Gründergeist in Israel: Unorthodox handeln
Keinen Fernseher im Haus, aber ein Start-up gründen? Wie Israels Haredim das Internet koscher machen, um die Familie zu ernähren.
Wenn wenig Verkehr ist, kann man es in 20 Minuten von Tel Aviv nach Bnei Brak schaffen. Sari Roth sagt, ihr kam es lange so vor, als wäre Tel Aviv, das Gründerzentrum am Strand, Lichtjahre entfernt. Roth ist eine ultraorthodoxe Jüdin, eine Haredim, wie sie sich selbst bezeichnen. 2007 hat sie in ihrer Heimatstadt Bnei Brak ein Start-up gegründet. Dort laufen in manchen Straßen die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite, der Sittsamkeit wegen.
„Wir saßen in Bnei Brak und haben gewartet“, sagt Roth, 39, heute. „Wir haben keine Konferenzen besucht, null Networking betrieben. Wir wussten es einfach nicht besser.“ Roth war außen vor, fragen konnte sie niemanden. Es gibt viele Synagogen in Bnei Brak, aber wenige Gründer. Lange interessierte sich kein Investor für die Idee einer ultraorthodoxen Frau und ihr Start-up Bontact. Die beiden Blasen, die Gründerszene Tel Avivs und die religiöse Welt des ultraorthodoxen Bnei Brak, sie berührten sich nicht. Erst vor ein paar Monaten, Ende 2014, fand Roth Investoren, war plötzlich im Spiel.
„Es war nie leicht, weil wir Haredim nicht zum Gründen geboren sind“, sagt Roth. „In unserer Gesellschaft gibt es keinen Gründergeist wie im Rest von Israel.“
Mit dem Rest von Israel meint Roth den Teil, den Israelis stolz Silicon Wadi nennen – eine Anspielung auf das Silicon Valley in Kalifornien. Das kleine Israel mit seinen acht Millionen Einwohnern ist eines der innovativsten Länder der Welt. Es beherbergt eine boomende Start-up-Szene, die seit Jahren erfolgreiche Tech-Firmen hervorbringt. ICQ zum Beispiel oder Waze, das 2013 für rund eine Milliarde Dollar von Google aufgekauft wurde.
Eine abgeschirmte Welt
In Tel Aviv, Herzliya und Haifa im Norden drängeln sich Gründer, Wagniskapitalgeber und Dependancen großer Firmen wie Intel, IBM und Microsoft auf engem Raum zusammen. Auf 1844 Israelis komme ein Gründer, rechnen Dan Senor und Saul Singer in ihrem Buch „Start-up-Nation Israel“ vor. Börsengänge und Unternehmensverkäufe der israelischen Hightech-Industrie brachten 2014 rund 15 Milliarden US-Dollar ein, hat Pricewaterhouse Coopers ermittelt. Es sind Erfolge einer Branche, in der Ultraorthodoxe nicht mitmischen. Bisher.
Zahlen: Weltweit gibt es 14 Millionen Juden, davon sind etwa 1,5 Millionen ultraorthodox. In Israel machen sie 12 Prozent der Bevölkerung aus, wegen der hohen Geburtenrate steigt ihr Anteil. Ultraorthodoxe bezeichnen sich selbst als Haredim, als Gottesfürchtige.
Regeln: Nicht zu verwechseln sind die Haredim mit orthodoxen Juden, die nicht streng abgeschirmt von der modernen Gesellschaft leben, aber etwa die Sabbatregeln beachten und sich koscher ernähren.
Wirtschaft: Die Mehrheit der Ultraorthodoxen lebt in Armut. 80 Prozent aller Haushalte haben weniger als 1.600 Euro zur Verfügung, für durchschnittlich acht Personen. 37 Prozent der Männer und etwa 50 Prozent der Frauen gehen einer Arbeit nach. Das Berufsleben darf sich im ultraorthodoxen Judentum durchaus von den strengen Regeln der Gemeinschaft unterscheiden. Entscheidend ist dafür nicht nur, was die Tora lehrt, sondern die Erlaubnis des Rabbiners.
Das Leben als Ultraorthodoxer in Israel spielt sich in einer vom Rest der Gesellschaft abgeschirmten Welt ab. Die Haredim wohnen in eigenen Vierteln, mit eigenen religiösen Schulen und eigenen Regeln. Was zählt, ist das Wort des Rabbis. Die Tora und der Talmud sind für viele die einzigen Wegweiser durch den Alltag.
