Größtest deutsches Solarkraftwerk am Netz: Immer der Sonne nach
400 Haushalte soll das Kraftwerk mit Strom versorgen und Vorbild für Projekte in Afrika sein. Das Solarthermiekraftwerk in Jülich könnte ein Exportschlager werden.
![](https://taz.de/picture/341465/14/juelich.jpg)
Sie sind alle auf diesen einen Turm ausgerichtet. 2.000 Spiegel. Die Solarforscher nennen sie Heliostaten. Alle fünf Sekunden ändern sie ihre Position - der Sonne nach - und lenken die Strahlen auf die Spitze des Turmes, bis sie zu leuchten beginnt. Der Turm ist ein wissenschaftlicher Leuchtturm. Es ist das einzige Kraftwerk dieser Art in Deutschland. Die gebündelten Sonnenstrahlen erhitzen Luft auf bis zu 750 Grad Celsius, mit der Wasserdampf erzeugt wird. Der treibt eine Turbine an, um Strom zu produzieren. Die für Großanlagen geeignete Technik ist billiger als die Stromerzeugung mit Solarzellen.
An diesem Donnerstag geht in Jülich das erste deutsche Solarthermie-Kraftwerk offiziell ans Netz. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wird da sein und sagen, dass Solarthermie für die Energieversorgung der Zukunft unverzichtbar sei. "Durch die Förderung regenerativer Energieformen stärken wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutscher Unternehmen", steht in seinem Redemanuskript. Es passt alles gut in den SPD-Wahlkampf. Der "Green New Deal" der Genossen soll auch mit Umwelttechnik Jobs schaffen.
Jülich ist ein guter Ort, um Stimmung für erneuerbare Energien zu machen. Es ist ein symbolischer Ort. Dort sitzt auch ein Forschungszentrum, das einmal Atomforschungszentrum genannt wurde. Es betrieb bis 1988 einen der größten Forschungsreaktoren Europas. Für die Solarthermie ist Jülich streng genommen allerdings nicht der beste Ort. "Die Technologie eignet sich besser für heiße Länder mit mehr Sonnentagen", sagt Hans Müller-Steinhagen vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) der taz.
Das DLR ist zusammen mit der Fachhochschule Jülich Bauherr der Anlage, an deren Finanzierung auch das Umweltministerium, die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen und die Stadtwerke Jülich beteiligt waren. 24 Millionen Euro hat das Kraftwerk gekostet, das als Forschungsprojekt dienen soll - aber auch zur Stromerzeugung. 1.000 Megawattstunden Strom soll das Versuchskraftwerk jährlich in öffentliche Netze leiten. Das entspricht dem Bedarf von 400 Haushalten.
Die Technologie ist als Exportschlager gedacht. Eingesetzt werden soll sie in Afrika - vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten, den sogenannten Mena-Ländern. Das Umweltministerium hat schon eine Machbarkeitsstudie in Algerien in Auftrag gegeben. Dort soll langfristig ein Kraftwerk nach dem Jülicher Vorbild gebaut werden. In den vergangenen Wochen haben Wissenschaftler darüber diskutiert, ob Afrika als Sonnenstromlieferant für Europa taugt. Das Projekt "Desertec" soll mit Sonnenkraftwerken in der Wüste Strom erzeugen. Auch dafür könnte das Kraftwerk aus Jülich geeignet sein, heißt es im Umweltministerium.
Bis 2050 sollen 15 Prozent des europäischen Strombedarfs aus den Mena-Ländern kommen, sieht Desertec vor. Mitte Juli haben etwa der Versicherer Münchner Rück, der Elektrokonzern Siemens, der Energieversorger Eon und die Deutsche Bank die Initiative gegründet, die für den Bau von Solarkraftwerken rund 400 Milliarden Euro veranschlagt.
Im Desertec-Beirat sitzt auch der Wissenschaftler Müller-Steinhagen. Das DLR forscht seit 30 Jahren über Sonnenenergie. "Es gibt bereits eine Zusammenarbeit, und es wurden bereits Verträge unterschrieben", sagt er. Auch Gäste aus Algerien haben das Jülicher Kraftwerk bereits besichtigt, das ebenso für die Ausbildung von Fachpersonal aus den Mena-Ländern genutzt werde, sagt Ingenieur Thomas Hartz von den Jülicher Stadtwerken.
Wenn Deutschland die Technologie dorthin liefern würde, könnte das neue Arbeitsplätze bedeuten, ganz im Sinne von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeiers Plan, 4 Millionen neue Stellen zu schaffen. Bis zum Jahr 2020, schätzt die European Solar Thermal Electricity Association, sind etwa 40.000 zusätzliche Jobs in der Produktion von Solarthermie möglich - in ganz Europa. Insgesamt hat das Umweltministerium deshalb in den letzten fünf Jahren 30 Millionen Euro zur Förderung von Solarkraftwerken auch im Ausland ausgegeben.
Doch Arbeitsplätze sind nicht der einzige Aspekt, der das Vorhaben attraktiv macht. Auch der Handel mit Rechten zur Emission des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2-Zertifikate) spielt eine Rolle. Deutsche Unternehmen sollten in Nordafrika solche Kraftwerke bauen, sagt Stephan Kohler, der Geschäftsführer der Deutschen Energie Agentur (Dena).
"Dadurch können sie durch CO2-Einsparungen mehr Zertifikate erwerben, die sie verkaufen oder für die Erzeugung konventioneller Energie einsetzen können." Ein Nullsummenspiel für die Umwelt also? "Unsinn", behauptet Kohler, "hier ist die Politik in der Pflicht." Wenn man bereits 2015 das ursprünglich für 2020 gesetzte Ziel erreicht hat, 30 Prozent weniger CO2 zu produzieren, dann sollte seiner Meinung nach die Politik die Umweltvorgaben anpassen.
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