Groteske aus dem Polizeigewahrsam: Blocked in Turkey
Unser Autor wollte über die Kommunalwahl in der Türkei berichten. Einreisen durfte er nicht – aus der Zelle heraus twittern schon.
Natürlich will ich dabei sein, wenn in der Türkei gewählt wird. Und ich will am nächsten Tag dort sein, selbst wenn fast alle meine Freunde eher ängstlich als hoffnungsvoll auf diesen Tag blicken. Oder gerade darum. Das Ticket habe ich vor Wochen gebucht. Donnerstagabend, Tegel-Atatürk.
Bei der Passkontrolle in Istanbul suche ich mir einen Polizisten aus, der etwas schläfrig wirkt. Aus Gewohnheit. Aber auch, weil ich bei meiner Ausreise vor ein paar Wochen Probleme hatte. Ich war bei den Recherchen für mein Buch „Taksim ist überall“ etwas länger als die drei Monate im Land geblieben, die man als deutscher Staatsbürger ohne Visum bleiben darf. 200 Euro Strafe hat mich das gekostet. Was ich nicht weiß: Man hat gegen mich eine Einreiseverbot von drei Monaten verhängt. Der Polizist ist zwar schläfrig, aber nicht sein Computer, der diese Meldung ausspuckt.
Ein anderer Polizist bringt mich zum Schalter für Problemfälle. Ich beschwere mich, dass man mich über dieses Verbot nicht informiert hat. „Wenn Sie jemanden töten, wissen Sie auch, dass Sie dafür bestraft werden“, antwortet er. Der Typ ist ein Arsch. Aber er schafft es, mich sprachlos zu machen. Was soll man darauf antworten?
Dann bringt mich ein anderer Beamter zur Flughafenwache. Er ist höflicher und hat Verständnis, kann aber nichts tun. Bei solchen Visumsverstößen werde manchmal ein Einreiseverbot verhängt, manchmal nicht, erläutert er. Wovon das abhängt, weiß er nicht, wie mir das auch später niemand sagen kann.
Auf der Wache will der Polizist wissen, welche Wertsachen ich bei mir habe. Bin ich jetzt festgenommen? „Nein“, antwortet er. „Sie sind unser Gast.“ Das brauche er nur fürs Protokoll. Er notiert: Zwei Telefone, Ipad, 140 Euro und 80 Türkische Lira. Dann bringt mich ein Mitarbeiter der Flughafensicherheit in eine Sammelzelle. Neonlicht. Spreachanlage. 15 Klappbetten, auf einigen schlafen schon welche, dazu ein paar Sessel und eine Reihe mit Metallstühlen. Ein Fernseher läuft. Man werde mich mit dem ersten Flugzeug zurückschicken, sagt der Mann. Dann fällt hinter ihm die schwere Eisentür zu.
Festgenommen bin ich nicht. Aber ich bin eingesperrt. Der Unterschied: Ich darf mein Telefon behalten. Ich komme auch ins Internet, nur nicht auf Twitter, klar, ist ja gesperrt. Ich rufe zuhause an. Und die Freundin, bei der ich die kommenden Tage verbringen wollte, schließlich eine Anwältin, die mir bestätigt, was mir der Polizist gesagt hat: Ich kann Widerspruch gegen das Einreiseverbote einlegen, aber nur über das türkische Konsulat in Berlin. Soll ich Kontakte zu türkischen Abgeordneten oder zur deutschen Botschaft bemühen? Nein, das ist aussichtslos, vor allem in der jetzigen Situation.
Stattdessen lasse ich mir erklären, wie man mit einem Mobiltelefon die Sperre umgeht. Eine //play.google.com/store:App und keine fünf Minuten später bin ich auf Twitter. Alle Welt redet über die Twittersperre in der Türkei, ich kann aus dem Polizeigewahrsam meine Selfies twittern. #ImBlockedInTurkey lautet mein Hashtag. Ein lustiges Land.
„You know Dagestan? Rata-tata-tamm“
Der andere Unterschied zum Polizeigewahrsam: Man darf auf dem Klo rauchen. Dort komme ich mit zwei Endzwanzigern aus Dagestan ins Gespräch. „You know Dagestan? Fucking country, rata-tata-tamm“, sagt der eine und ahmt mit Händen ein Maschinengewehr nach. Das entspricht ziemlich genau meinen Kenntnissen über Dagestan. Dann kommen zwei Syrer, schließlich eine Gruppe von Togolesen. Wer weiß, aus welcher Hölle diese Menschen kommen, in die man sie morgen zurückschicken wird? Eigentlich müsste ich nach ihren Geschichten fragen, aber mir ist nicht danach.
Die Syrer legen in der freien Ecke unter dem Fernseher Decken aus und knien sich zum Beten nieder. Woher wissen sie in diesem fensterlosen Raum, wo Mekka liegt? Bald darauf bin ich der einzige, der nicht schläft. Der Fernseher wird abgeschaltet, das Neonlicht bleibt an. Ein internationaler Schnarchchor ertönt. Es ist fast fünf Uhr, als ich mich auf das letzte freie Bett lege. Zwei Stunden später brüllt ein Wachmann meinen und einige weitere Namen. Ich bin der einzige, dessen Namen in der Höflichkeitsform ausgebrüllt wird.
Ein Sicherheitsmann bringt mich zum Gate. Außer mir wird eine Frau zurück nach Berlin geschickt; eine Deutsch-Jordanierin im schwarzen Tschador, der ihr Gesicht offenlässt, aber den ganzen Körper verhüllt. Sie wollte mit ihren zwei kleinen Kindern zu ihrem türkischen Mann. Sie erzählt, dass die deutschen Behörden gegen sie ein Ausreiseverbot verhängt hätten. Sie habe dagegen geklagt und Recht bekommen, dennoch habe man sie nicht einreisen lassen. In der Frauenzelle war es offenbar noch schlimmer: Weinende Kinder, kein Mensch, der auf Englisch mit den Leuten sprach. Ich nehme ihr eine Tasche ab und übersetze, was der Sicherheitsmann sagt.
In Berlin komme ich problemlos durch die Passkontrolle. Sie nicht. Ich warte. Ein zweiter Polizist kommt und baut sich breitbeinig vor der Frau auf. Diese Typen sind doch überall die gleichen. „Gehören Sie zu ihr?“, fragt er mich, die Daumen am Gürtel eingeklemmt. „Ja“, sage ich.
Noch am Flughafen rede ich mit der türkischen Botschaft und fahre dann direkt zum Konsulat. Türkische Konsulate habe ich als Orte des Grauens in Erinnerung. Doch die Beamten sind sehr zuvorkommend; fast alle, mit denen ich zu tun habe, sind Deutsch-Türken. Sie wollen mir helfen. Aber sie sind nicht dazu befugt, das Einreiseverbot aufzuheben. Sie könnten das beim Innenministerium beantragen, aber das würde eins bis zwei Wochen dauern, sagen sie. Zu spät.
Am Sonntag ist Wahl. Ich bin auf Twitter.
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