Errungenschaften und Trends der digitalen Revolution dringen nicht in diese Welt vor. In den Vierteln der Orthodoxen gibt es in den meisten Haushalten nicht mal einen Fernseher. Am Sabbat, dem heiligen Tag der Juden, ist Arbeit, sogar das Benutzen des Lichtschalters, nicht erlaubt. Als ein Busunternehmen Bildschirme in den Jerusalemer Bussen installieren wollte, protestierte die ultraorthodoxe Gemeinde.
Karriere führt vom religiösen Leben weg
Zu Hause ist das Internet Sperrzone. In ultraorthodoxen Nachbarschaften wie Bnei Brak hängen stattdessen Zeitungen an den Wänden, jeden Tag werden sie neu tapeziert. Wenn Sari Roth morgens von ihrer Wohnung zu ihrem Büro läuft, kommt sie vorbei an Wandzeitungen, die das Internet verfluchen. Ein Plakat warnt vor Smartphones, es zeigt das Bild eines Babys, das „Papa, hilf mir!“ ruft.
Die Nachrichten werden vom Rabbiner ausgewählt – und angepasst: Beim Trauermarsch für die Opfer der Pariser Anschläge retuschierte eine ultraorthodoxe Zeitung Angela Merkel einfach aus der Reihe der Regierungschefs, eine Frau im Bild störte. Das Fenster zum Rest der Welt, für Ultraorthodoxe ist es klein.
Viele junge Israelis knüpfen während des dreijährigen Armeedienstes Netzwerke und kommen in Kontakt mit innovativen Technologien. Die Geheimdiensteinheit 8200 etwa gilt als Kaderschmiede für spätere Tech-Gründer. Ultraorthodoxe verpassen das. Sie verweigern in den allermeisten Fällen den Dienst, den Männer und Frauen gleichermaßen ableisten müssen. Karriere machen oder ein Unternehmen leiten, das sind Dinge, die von einem religiösen Leben wegführen.
Beten: Der jüdische Mann darf zwar allein beten, besser ist es aber, wenn er das vorgeschriebene täglich dreimalige Gebet in einer Gruppe von zehn Leuten verrichtet. Um in der Umgebung Gleichgesinnte zu finden, gibt es die App „Minyan Now“. Die Anwendung registriert jeden über 13, der in einem Radius von 10 Minuten Fußweg die App auf seinem Smartphone geladen hat. Dann kann man sich zum „Minyan“ verabreden. So wird das Quorum von zehn oder mehr mündigen Juden bezeichnet, das nötig ist, um einen vollständigen jüdischen Gottesdienst abzuhalten.
Heiraten: Orthodoxe Juden lassen ihren Ehepartner von Verwandten, engen Freunden oder professionell ausgebildeten Heiratsvermittlern aussuchen. Immer mehr Orthodoxe versuchen es aber auch über ordinäre Dating-Apps. So kann man unter der App „Coffee Meets Bagel“ potenzielle Partner anhand von Angaben zu Alter, Religion und Herkunft finden. Einen Vermittler gibt es aber nicht. Anders beispielsweise bei der unter Orthodoxen beliebten Website „Saw You at Sinai“: Hier werden über 30.000 quality jewish singles über einen speziellen Heiratsvermittlerservice angeboten. Eine „Orthodox Only“-Sektion gibt es bei beiden Anwendungen allerdings nicht.
Koscheres Handy: Ultraorthodoxe sind der Ansicht, dass das Internet schädlich ist. Koschere Smartphones sind deswegen heiß begehrt. Der israelische Mobilfunkanbieter Accel Telecom bietet ein koscheres Handy an: Sämtliche Funktionen wurden ins Jiddische übersetzt. Das Handy ist nicht internetfähig, schließt also den Gebrauch von E-Mail, Facebook, Twitter etc. aus. Es hat keine Kamera und keine SMS-Funktion, die Klingeltöne bestehen aus orthodoxen Volksmusikstücken. Wer am Sabbat telefoniert, zahlt fast zwei Euro pro Minute.
