Griechenlands Migrationspolitik: Strafverfahren gegen Helfer

Zwei prominente Flüchtlingshelfer sollen eine kriminelle Vereinigung gegründet haben. Die konservative Regierung hatte sie schon lange im Visier.

Umrisse eines Rettungsschiffs auf See vor der griechischen Insel Lesbos

Ort zahlreicher Pushbacks und Abschreckungsversuche: Boot der griechischen Küstenwache vor Lesbos Foto: EUROKINISSI

ATHEN taz | Die Staatsanwaltschaft von Kos hat gegen zwei prominente Flüchtlingshelfer Strafverfahren eingeleitet. Die Vorwürfe sind heftig: Sie sollen eine kriminelle Vereinigung gegründet und Beihilfe zur Migration geleistet haben.

Dabei handelt es sich zum einen um den Griechen Panagiotis Dimitras, Direktor von Greek Helsinki Monitor (GHM), sowie um den Norweger Tommy Olsen, Gründer und Leiter von Aegean Boat Report (ABR). Sowohl Dimitras als auch Olsen wird vorgeworfen, „eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben, deren Ziel es war, Daten über Drittstaatsangehörige zu erhalten, die versuchen, illegal nach Griechenland einzureisen, um ihnen die illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt zu erleichtern, indem sie den Behörden ihre vollständigen Daten und ihren genauen Aufenthaltsort im Land übermitteln, damit sie einem Asylverfahren unterzogen werden können“.

Erschwerend komme laut der Staatsanwaltschaft Kos bei GHM und dessen Direktor Dimitras hinzu, dass diese Straftaten „gewerbsmäßig begangen“ und die Beschuldigten die Absicht gehabt hätten, „die Straftaten wiederholt zu begehen und daraus Einnahmen zu erzielen“.

Greek Helsinki Monitor (GHM) ist eine Menschenrechtsorganisation in Griechenland. Sie wurde als Teil der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte gegründet. Im Jahr 2021 gehörte GHM zu einer Gruppe von Organisationen, die die Europäische Grenzschutzagentur Frontex vor dem Europäischen Gerichtshof wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an sogenannten Pushbacks in Griechenland verklagten. Damit ist das Zurückdrängen von Migranten von den Grenzen ihres Ziel- oder Transitlandes gemeint.

Die norwegische Nichtregierungsorganisation Aegean Boat Report (ABR) wiederum überwacht und berichtet über Fluchtbewegungen in der Ägäis. „Wir stellen detaillierte, korrekte und neutrale Informationen über die ankommenden Menschen zur Verfügung und setzen uns dafür ein, dass illegale Aktivitäten wie Pushbacks durch Regierungen, ihre Küstenwachen und andere uniformierte Staatsbedienstete aufgedeckt und unterbunden werden“, so ABR.

Griechenland als Festung

Beide Nichtregierungsorganisationen stehen bereits seit geraumer Zeit im Visier der griechischen Küstenwache, der Strafjustiz, aber auch der Regierung in Athen unter dem konservativen Premierminister Kyriakos Mitsotakis sowie regierungsnaher Medien. Unverhohlen wird ihnen die Nähe zu Griechenlands verhasstem Nachbarn Türkei und die Verbreitung von Falschnachrichten vorgeworfen. Ihr Ziel sei es, die illegale Migration aus der Türkei nach Griechenland über die Festlandgrenze und das östliche Mittelmeer zu befeuern.

Fakt ist: Die seit Juli 2019 in Athen amtierende Regierung Mitsotakis verfolgt in der Flüchtlings- und Migrationspolitik eine stark restriktive Politik. Ihr Ziel ist es, die Zahl der Ankünfte von Flüchtlingen und Migranten und damit neuer Asylbewerber so weit es geht zu drücken. Griechenland solle eine Festung sein – das hat Premier Mitsotakis wiederholt klargestellt.

Das ist mittlerweile auch erreicht: Im Gesamtjahr 2021 registrierte Griechenland laut offiziellen Angaben des Athener Migrationsministeriums gerade einmal 8.745 neue Geflüchtete und Migranten. Im Jahr 2015 hatte das UNHCR noch 861.630 Neuankömmlinge registriert. Das entspricht einem Rückgang um 99 Prozent im Vergleich zum Rekordjahr 2015.

Auch im laufenden Jahr bleibt die Zahl der Neuankömmlinge niedrig. Im Zeitraum Januar bis Oktober 2022 wurden 12.737 neue Ankünfte in Griechenland gezählt. Jüngere Daten liegen nicht vor.

Mit Schallkanonen gegen Geflüchtete

Wie schafft die Regierung Mitsotakis das? Ihre oberste Priorität ist es, die Festlands- und die Seegrenze zur Türkei zu „versiegeln“, um nicht zuletzt Schleppern das Handwerk zu legen.

An der Festlandsgrenze zur Türkei ist der seit Sommer 2012 bestehende Grenzzaun am Fluss Evros verstärkt und verlängert worden. Ferner werden die Patrouillen verstärkt und modernste Geräte bei der Suche nach Menschen eingesetzt, die die Grenze illegal überschreiten wollen. Sogar Schallkanonen kommen zur Abwehr von Neuankömmlingen zum Einsatz. Mit Lärmsalven werden Flüchtlinge und Migranten von der Überquerung der Grenze abgehalten. Zudem würden die griechischen Behörden im östlichen Mittelmeer im großen Stil Pushbacks durchführen, lauten die massiven Vorwürfe seitens GHM, ABR und internationaler Medien.

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