Großoffensive in Libyen: „Stunde null“ gerät ins Stocken
Der von Russland gestützte General Haftar will mit der Libyschen Nationalarmee Tripolis erobern. Milizen stellen sich ihm nun entgegen.
Aber am Wochenende ist der am Donnerstag gestartete Angriff ins Stocken geraten. Während Haftars Nachschubkolonnen mit Panzern und Pick-ups aus dem 650 Kilometer entfernten Bengasi nach Westen rollen, vertrieb die Allianz der Hauptstadtmilizen, Machtbasis der international anerkannten Einheitsregierung in Tripolis, Haftars Soldaten wieder vom internationalen Flughafen, den sie am Freitag eingenommen hatten.
Am Samstag bombardierten Kampfflugzeuge der Einheitsregierung auch die 80 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Stadt Gharian, in der sich Haftars Truppen festgesetzt haben. An einem 27 Kilometer westlich gelegen Kontrollpunkt nahmen regierungstreue Einheiten aus der Stadt Zauwia 148 Soldaten Haftar mitsamt ihren Waffen fest – peinlich für den General, der behauptet, über Libyens einzige wahre Armee zu verfügen und mit dem Milizenwirrwarr aufräumen zu können.
In einer weiteren Stärkung der Einheitsregierung wurden Berichten zufolge 400 Pick-ups aus dem 200 Kilometer entfernten Misrata auf der Straße zum internationalen Flughafen zusammengezogen. „Wir bereiten uns auf einen Gegenangriff vor“, sagt einer der Kommandeure aus der Hafenstadt, die 2011 mehrere Monate von Gaddafis Truppen belagert worden war.
In Tripolis wird gegen Haftar mobilisiert
LNA-Befehlshaber Chalifa Hafter hatte am Donnerstag letzter Woche die „Stunde null“ verkündet. „Die Vertreibung der Milizen und Terroristen von den Schalthebeln der Macht“ werde nun beginnen, so der 72-jährige selbsternannte Feldmarschall. Tripolis wird seit Jahren von einem Dutzend Milizen unterschiedlicher politischer Ausrichtung kontrolliert.
Gemeinsam haben sie, dass ihre Kämpfer auf den Lohnlisten von Ministerien der Einheitsregierung oder Staatsfirmen stehen oder diese sogar kontrollieren. Dem schon unter Muammar Gaddafi zum General beförderten Chalifa Haftar dient die Anwesenheit von radikalen Islamisten unter diesen Hauptstadtmilizen als Rechtfertigung für seinen Überraschungsangriff.
In Tripolis und den von Anti-Gaddafi-Kämpfern dominierten Städten Misrata und Zauwia wird nun gegen Haftars ostlibysche Armee mobilisiert. Die ehemaligen Revolutionäre fürchten, dass mit dem Vorrücken der LNA die Anhänger des vor acht Jahren vertriebenen Gaddafi-Regimes zurückkehren.
Im Falle einer weiteren Eskalation könnte Tripolis das Schicksal der ostlibyschen Hauptstadt Bengasi drohen. Die Stadt war drei Jahre lang Schauplatz blutiger Straßenkämpfe zwischen Haftars Einheiten und lokalen radikalen Gruppen und IS-Anhängern. Mit ägyptischer, russischer und französischer Militärhilfe wurden die Extremisten schließlich nach Tripolis vertrieben, der Preis für Haftars Sieg waren allerdings die großflächige Zerstörung der Innenstadt und Hunderte zivile Opfer. Viele Kritiker von Haftars Militärdiktatur landeten im Gefängnis.
Libyer wünschen sich Rückkehr starker Institutionen
Die Bürger in Tripolis versuchen die Kämpfe am südlichen Stadtrand zu ignorieren. Cafés und Einkaufszentren waren auch am Wochenende gut besucht, der Stadtflughafen Maitiga wird weiter angeflogen. Nach Umfragen der Nichtregierungsorganisation „Lapor“ aus Gharian aus diesem Januar wünschen sich viele Libyer nach der Milizenwillkür der letzten Jahre die Rückkehr starker Institutionen. Die in Ost und West gespaltene libysche Armee wurde als wichtigste zukünftige Institution genannt. Mit Haftars Angriff auf Tripolis wird ihre Vereinigung allerdings unwahrscheinlicher.
Der UN-Sicherheitsrat forderte die Einstellung der Kämpfe, für die insbesondere Haftars LNA verantwortlich gemacht wird. Mit versteinertem Gesicht kommentierte der nach Tripolis gereiste UN-Generalsekretär António Guterres die Kämpfe. Der portugiesische Diplomat wollte auf einer Pressekonferenz Zeitpunkt und Ziel der in zwei Wochen geplanten Nationalkonferenz verkünden.
Auf der sollen ein Fahrplan für Wahlen und das Ende der Ost-West-Spaltung Libyens diskutiert werden. Doch Haftar machte ihm mit seiner Offensive pünktlich zu seiner Ankunft im Land einen Strich durch die Rechnung. Bei seiner Weiterreise nach Bengasi warb Guterres erfolglos für die Einstellung der Kämpfe. Die Konferenz soll nun trotzdem stattfinden – vom 14. bis zum 16. April in der Stadt Ghadames.
An einem Kompromiss dürften die Verbündeten beider Seiten kein Interesse haben. Afrikas theoretisch ölreichstes Land exportiert so viel Öl wie nie seit der Revolution von 2011. Haftars Armee kontrolliert mittlerweile die meisten Ölquellen; Russland, die Arabischen Emirate, Ägypten und Saudi-Arabien setzen auf lukrative Verträge in seinem Einflussgebiet. Milizen aus Misrata und Zauwia im Westen erhalten nach einem im Dezember veröffentlichten UN-Expertenbericht hingegen Waffen aus der Türkei und Katar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“