Timing: Das Wichtigste für orthodoxe Juden ist präzises Timing. Ihr Tagesablauf ist durch strikte Zeiten (Zmanim) vorgegeben. Für die Apple Watch gibt es bereits mehrere Apps, die sie zur „Kosher Watch“ machen sollen, unter anderem von der New Yorker App-Schmiede Rusty Bricks. Die App soll die wichtigsten Zmanim anzeigen: Gebetszeiten oder die 18 Minuten vor Sonnenuntergang, wenn die Sabbatkerzen angezündet werden müssen, aber auch Segenssprüche, wenn man einen Regenbogen sieht, und den Weg zum nächsten koscheren Lebensmittelladen oder Restaurant. (akr)
Das Ideal der Ultraorthodoxen sieht anders aus: Den Männern ist ein Leben als Toragelehrter vorbehalten, während die Frauen fürs Geldverdienen zuständig sind und sich um die Familie kümmern. Nach der Grundschule lernen viele Jungen daher an religiösen Schulen weiter. Kein Mathe, kein Englisch, nur die Religion. Nur etwa 45 Prozent der ultraorthodoxen Männer haben laut Israels Wirtschaftsministerium einen Job.
Aber die strengen Regeln weichen auf. Immer mehr Ultraorthodoxe sind bereit, sich der modernen Arbeitswelt anzunähern. Sie können sich ihre Weltferne nicht mehr leisten. Viele sind extrem arm. 80 Prozent aller Haredim-Haushalte haben im Monat weniger als 7.400 Schekel (1.600 Euro) zur Verfügung, hat Eitan Regev vom Taub Center für Israelstudien errechnet – für einen Haushalt von durchschnittlich acht Personen. Dabei sind die Lebenshaltungskosten in Israel höher als in Deutschland.
„Auch wenn die Ultraorthodoxen Angst haben, ihren Lebensstil zu verraten: Wenn man kein Essen für seine Kinder kaufen kann, ist man zu Kompromissen bereit – und schaut auch beim Nachbarn nicht mehr so streng hin“, sagt Regev.
Ein zwiegespaltenes Verhältnis
Der Arbeit zuliebe nehmen es viele Ultraorthodoxe zum Beispiel mit dem Netzverbot nicht mehr so genau – solange der Rabbiner es erlaubt. Sari Roth und ihr ebenfalls ultraorthodoxer Geschäftspartner Tzvi Cohen entwickelten mit Bontact eine Software, die Kunden auf ihrer Homepage einbinden und darüber ihren Kundenservice abwickeln können, egal ob sie einen Live-Chat oder eine Hotline anbieten wollen. In ein paar Sekunden lässt sich das Programm auf jeder Seite einbinden.
Für Roth ist ihre Arbeit mit dem Netz kein Problem, solange sie es ansonsten meidet und nicht für ihr Vergnügen benutzt. Nachrichtenseiten, soziale Netzwerke oder Apps sind also weiter tabu. „Die Leute sagen mir, dass das als Gründerin einer Tech-Firma nicht geht, aber ich will das so.“
Das zwiegespaltene Verhältnis zum Netz zeigt sich auch auf Roths Schreibtisch. Vor ihr liegen zwei Handys. Mit manikürten Fingernägeln tippt sie abwechselnd auf eines der beiden ein. Ein Handy ist für die Familie, das andere fürs Geschäftliche. Das Familienhandy ist offline, ein spezieller, koscherer Vertrag verhindert das Schreiben von SMS und die Verbindung mit dem Internet.
Auch bei ihrem Computer daheim versucht sie, Netzzugang und religiöse Internet-Enthaltsamkeit zu vereinbaren. Von dort kann Roth nur E-Mails abrufen, einen Browser gibt es nicht. Netto Mail heißt das Programm. „Ohne Netto Mail könnte ich nicht überleben“, sagt Roth lachend. Sie muss erreichbar sein.
Unternehmensgründerin mit sieben Kindern
Die Zeit, Arbeitsmails zu lesen, ist jedoch knapp: Roth und ihr Mann haben sieben Kinder, was in etwa Durchschnitt ist für eine ultraorthodoxe Familie. Wenn sie abends nach Hause kommt, wartet jede Menge Arbeit auf sie. Sie wäscht, kocht für die Kinder, erledigt Hausarbeiten.
