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Großbritanniens PremierministerBoris Johnsons tiefer Fall

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Boris Johnson saß als Premierminster bis vor kurzem fest im Sattel. Dann kam Partygate. Für Johnsons politische Ambitionen ist das fatal.

Fassade der Ulknudel: Boris Johnson Foto: Aaron Chown/ap

J ede Epoche hat die Skandale, die sie verdient. Tony Blair stolperte über den Irakkrieg, eine Angelegenheit von Krieg und Frieden. Boris Johnson stolpert über Partygate, eine Angelegenheit von Weinflaschen und Geburtstagskuchen. Tony Blair überlebte, aber erholte sich politisch nicht mehr. Bei Boris Johnson ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Der Krieg gegen den Terror damals und der Krieg gegen Corona heute haben strukturelle Ähnlichkeiten. Ihre Anlässe – die Anschläge von 9/11, das Aufkommen des Coronavirus – trafen die Welt unvorbereitet und hielten sie danach jahrelang im Griff. Das gilt besonders in Großbritannien, wo sie die beiden wichtigsten Premierminister der vergangenen 30 Jahre aus der Bahn werfen.

Blair und Johnson sind sich ähnlicher, als ihnen lieb sein kann. Ihre historischen Wahlsiege 1997 und 2019 errangen sie beide im Namen eines Bruchs mit der Vergangenheit ihrer eigenen Parteien, getrieben von der Überzeugung, sie könnten losgelöst von alten Loyalitäten Großbritanniens Niedergang dauerhaft umkehren und die ganze Nation verkörpern. Boris Johnson hielt seine öffentliche Siegesrede in Tony Blairs ehemaligem Wahlkreis Sedgefield im alten nordostenglischen Industriegebiet.

Beide pflegen eine Fassade von Leutseligkeit – Blair als Otto-Normalverbraucher, dem man blind vertrauen kann, Johnson als Ulknudel, über den man lachen darf – hinter der sich knallharte Machtpolitik verbirgt. Beide vereint ein Gespür für das Volksempfinden und eine Geringschätzung des Establishments. Beiden wird nachgesagt, Großprojekte anzuschieben und nicht zu Ende zu denken – bei Johnson der Brexit, bei Blair die Autonomie für Schottland.

Sie umgeben sich beide mit Ja-Sagern und einem Hofstaat. Sie inspirieren kultische Verehrung bei ihren Anhängern und abgrundtiefen Hass bei ihren Gegnern. Der längstgediente politische Kommentator der britischen Presse, Matthew Parris, kam irgendwann zum Schluss, Premier Blair sei im klinischen Sinne verrückt geworden, Opfer des eigenen Größenwahns. Johnson hielt er schon immer für liebenswert, aber unfähig.

Ein geschrumpfter Premier

Der Irakkrieg kostete Blair nicht das Amt, aber den Respekt. Die Partygate-Affäre dürfte für Johnson ähnliche Folgen haben. Es gibt in Großbritannien wenig Toleranz für Humbug. Nicht so sehr der kreative Bezug zur Wahrheit ist fatal, sondern der Eindruck, dass damit das Wahlvolk für dumm verkauft werden soll. Hätte Tony Blair den Irakkrieg offen mit der Notwendigkeit begründet, Saddam Hussein zu stürzen, wäre das besser angekommen als die windige Behauptung, der irakische Diktator verfüge über Massenvernichtungswaffen mit einer Zündungszeit von 45 Minuten, die so geheim seien, dass man sie ohne Invasion nicht finden könne.

Hätte Boris Johnson die Lockdown-Partys gleich zugegeben und offen behauptet, dass Menschen, die den ganzen Tag im gleichen Bürotrakt zusammenarbeiten, dort wohl auch den Feierabend gefahrlos einläuten dürfen –, dann gäbe es zwar Empörung, aber vermutlich keine offizielle Untersuchung und keine polizeilichen Ermittlungen.

Johnson selbst hat nun seine Konservativen in das Dilemma gestürzt, ob sie besser mit ihm oder ohne ihn in die nächsten Wahlen 2024 ziehen sollten. Dieses Dilemma ersparte Blair seinerzeit der Labour-Partei; so unbeliebt war er nie. Bei Blair wurde kritisiert, dass wichtige Entscheidungen informell auf dem Sofa fallen. Bei Johnson heißt es, seine Mitarbeiter schlafen auf dem Sofa den Rausch aus.

Allerdings war Blair der letzte britische Premier, der von der Polizei offiziell befragt wurde. Da ging es nicht um den Irakkrieg, sondern um die „Cash-for-Honours“-Enthüllungen drei Jahre später, wonach Oberhaussitze gegen als Kredite deklarierte Parteispenden vergeben worden waren. Einen solchen Skandal hat sich Boris Johnson noch nicht geleistet.

Wenn er den Partygate übersteht, dann ähnlich wie Blair nach dem Irakkrieg als geschrumpfter Premier, der sein politisches Überleben dadurch sichert, dass er nicht mehr aneckt. Großbritanniens politische Kultur, auf Konfrontation und Kontroverse angelegt, belohnt zwar die Unerschrockenen. Aber sie stutzt sie auch schnell zurecht, sobald sie ihre Glaubwürdigkeit einbüßen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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1 Kommentar

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    06438 (Profil gelöscht)

    Politisches Wissen vereinfacht pol. Urteilsbildung und fördert die pol. Einstellung und Motivation als Grundlage politische Handelns.

    Politische Einstellung und Motivation fördern die weitere Aneignung von Fachwissen und ermutigen zu politischen Urteilen. Im Lehr-Lern-Prozess kommt es darauf an, die entsprechenden kognitiven Fähigkeiten zu entwickeln und dabei die subjektiven Aspekte der Aneignung zu berücksichtigen.

    Blair erhöhte staatliche Ausgaben für Gesundheit/Erziehung, erhöhte den Mindestlohn, führte Schulgebühren ein, ermöglichte Verfassungsänderungen, wie die Einführung der "Home Rule" in Schottland/Wales und errang einen gewaltigen Fortschritt im Friedensprozess in Nordirland durch das "Good Friday agreement." Die Wirtschaft zeichnete sich durch Wachstum aus, wobei Blair sich an konservativer Politik orientierte, die Einkommensteuer nicht zu erhöhen.

    Das bedeutet:



    Politik ist mit Personen verknüpft - Politik ohne Personen gibt es nicht. Es existieren lediglich Versuche, Politik von Personen zu trennen oder jahrzehntelange alte Erkenntnisse über den Politikstil von Personen, Einstellungen und Haltungen abzutrennen um eine Urteilsbildung zu verunmöglichen. Das ist das GEGENTEIL von Aufklärung.

    Wer Boris Johnsons persönliches Wirken als Journalist mit seinen Lügen über die EU und als Lord Mayor in London verfolgt hat, für den ist es keine Überraschung das BJ momentan die Tories und UK gegen die Wand fährt.

    Wer aber einen Frosch mit einem Fahrrad vergleicht, sollte sich nicht zu schade sein zu erklären, welchen Erkenntnisgewinn er erwartet.

    Ansonsten - wer den Massenmörder Hussein derart lieb hat, das er den Krieg gegen ihn noch 19 Jahre später Blair allein in die Schuhe schiebt - aber die aktuelle Verdoppelung der britischen Truppen an der Ostgrenze der NATO durch Boris Johnson verschweigt - was ist dabei anderes zu erwarten, als die Erkenntnis, das der obige Vergleich schwer humpelnd schon im Ansatz zusammen bricht.