: Grüne Häutungen in der neuen Mitte
Die Berliner Grünen versuchen sich als Metropolenpartei neu zu definieren. Denn mit ihrem alternativen Image gehen ihnen die jungen Wähler verloren. Doch statt Antworten gibt es bislang vor allem Fragen
Die glitzernden Fassaden des Potsdamer Platzes sind beinahe vollendet, der Hackesche Markt in Berlins neuer Mitte ist längst ein Touristenmagnet, und die Prominenten der alten Republik zieht es in die neue Metropole. Nur die Berliner Grünen scheinen noch nicht angekommen in der neuen Mitte.
Skeptisch beäugen die Hauptstadtgrünen die aus dem Boden gestampfte Metropolenkulisse. Während die Mehrzahl der Berliner die sich rasant verändernde Stadt geradezu euphorisch annimmt, haben die Berliner Grünen größtenteils ein gebrochenes Verhältnis zum neuen Berlin. Doch diese ambivalente Haltung zur Stadt kostet Sympathien.
Deshalb haben sich die Hauptstadtgrünen jetzt eine Metropolendebatte verordnet. Das grüne Programm soll stärker auf die im Umbruch befindliche Stadt zugeschnitten werden. Neben Fragen der Stadtentwicklung, sollen Schwierigkeiten des multikulturellen Lebens ebenso erörtert werden wie die Rolle von Bildung und Wissenschaft für die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt. Es gilt „Lücken und Ungereimtheiten“ im bisherigen Programm aufzuspüren. So hat das grüne Idealbild vom multikulturellen Zusammenleben wenig mit den realen Problem in den Innenstadtbezirken mit hohem Migrantenanteil zu tun.
Doch es geht nicht nur darum, mit grünen Lebenslügen aufzuräumen. Die Partei muss sich programmatisch erneuern und neue Wählerschichten erschließen, wenn sie nicht als Generationenpartei zum Dinosaurier werden will.
Doch bei manchem Grünen löst das neue Berlin vor allem Verlustängste aus. Denn es verdrängt oder transformiert zunehmend Orte, die ein Fixpunkt seines Lebens waren. Zum Beispiel das alternative Kulturprojekt „Tempodrom“. Das Veranstaltungszelt im Tiergarten musste dem Neubau des Bundeskanzleramtes weichen. Nun soll es wieder auferstehen – nicht mehr als Zelt, sondern als Neubau aus Beton. Ein Grüner kommentiert: „Das ist nicht mehr für uns. Das ist für eine neue Klientel.“ Das Verlustgefühl bestimmt die Wahrnehmung.
Aus einer anderen Perspektive betrachte, ließe sich die Veränderung auch positiv werten: Das Tempodrom hat vollzogen, was den Grünen noch bevorsteht: ein Häutungsprozess, der den Aufbruch zu etwas Neuem markiert.
Der grüne Landesvorstandssprecher Andreas Schulze wünscht sich denn auch eine positivere Grundeinstellung zu der Stadt. Solange die Grünen dem neuen Berlin vor allem skeptisch gegenüberstehen, verbauen sie sich den Zugang zu Schichten jenseits der grünen Klientel, lautet seine These. Denn diejenigen, die sich mit der veränderten Stadt identifizieren, würden sich von den Grünen abwenden.
Für Parteilinke wie den Kreuzberger Dieter Lingemann klingt das zu sehr nach „Wir sagen Ja zu Berlin!“ Die Grünen dürften nicht nur die scheinbaren Sonnenseiten wie den Potsdamer Platz betonen. Für ihn ist der Potsdamer Platz „keine neutrale Struktur“. Die Glasbauten seien ein Symbol für die Spaltung der Gesellschaft in Spitzenverdiener und schlecht bezahlte Kräfte. Nur drei Kilometer vom Potsdamer Platz liege der „Verarmungsmittelpunkt“ Kreuzberg.
Bisher ist die Metropolendebatte nur schleppend in Gang gekommen. So manches Thema birgt Sprengstoff: Wie stehen die Grünen etwa zu den Biotechnik-Standorten Berlins? Auf anderen Feldern ist es objektiv schwierig, Auswege zu finden: Jugendliche Migranten, die in einen Teufelskreis aus schlechter Schulbildung und Perspektivlosigkeit geraten, sind ein Konfliktpotenzial, das sich nur bedingt auf lokaler Ebene entschärfen lässt. Lingemann gesteht: „Wir haben gar keine Lösung.“ Das ist zumindest eine ehrliche Antwort.DOROTHEE WINDEN
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