Grüne Finanzpolitikerin über Wirecard: „Scholz' Aussagen waren dünn“
Die grüne Finanzpolitikerin Lisa Paus ist unzufrieden mit den Wirecard-Aussagen vom Bundesfinanzminister – und droht mit einem Untersuchungsausschuss.
taz: Frau Paus, der Finanzausschuss des Bundestages hat bis in den späten Mittwochabend über den Bilanzbetrug bei Wirecard beraten. Finanzminister Scholz ist bei der Befragung bei der Linie geblieben, dass sich die Finanzaufsicht nichts vorwerfen lassen muss. Wie bewerten Sie das?
Lisa Paus: Die Aussagen von Herrn Scholz waren sehr dünn, und ich glaube nicht, dass das tragen wird. Seine Hauptargumentation war: Wir haben immer alles getan, was wir hätten tun können. Als es 2019 den Vorwurf der Marktmanipulation gegen Wirecard gab, habe die Finanzaufsicht Bafin in alle Richtungen ermittelt. Sie habe nicht anders gekonnt, als die DPR, die Deutsche Prüfstelle für Rechungslegung, mit einer Prüfung zu beauftragen. Wir haben auch den Präsidenten der DPR, Edgar Ernst, angehört. Er hat klar gesagt, dass die DPR gar nicht in der Lage ist, Bilanzfälschung aufzudecken. Sie muss immer davon ausgehen, dass die Angaben der Unternehmen richtig sind. Bilanzfälschung zeichnet sich aber dadurch aus, dass bewusst falsche Angaben gemacht werden.
Scholz war nach der Befragung zufrieden. Zu Recht?
Der große Befreiungsschlag für Herrn Scholz war das sicherlich nicht. Er hat sich darauf zurückgezogen, dass die Gesetze zu dem Zeitpunkt des Bilanzbetrugs bei Wirecard so schlecht waren, wie sie waren. Wir bezweifeln, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hat, als die DPR zu beauftragen. Wenn Gesetze nicht ausreichen, muss man sie ändern.
51, ist seit 1995 Grünen-Mitglied, seit 1999 Mitglied des Abgeordnetenhauses und seit 2009 Bundestagsabgeordnete. Die Diplom-Volkswirtin und Finanzexpertin ist Mitglied des Finanzausschusses.
Muss Minister Scholz Konsequenzen bei der Finanzaufsicht Bafin ziehen?
Unbedingt! Die Bafin braucht einen echten Neustart. Sie hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Skandalen nicht aufgedeckt, zum Beispiel den Steuerraub durch Cum Ex oder den bei P&R, die Container als Kapitalanlagen verkauft haben, die nie existierten. Wir wollen einen agilen Finanzmarktwächter mit kriminalistischem Gespür. Einen starken Aufseher und keinen Wegseher. Länder wie die USA sind da schon viel weiter. Außerdem gibt es bisher keinen Bereich in der Bafin, der für Anleger- und Verbraucherschutz zuständig ist. Der Präsident der Bafin, Felix Hufeld, hat immer gesagt, seine Behörde könne nicht mehr machen, aber er hat sich nie dafür eingesetzt, mehr Kompetenzen zu bekommen. Deshalb brauchen wir auch einen personellen Neustart.
Hat die Sondersitzung des Finanzausschusses neue Erkenntnisse über den Wirecard-Skandal gebracht?
Wir haben neue Unterlagen bekommen, zum Beispiel zum Themenkomplex Geldwäsche und zu der Sonderprüfung von KPMG. Der Konzern wurde offenbar immer wieder so umgebaut, um der Aufsicht und der Regulierung zu entgehen. Auch im Bereich der Geldwäscheaufsicht. Dass die Bafin das sehenden Auges hingenommen und akzeptiert hat, obwohl Wirecard hochriskante Kunden aus dem Glücksspiel- und Pornometier hatte, können wir nicht nachvollziehen. Wenn man sich den vollständigen KPMG-Bericht anschaut, macht es einen sprachlos, dass den Wirtschaftsprüfern über eine so lange Zeit nichts aufgefallen sein soll.
Wird es einen Untersuchungsausschuss geben?
Der ist seit gestern wahrscheinlicher geworden. Es gibt einen massiven Aufklärungsbedarf. Andererseits haben wir jetzt Sommerpause, und es würde bis November dauern, bis ein Untersuchungsausschuss die Arbeit aufnehmen könnte. Aus Erfahrungen wissen wir: Ein Untersuchungsausschuss muss gründlich vorbereitet werden. Bei der Einsetzung hat man nur einen Schuss, der muss sitzen. Es geht hier nicht um eine Showveranstaltung, sondern um zügige Sachaufklärung und echte Reformen.
Wie geht es weiter?
Wir werden eine weitere Sondersitzung beantragen. Wir wollen auf jeden Fall das Bundeskanzleramt, die Bezirksregierung Niederbayern und die zuständige Behörde für Geldwäsche, die dem Finanzminister untersteht, anhören. Wir müssen alle Instrumente prüfen. Es gibt auch die Möglichkeit, einen Sonderermittler einzusetzen.
Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) war vorgeladen, weil er für die Kontrolle der Wirtschaftsprüfer verantwortlich ist, denen Versagen vorgeworfen wird.
Auch von Hern Altmaier war ich enttäuscht. Wenn wir eine schärfere Regulierung bei den Wirtschaftsprüfern hätten, wäre der Fall Wirecard nicht geschehen. Dass wir sie nicht haben, liegt in der Verantwortung der jetzigen Koalition. In der letzten Legislaturperiode gab es ein Reformvorhaben auf EU-Ebene, weil seit Langem klar ist, dass es hier Defizite gibt. Am Ende hat sich die Lobby durchgesetzt und Deutschland hat eine der laxesten Regulierungen für Wirtschaftsprüfungen in der EU. Trotzdem hat Herr Altmaier gestern gesagt, er müsste erst mal mit Wissenschaftlern und Experten beraten. Aber die Diskussion ist abgeschlossen, alle Argumente liegen auf dem Tisch. Jetzt ist die Zeit des Handelns. Weiteres Verzögern bedeutet nur, dass man den Lobbyisten, die das verwässern wollen, Tür und Tor öffnet. Ich erwarte, dass Minister Altmaier zügig einen Gesetzentwurf vorlegt.
Herr Scholz hat einen, wie er sagt, Aktionplan vorgelegt. Reicht das, was er da ankündigt?
Das ist kein Aktionsplan, das ist eine Prüfliste. Konkret will Minister Scholz eine kleine Reform bei der Bafin, damit sie schneller eine Sonderprüfung beauftragen kann. Mehr Konkretes wissen wir nicht. Alle anderen Punkte sind „Könnte“, „Wäre nett“, „Sollte man mal drüber nachdenken“. Das ist zu wenig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!