„Manchmal denke ich, das alles zusammen, Firma und Familie, ist unmöglich zu schaffen. Aber es geht, und mein Glaube an Gott gibt mir die Kraft dazu.“ Geheiratet hat sie mit 19 Jahren. Wie es für eine Haredim-Frau typisch ist, trägt sie gedeckte Farben. Der schwarze Rock ist wadenlang, die Beine stecken in blickdichten grauen Strümpfen.
Dass Roth mittlerweile immer mehr ultraorthodoxe Gründerkollegen hat, ist Phase zwei der langsamen Öffnung der Gemeinschaft in Richtung Arbeitsmarkt, beschreibt Ben Weiner. Er leitet einen Crashkurs für ultraorthodoxe Tech-Gründer am Jerusalem College of Technology und sagt: „Noch sind in der israelischen Gründerszene nur sehr wenige Haredim aktiv. Aber das verändert sich gerade rasend schnell.“
Wer sich seine Wohnung nicht mehr leisten kann, landet nicht immer am Stadtrand – aber meist in einem anderen Leben. Was passiert, wenn Menschen ihr Viertel verlassen müssen? Und was bringt die Mietpreisbremse? Die Titelgeschichte "Wo die Verdrängten heute wohnen" lesen Sie in der taz.am wochenende vom 30./31. Mai 2015. Außerdem: Im bayerischen Elmau treffen sich sieben Staats- und Regierungschefs, die gern in der Welt den Ton angeben. Soll man gegen G7 protestieren? Und: Dirk van Gunsteren überträgt die großen amerikanischen Romanciers ins Deutsche. Ein Gespräch über Thomas Pynchons Männerfantasien und über Romane, die Geschichtsbücher sind. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Sein Jerusalemer Yazam-BaLev-Programm, übersetzt: im Herzen Unternehmer, will 17 Teilnehmer, alles ultraorthodoxe Männer, in drei Monaten fit machen für ein Leben als Gründer und ihnen die Regeln der Start-up-Szene nahebringen. Wie gewinnt man Investoren, wie zieht man eine Webseite hoch, was ist ein Elevator Pitch? Alles Dinge, in denen die Haredim Nachhilfe brauchen. Aber Weiner sagt: „So viele 19 oder 20 Jahre alte Kids ohne viel Erfahrung starten in Israel doch auch eine Firma.“ Es gebe keinen Grund, warum nicht auch Haredim ein Start-up gründen könnten.
Die eine, gute Idee
In den vergangenen Jahren hätten sich Tausende Ultraorthodoxe, unterstützt durch staatliche Programme oder Kurse, Know-how im Tech-Bereich angeeignet und zum Beispiel eine Programmiersprache gelernt, um einen Job zu finden. Denn auch in Israel gilt: Die Tech-Branche zahlt gut und ständig werden neue Arbeitskräfte gebraucht. „Aber auch unter den Tech-affinen Ultraorthodoxen gibt es einige, denen es nicht ausreicht, irgendwo angestellt zu sein. Sie haben eigene Ideen und wollen sie mit einer eigenen Firma umsetzen“, erzählt Weiner.
Zwar hätten ultraorthodoxe Gründer viele Nachteile gegenüber besser ausgebildeten und vernetzen Wettbewerbern. Entscheidend ist jedoch auch für Forscher Regev etwas anderes: „Wenn man ein Start-up gründet, genügt die eine, gute Idee.“ Dass die Ultraorthodoxen Außenseiter sind, könnte dann sogar ein Vorteil sein. „Haredim denken ganz anders und haben einen frischen Blick auf Dinge, die für uns seit Jahren selbstverständlich sind.“
Das israelische Wirtschaftsministerium ermutigt Ultraorthodoxe ebenfalls, jetzt zu gründen. Seit Jahren fördert es praxisorientierte Bildungsprogramme für Haredim. Ein neues Förderprogramm extra für Gründer stellt ihnen bis zu 2 Millionen Schekel, etwa 452.000 Euro, in Aussicht. Für jeden Schekel, den sie zudem von Investoren eintreiben, können die religiösen Gründer noch mal 5,6 Schekel vom Staat bekommen, als Darlehen oder Kapitalbeteiligung. Für Ultraorthodoxe ist es gerade so leicht wie nie, an Kapital zu kommen.
