piwik no script img

Grenze zwischen Marokko und SpanienSprung nach Europa

Etwa 850 Menschen überwinden den Grenzzaun zur spanischen Exklave Melilla. Manche werden in illegalen Pushbacks sofort zurückgedrängt.

Migranten ruhen sich aus, nachdem sie die Zäune überwunden haben Foto: Europa Press/dpa

„Wir sind da“, wiederholt der junge Mann immer wieder. Blutverschmiert, mit Schnittwunden an den Armen, sitzt er am Boden. Das zeigt ein in spanischen Medien veröffentlichtes Video. Er ist einer von 491 Menschen, denen es am Mittwoch gelungen war, die Grenzanlage zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla zu überwinden. Etwa 2.500 Menschen versuchten gegen 10 Uhr morgens von marokkanischer Seite aus ihr Glück. Am Donnerstagmorgen wiederholten sich die Szenen: Etwa 1.000 Menschen versuchten gegen sechs Uhr morgens die aus zwei sechs Meter hohen Zäunen und einem Gewirr aus Stahlseilen bestehende Anlage zu überwinden. Laut der französischen Nachrichtenagentur AFP gelang 350 von ihnen der Sprung nach Europa.

„Alles ist sehr schnell gegangen“, sagte die spanische Regierungsgesandte Sabrina Moh in einem Radiointerview. Die marokkanischen Grenzschützer seien regelrecht überwältigt worden. Die Delegation der spanischen Regierung in Melilla gab an, dass die Menschen Steine warfen und Stöcke schwangen, bevor sie den Zaun erreichten und zu klettern begannen. Viele hätten Schrauben in ihre Schuhsohlen gedreht, um den Zaun besser hochklettern zu können.

Sie hatten Wochen oder sogar monatelang auf eine Gelegenheit gewartet, den Zaun überwinden zu können. In den Wäldern und Feldern rings um Melilla und die andere spanische Exklave Ceuta leben Tausende Geflüchtete. Die meisten von ihnen stammen aus dem Afrika südlich der Sahara. Noch nie sei es so vielen Menschen auf einmal gelungen, die Grenze zu überwinden, erklärte die spanische Delegation. Die höchste Zahl an Grenzüberquerungen gab es bisher am 28. Mai 2018. Damals versuchten es zwischen 1.000 und 2.000 Menschen, 470 von ihnen gelang der Sprung auf spanisches Gebiet.

Insgesamt sollen etwa 45 Menschen verletzt worden sein, die Hälfte davon Geflüchtete, die andere Polizeibeamte. In der marokkanischen Nachbarstadt Nador wurden laut der Menschenrechtsvereinigung AMDH weitere 31 Menschen, die nicht über den Zaun gelangten, ärztlich behandelt. Drei von ihnen sollen schwer verletzt worden sein.

Grenzschützer drängen Zaunüberquerende zurück

Diejenigen, die es auf die spanische Seite geschafft haben, versuchen zum Auffanglager „Centro de Estancia Temporal de Inmigrantes“ (CETI) zu kommen. Anders als vor der Pandemie war es bis dato so gut wie leer. Aufnahmen des spanischen öffentlichen Fernsehsenders TVE zeigen aber, dass manche direkt am Zaun von den Grenzschützern festgehalten und durch darin eingelassenen Türen sofort wieder abgeschoben werden. Diese Praktik wird als Pushback bezeichnet, ist illegal, und wurde in der Vergangenheit immer wieder von Menschenrechtsorganisationen angeprangert.

Die Nachricht von der großen Zahl an Grenzüberquerungen in Melilla wurde am Mittwoch mitten in der Sondersitzung des spanischen Parlaments zum Krieg in der Ukraine bekannt. Santiago Abascal, Sprecher der rechtsradikalen Vox, drittgrößte Fraktion in der Volksvertretung, nutzte die Gelegenheit: Die Ukrainer seien „echte Kriegsflüchtlinge, Frauen, Kinder, Alte“, und müssten in Europa aufgenommen werden, sagte er. Und weiter: „Jeder kann den Unterschied zwischen diesen Flüchtlingsströmen und der Invasion durch junge Männer im wehrpflichtigen Alter muslimischer Herkunft verstehen“, die Europa destabilisieren und kolonialisieren wollten. Er verlangte den Einsatz der spanischen Armee und den Schutz der Nato für Ceuta und Melilla.

„Es ist traurig, dass Sie eine Krise von solchem Ausmaß und solchem Kaliber für Ihren fremdenfeindlichen Diskurs nutzen, in dem es Flüchtlinge erster und zweiter Klasse gibt“, entgegnete der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Der Europ. Gerichtshof für Menschenrechte hat anders entschieden, als in der Mitte des Artikels angedeutet wird. Nicht jeder Push-Back ist illegal:

    www.lto.de/recht/n...e-verletzung-emrk/

  • RS
    Ria Sauter

    Pedro Sanchez als Menschenfreund ? Das ist ja mal ganz neu! Wie wird mit den Katalanen umgegangen! Sehr menschenfreundlich oder?



    Es muss auch dringend eine Lösung für Afrika her. Ist genauso brisant wie die jetzige Lage in der Ukraine. Auch dort gibt es Krieg.Wahr ist aber auch, dass aus Afrika überwiegend Männer flüchten und wir nicht alle in der EU aufnehmen können.



    Also müssen dringend Lösungen her, menschenwürdige!