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Grenze zwischen Indien und ChinaTödliche Schlägerei in den Bergen

Bei Grenzstreitigkeiten im Galwantal sterben sowohl indische als auch chinesische Soldaten. Beide Seiten waren unbewaffnet.

Propagandaplakat der indischen Armee in Ladahk an der Grenze in China im Jahr 2017 Foto: Manis Swarup/ap

Mumbai/ Peking taz | „Ich bin traurig und stolz zugleich“, sagt Mutter Manjula über ihren verstorbenen Sohn Oberst Santosh Babu im indischen Sender NDTV. Nicht nur für sie, für viele InderInnen war der Dienstag ein düsterer Tag. Denn die Meldung, dass 20 an der Grenze zu China im Himalaya stationierte Soldaten umkamen, schockierte die indische Öffentlichkeit.

Am Montag war es im strategisch wichtigen Galwantal entlang des gleichnamigen Flusses in Ladakh zu den schwersten Grenzstreitigkeiten zwischen den beiden asiatischen Großmächten seit mehr als fünf Jahrzehnten gekommen. Auch auf chinesischer Seite wird eine zweistellige Zahl an Todesopfern vermutet.

Mehr als 43 chinesische Soldaten seien schwer verletzt oder getötet worden, schrieb die indische Nachrichtenagentur ANI unter Berufung auf Kreise in der indischen Regierung. Peking bestätigte dies bisher nicht.

An einigen Stellen der 3.500 Kilometer langen Grenze besteht seit dem kurzen Krieg von 1962 zwischen Indien und China ein unmarkierter und ungeklärter Verlauf. Berichten zufolge stieß eine indische Patrouille in steilem Terrain unerwartet auf chinesische Truppen. Beide Seiten sollen vereinbarungsgemäß unbewaffnet gewesen sein, um eine Eskalation zu verhindern.

Trotzdem wurde die Begegnung hitzig. Es soll ein Handgemenge gegeben haben, bei dem ein indischer Offizier abstürzte. Daraufhin kam es zu Faustkämpfen. 600 Männer sollen sich dann mit Steinen und Schlagstöcken bis zu sechs Stunden lang in der Dunkelheit bekämpft haben.

Die meisten Opfer soll es gegeben haben, weil Soldaten abstürzten oder vom Berg gestoßen wurden. Nach den Berichten über die indischen Todesopfer war zunächst war von dreien die Rede gewesen. In einzelnen indischen Städten kam es zu ersten kleinen antichinesischen Protesten nationalistischer Gruppen.

Aufrufe zum Boykott chinesischer Waren, die es bereits nach letzten bilateralen Spannungen im Mai gegeben hatte, wurden erneuert. Schon damals hatten einige Politiker antichinesische Ressentiments geschürt, indem sie die Volksrepublik für die Coronapandemie verantwortlich machten, unter der Indien zunehmend leidet.

Modi zollt den Opfern Tribut

Der hindunationalistische Premierminister Narendra Mo­di ließ sich jetzt Zeit mit einer Reak­tion. Erst am Mittwochnachmittag bat er in einer Rede um zwei Schweigeminuten, um den „Söhnen Tribut zu zollen“: „Ich verneige mich für dieses große Opfer im Dienst des Landes.“ Die Soldaten seien nicht umsonst gestorben.

Modi betonte, Indien sei ein „friedliebendes Land“. „Wir provozieren niemanden, aber wir gehen auch keine Kompromisse hinsichtlich der Integrität und Souveränität unseres Landes ein.“ Auf die Forderung der Opposition nach Aufklärung ging er zunächst nicht ein.

In China bekamen bisher dagegen nur politisch wirklich Interessierte die Eskalation an der Grenze mit: So wird das Thema auf der Startseite der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua gar nicht aufgegriffen. Auch die Fernsehstationen senden zunächst keinen Beitrag über den jüngsten Konflikt in ihren stündlichen Kurznachrichten.

