Grüne Aufmerksamkeitsökonomie: „Egotrip ohne Wirkung“

Wie schaffe ich es als Oppositionspolitiker in die Medien? Ein Grünen-Abgeordneter führt vor, wie man geschickt mit den Medien spielt.

Journalisten vor Wahlplakat

Das Spiel mit den Medien ist für Politiker wichtig – sehr wichtig. Foto: Reuters

BERLIN taz | Als Grüner prominent in die Medien zu kommen, ist ja nicht mehr ganz einfach. Man sitzt in der Opposition, hat also wenig zu sagen. Dank der Doppelspitzen gibt es viele sendungsbewusste ChefInnen, die alle zu Wort kommen wollen. Um als Grünen-Politiker kurz vor einem Parteitag Aufmerksamkeit zu erregen, muss man sich also etwas einfallen lassen.

Der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek hat dazu jetzt eine kleine Handreichung für interessierte Nachwuchspolitiker geliefert. Ganz wichtig ist ein engagierter Start: Formuliere eine Position, die dem eigenen Programm widerspricht. Es muss nach Streit klingen, nach Kampfansage, das lieben Journalisten.

In Janeceks Fall geht es um einen Antrag zur Flüchtlingspolitik. Darin schlug der Wirtschaftsexperte der Fraktion vor gut zwei Wochen mit rund 20 anderen Grünen vor, die Forderung vorerst aufzugeben, das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen.

Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Dieses umstrittene Gesetz behandelt Asylbewerber schlechter als Hartz IV-Empfänger. Es definiert einen verfassungsrechtlich problematischen Standard, der noch unter dem Existenzminimum liegt. Die Grünen, die bekanntlich ein großes Herz für Flüchtlinge haben, kritisieren das Gesetz seit Langem. Janecek argumentierte plötzlich für einen Kurswechsel – aus finanziellen Gründen. Die Streichung zum jetzigen Zeitpunkt wäre „eine finanzielle Katastrophe“ für Länder und Kommen, schrieb der Abgeordnete.

Wow, eine Bombe!

Wow, das schien eine Bombe zu sein. Schwenken die Grünen überraschend angesichts der hohen Flüchtlingszahlen? Kommen die Sozialromantiker endlich zur Vernunft? Oder verrät die Ökopartei ihre Grundwerte beim Asylrecht?

Prompt lief die mediale Maschine an. „Grüne stellen Grundsätze ihrer Asylpolitik infrage“, titelte die Welt. Das Handelsblatt zog nach und berichtete ausführlich über den Streit „über Leistungen für Asylbewerber“. Auch die taz brachte eine Kurzmeldung.

Alles schien also auf einen brisanten Parteitag hinauszulaufen. Auf eine harte Kontroverse, auf heisere Stimmen am Mikrophon, auf wütende Gegenreden. Wie gesagt: Alles schien. Bis, nun ja, bis Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Mittwoch Journalisten die Antragslage erklärte, so wie er das immer vor Parteitagen tut. Janecek habe seinen Antrag zurückgezogen, sagte Kellner beiläufig. „Über das Asylbewerberleistungsgesetz wird nicht abgestimmt.“

Wie jetzt? Doch kein Streit, nirgends? Warum nicht? Anruf bei Janecek. Er sieht den Rückzug als Erfolg. „Die Antragskommission hat eine Neufassung des entsprechenden Absatzes vorgeschlagen, der wir als Antragssteller zustimmen.“ Tatsächlich hat der Vorstand den Absatz im Leitantrag etwas anders formuliert. Aber von Janeceks Ziel ist nirgendwo die Rede. Stattdessen betont der Antrag, dass die Grünen das verfassungsrechtlich problematische Gesetz weiter abschaffen wollen.

„Unausgegorener Schnellschuss“

Bleibt die Frage: Ging es dem Abgeordneten vielleicht von vornherein um die Zeitungsartikel, nicht um einen Sieg auf dem Parteitag? Luise Amtsberg, die Flüchtlingsexpertin der Fraktion, deutete das so. Der Vorstoß sei ein „fachlich völlig unausgegorener Schnellschuss, der mehr der eigenen Profilierung diente, als der Weiterentwicklung grüner Programmatik.“ Auch der Abgeordnete Volker Beck kritisierte: „Was ist das für ein Demokratieverständnis, vor einem Parteitag wilde Forderungen einseitig in den Medien zu platzieren und die Diskussion mit der Partei zu fürchten.“ Hinter vorgehaltener Hand lästern Grüne über einen „öffentlichkeitswirksamen Egotrip ohne Wirkung“.

Das Phänomen lässt sich in der Tat bei den Grünen öfter beobachten. Interessanterweise sind es eher Vertreter des Realo-Flügels, die sich nach eindrucksvollen Medienaufschlägen die Debatte auf Parteitagen sparen.

Als die Grünen zum Beispiel 2013 über ihr Bundestagswahlprogramm abstimmten, kritisierte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vorher in einem großen Interview die Steuerpläne der eigenen Partei. Auch andere Realos, etwa Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, warnten in Zeitungen vor Steuererhöhungen. Doch auf dem Parteitag löste sich die angebliche Revolte gegen das linksgrüne Programm in Luft auf. Kein wichtiger Änderungsantrag stand zur Debatte.

Wenn man das alles positiv sehen will, könnte man sagen: Das geschickte Spiel mit den Medien gehört für Politikprofis dazu, ja, es kann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Aber im Kern geht es auch um eine demokratietheoretische Frage. Der Parteitag ist das höchste Gremium der Grünen. Wenn den Delegierten suggeriert wird, es gäbe eine wichtige Frage zu entscheiden, sollten sie nicht auch die Gelegenheit dazu bekommen?

So sieht es jedenfalls Bundesgeschäftsführer Kellner. Er hätte gerne gesehen, das Janecek auf dem Parteitag für seinen Vorschlag zum Asylbewerberleistungsgesetz gekämpft hätte. „Wenn ein Thema so große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommt, sollte darüber abgestimmt werden.“

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