Die Frau verdient das Geld
Der israelische Staat fördert die Ultraorthodoxen in eigenem Interesse. Denn die Idee des erwerbslosen männlichen Toragelehrten ist auch ein Problem für den Sozialstaat, sagt Forscher Regev. Zumal der Anteil der Ultraorthodoxen rasant steigt: 2030 werden sie 18 Prozent der Bevölkerung stellen, zwei Millionen Menschen. Aktuell sind etwa 12 Prozent der Israelis ultraorthodox.
Auch in Roths Familie ist allein sie es, die das Geld verdient, ihr Mann studiert die Tora. Stolz erzählt sie von den zwei religiösen Bücher, die er bereits veröffentlicht hat. Niemals hätte sie gewollt, dass ihr Mann seine Studien aufgibt, um ein zweites Gehalt nach Hause zu bringen.
Als die Familie wuchs und ihr Bürojob nicht mehr genug einbrachte, um davon leben zu können, begann Roth, sich nach besseren Einkommensquellen umzusehen. Auf dem Papier hatte Roth aber kaum Qualifikationen vorzuweisen. Eine Bewerbung auf eine gute Stelle bei einem Unternehmen hätte keinen Erfolg gehabt – ohne Uniabschluss in einem Land voller Akademiker.
In Roth wuchs der Gedanke, dass sie mehr kann, als nur einen Gehaltsscheck nach Hause zu tragen. „Ich war schon immer kreativ und habe darauf gewartet, dass sich etwas anderes auftut für mich.“ Roth findet, sie könne vieles, was Papiere nicht aussagen können: mit Menschen umgehen, andere begeistern. Sie ist Autodidaktin, sagt sie von sich selbst. Auf ihr perfektes Englisch ohne den harten hebräischen Akzent ist sie besonders stolz. Also beschließt Roth, sich selbstständig zu machen.
Nach sechs Jahren die erste Visitenkarte
Sie kündigt den sicheren Job und setzt das Ersparte der Familie 2007 auf ihr Start-up, den Bontact-Vorläufer Call Me. Die Familie will Roth helfen, etwas Besseres für sich und die Familie aufzubauen. Ohne die Unterstützung ihres Mannes hätte sie den alten Job behalten, sagt Roth. Den Kontakt zu ihrem heutigen Geschäftspartner Cohen stellt Roths Schwager für sie her. Gemeinsam mit Cohen schmiedet das Ehepaar Roth erste Pläne und fängt an zu rechnen. Roth beschließt, das Risiko einzugehen.
Die ersten Jahre als Gründerin verlaufen schleppend. Die Bank ruft an, fragt nach dem Gehalt, das sonst immer regelmäßig gekommen ist. Roth muss passen. Die Wende kommt auf einem Präsentationstag von Microsoft im Dezember 2013 in Herzliya. Auch die freie Wirtschaft bemüht sich jetzt um gläubige Berufseinsteiger und organisiert Präsentationstage nur für ultraorthodoxe Gründer. „An diesem Tag habe ich zum ersten Mal meine Visitenkarten verteilt, nach sechs Jahren Unternehmertum“, sagt Roth.
Ein Strippenzieher der israelischen Start-up-Szene, Yossi Vardi, hört Roths Vortrag und setzt sich für sie ein. Es melden sich Investoren, Roth ist auf einmal gefragt – und muss viel Aufklärungsarbeit leisten. „Die Investoren waren misstrauisch, sie haben gefragt, ob wir für einen Termin überhaupt ins Ausland fliegen könnten und ob wir die Technik verstehen würden.“
Roth kann überzeugen und holt Ende 2014 Geldgeber an Bord. Mit dem frischen Kapital will sie jetzt neue Mitarbeiter anstellen. Auch wenn sie Ultraorthodoxe als extrem fleißig und zielstrebig beschreibt: In ihrer Firma sei nicht nur Platz für Religiöse. Sie könne sich auch vorstellen, Säkulare anzustellen.
Der Umzug in neue, größere Büros ist schon beschlossen. In Bnei Brak sucht Roth nicht. Am liebsten würde sie mit Bontact nach Ramat Gan gehen, sagt sie. Das liege auf halber Strecke zwischen Tel Aviv und Bnei Brak. Ein guter Standort für jemanden wie sie, findet Roth. Sie glaubt: Der Gründungsboom in der Welt der Ultraorthodoxen hat gerade erst begonnen. „Wir sind die Pioniere, und andere werden nachkommen. In ein paar Jahren wird die Hightech-Welt wegen uns Haredim ganz anders aussehen.“
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