Aktive sagten, sie hätten manchen im Saal noch nie gesehen. Wer am besten mobilisiert hat, schien die Frage zu sein. Das klingt negativ, stellt aber eine Grundqualifikation für die Bundestagwahl dar: möglichst viele Befürworter an die Urne zu bringen.
Gut gefüllt war auch die Besuchertribüne. Landeschef Daniel Wesener war da, auch Abgeordnete aus anderen Kreisverbänden wollten sich nicht entgehen lassen, dass so intensiv wie noch nie um eine Bundestagsdirektkandidatur gestritten wurde. Mandate nur über die Landesliste, das war einmal – auch der jetzige Gewinner hat eine Chance.
Fünf KandidatInnen wollten in den Bundestag und saßen als Bewerber auf dem Podium. Vor vier Wochen hatten sie sich bei einer Art politischem Speeddating vorgestellt, jetzt sollte nach kurzen Reden die Entscheidung fallen. Pro Wahlgang sollte der oder die mit dem schlechtesten Ergebnis ausscheiden.
In der ersten Runde erwischte es die Unbekannteste der fünf, in der nächsten beantwortete sich die Frage, ob die beste Rede oder die stärkeren Bataillone entscheiden: Überraschend musste Michael Schäfer gehen, der an diesem Abend so gut gesprochen hatte wie selten. Da waren’s nur noch drei.
Überraschend gut hielt sich der örtliche Bezirksverordnete Tilo Siewert, der nach der dritten Runde sogar vorn lag. Gehen musste sein Namensvetter Thilo Fuchs, der enge Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wieland, der nicht wieder antreten wollte. Nur um eine Stimme lag Fuchs da noch hinter Mutlu. Es war wie im Fußball: Knapp daneben ist auch vorbei. Da waren’s nur noch zwei.
Wo würden die Unterstützer von Fuchs hingehen? Zu Siewert, dem örtlichen Politiker? Oder zu dem landesweit bekannten Mutlu, der lange in Kreuzberg Politik machte, bevor er sich dort als zu wenig linksdogmatisch weggemobbt sah? Mit 57 zu 51 lag Mutlu schließlich vorn.
Für eine pro forma gedachte Schlussabstimmung, die das Pro-Mutlu-Ergebnis in die offizielle Form gießen sollte, die der Landeswahlleiter vorgibt, hätten sich nun alle unterlegenen Bewerber zurückziehen sollen. So hatte sich das der Kreisvorstand vorgestellt. Siewert aber zog sich nicht zurück und vergrätzte die Mutlu-Leute. Auch Fuchs blieb im ersten von zwei Wahlgängen dabei, bevor er seinen Anhängern schließlich Mutlu empfahl.
Der gewann dann auch erneut. Die Stimmung aber war gedämpft, die Botschaft eindeutig: Bevor Özcan Mutlu nächstes Jahr Stimmen von SPD, Nichtwählern und anderen zu den Grünen rüberziehen kann, muss er erst einmal die eigene Partei ganz hinter sich bringen.
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