Chinas Militär bestätigte bislang keine Opfer auf seiner Seite. „Mein Verständnis ist, dass die chinesische Seite nicht will, dass die beiden Völker die Todeszahlen gegeneinander aufrechnen, um nicht die öffentliche Stimmung aufzuheizen“, schrieb der Chefredakteur der Parteizeitung Global Times, Hu Xijin, auf Twitter.

Nationalistische Stimmungsmache

Dabei macht er nur wenige Stunden später selbst Stimmung: Dass 17 indische Soldaten gestorben seien, lege die Mängel der dortigen Armee offen, eine Notfallbehandlung bereitzustellen. „Das ist keine Armee mit moderner Kampffähigkeit“, schrieb der Chefredakteur.

Chinas Regierung wirft Indien vor, die Souveränität der Volksrepublik durch das zweimalige Übertreten der Landesgrenze durch indische Soldaten verletzt zu haben. In einem Leitartikel besagter Global Times, die meist recht präzise die Position der Kommunistischen Partei reflektiert, heißt es: „Die Arroganz und Rücksichtslosigkeit der indischen Seite ist der Hauptgrund für die konstanten Spannungen entlang der Grenze.“

Auch wird Delhi vorgeworfen, dass es mit strategischer Unterstützung der USA glaube, durch Grenzprovokationen keine Gegenreaktion erwarten zu müssen. Doch würde Indiens Regierung der Fehleinschätzung unterliegen, ihre eigene Armee für stärker als Chinas Volksbefreiungsarmee zu halten.

Offiziell ist die chinesische Regierung dagegen sehr um einen diplomatischen Ton bemüht, um die Situation zu deeskalieren. China wolle keine weiteren Zusammenstöße, sagte ein Außenamtssprecher am Mittwoch.

Einigung auf sofortige „Abkühlung“

Am Mittwoch verständigten sich die Außenminister beider Länder denn auch auf eine sofortige „Abkühlung“ des Konflikts. Sie hätten bei einer Telefonkonferenz zugestimmt, mit den Ereignissen „fair umzugehen“, die „Abkühlung“ so schnell wie möglich zu erreichen und den Frieden in den Grenzregionen zu erhalten, sagte ein chinesischer Außenamtssprecher am Mittwoch.

Zuvor hatte in Indien der Fraktionsführer der oppositionellen Congress-Partei im Unterhaus, Adhir Ranjan Chowdhury, vermutet, dass China die schwierige Lage Indiens für einen Angriff genutzt habe. Die indische Wirtschaft ist in der Coronapandemie stark angeschlagen.

Andere vermuten, Chinas Provokation könnte eine Antwort auf Indiens Entzug der Teilautonomie in Jammu und Kaschmir vom vergangenen August sein. Damit hatte sich die Zentralregierung in Delhi mehr Einfluss an der Grenze zu China gesichert und seitdem versucht, dort die Infrastruktur auszubauen.

An der Grenze zwischen Indien und China hatten die Spannungen zuletzt stark zugenommen. Peking beansprucht etwa 90.000 Quadratkilometer eines Gebiets für sich, das sich unter Indiens Kontrolle befindet. Im Jahr 1962 führten die beiden Atommächte einen kurzen Grenzkrieg, der mit einer Niederlage Indiens endete.

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1 Kommentar

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  • Massengesellschaften auf Expansionskurs, immer eine schlechte Idee. Ich empfehle Herrn Xi öffentlich, nicht länger zu glauben, daß sein zentral verordneter Expansionskurs langfristig ohne Folgen bleibt. Wir können einlenken, um einen Weg der Vernunft zu finden und gemeinsam weiterkommen. Wir können ebenfalls überlegen, geben wir China den Rest. Ich selbst bin für ein gemeinsames Weiterkommen. Genehmigen sie sich selbst die Verhandlungen, die alle notwendig haben, die notwendige Übereinkünfte möglich machen.