Greenpeace-Chef Kumi Naidoo: „Wir haben keine Zeit mehr“

Nach sechs Jahren tritt Kumi Naidoo als Chef von Greenpeace ab. Ein Gespräch über die COP 21, die Klimabewegung und sein Vermächtnis.

„Während wir hier reden, steht Chennai in Indien unter Wasser“, sagt Kumi Naidoo, Chef von Greenpeace International Foto: reuters

taz: Herr Naidoo, Sie haben den Chefsessel bei Greenpeace 2009 direkt vor der Klimakonferenz in Kopenhagen übernommen. Was ist heute in Paris anders als damals?

Kumi Naidoo: In Kopenhagen gab es immer noch einige Klimaskeptiker, die den menschengemachten Treibhauseffekt anzweifelten. Ich denke, es ist positiv, dass die Diskussion über den Klimawandel heute mehr von der Wissenschaft als von der Öl- und Kohleindustrie geführt wird. Es gibt inzwischen auch ein viel größeres Verständnis für die Dringlichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen. Wenn man etwa die Reden in Kopenhagen betrachtet, sind die einzelnen Staaten heute schon im Tonfall darauf bedacht, die Dringlichkeit zu betonen. Und ein weiterer Punkt: weder der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und noch nicht mal Greenpeace hatte ein derart starkes Wachstum der erneuerbaren Energien prognostiziert, wie es in den letzten 10 Jahren eingetreten ist. Das sagt uns zweierlei: Erstens, es ist möglich auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzusteigen bis 2030. Zweitens, das Zeitalter der fossilen Energieträger ist vorbei.

Vor Kopenhagen sagten Sie, dass der Klimawandel das Umweltschutzthema sei, für das sie in den Hungerstreik treten würden. Werden Sie das nach Paris auch noch sagen können?

Sicher. Sogar noch mehr. Wir müssen realistisch sein, wir haben keine Zeit mehr. Die Erde hat sich bereits um fast ein Grad erwärmt. Wir sehen, dass dadurch Menschen sterben. Wir sehen, dass Menschen durch Überschwemmungen ihre Heimat verlieren. Während wir hier reden, steht Chennai in Indien unter Wasser. Wir sehen in meinem Heimatland Südafrika Dürren, und es wird sich wahrscheinlich ein kritischer Wassermangel entwickeln. Und wir sehen, wie aus Wassermangel andernorts Konflikte entstehen, wenn durch den Klimawandel Land zu Wüste wird. Die Menschen, die das betrifft, tragen die geringste Verantwortung für den Klimawandel.

Jahrgang 1965, engagierte sich im Kampf gegen die Apartheid, wurde verhaftet und floh 1989 ins Exil. Später war er in Organisationen wie Amnesty International und dem World Economic Forum aktiv und promovierte in Oxford in Politologie. Im November 2009 wurde er Direktor von Greenpeace. Im März 2015 verkündete er seine Entscheidung mit Ende des Jahres zurückzutreten.

Was braucht es dann in Paris?

Wir sind sehr weit davon entfernt, wo wir sein müssten – das Ziel muss sein: nicht mehr als 1,5 oder 2 Grad Erwärmung. In Kopenhagen war das eine der größten Kontroversen: Auf der einen Seite standen die kleinen Inselstaaten und ärmsten Länder und auf der anderen Seite die Schwellen- und Industrieländer, die sich für ein 2-Grad-Ziel einsetzten, weil sie größere Emissions-Budgets wollten. Die Versprechungen, die hier bisher gemacht wurden sind sehr klein im Vergleich zu dem, was möglich ist.

Sind 2 Grad denn schon zu viel?

Ich habe den ganzen August in Kiribati, Tuvalu und anderen kleinen Inselstaaten verbracht. Der Slogan der Klimaaktivisten dort ist „1,5 Grad, um zu überleben“. Was in Paris auf dem Tisch liegt, läuft aber eher auf 3,5 Grad Erwärmung hinaus. Politiker wollen weiterhin fossile Energieträger subventionieren, wir sprechen hier von einer Billion Dollar pro Jahr. Wir wissen, dass Geld den Energiemarkt revolutionieren könnte, wenn es denn in erneuerbare Energie fließt. Wir müssen hinterfragen, wenn mächtige Politiker am ersten Tag kommen und schöne Reden schwingen, wie ernst die Lage sei und dass sie etwas tun wollen und ihre Verhandler hier dann aber in die entgegensetzte Richtung stoßen. Die Verhandlungen sind immer noch nicht so weit, wie sie schon seit Jahren sein sollten.

Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.

Welche Bilanz ziehen Sie, nun da Ihre Zeit als Geschäftsführer von Greenpeace endet?

Es gibt viele Sachen, die ich gerne viel schneller erreicht hätte in meiner Zeit bei Greenpeace. Ich wünschte, wir hätten den nötigen Druck erzeugt, dass unsere Regierungen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zeigen, dass sie die Dringlichkeit des Klimawandels verstanden haben. Innerhalb der Organisation haben wir in den vergangenen Jahren das Verhältnis zwischen dem globalen Norden und Süden ausbalanciert. Davor hatten westliche Länder den meisten Einfluss und die meisten Ressourcen. Aber es ist noch ein langer Weg bis wir wahrhaftig sagen können, dass wir eine globale Organisation sind. Aber wir sind Aktivisten im Herzen – wir sind also nie zufrieden, wo wir gerade stehen. Wir sind rastlos und wollen Dinge verbessern. Wir sind auch bereit Risiken auf uns zu nehmen, auch wenn nicht immer alles läuft wie geplant. Der Klimawandel ist das Thema, von dem ich wünschte, dass wir mehr Fortschritt gemacht hätten.

Gab es innerhalb der Klimabewegung Veränderungen seit der Konferenz in Kopenhagen – wie unterscheidet sich die Erwartungshaltung heute von damals?

Die Zivilgesellschaft kam nach Kopenhagen und erwartete von den Mächtigen der Welt das Richtige zu tun. Am Ende dieser Konferenz war die Klimabewegung demobilisiert. Wir haben uns nun angesehen, was bei der Klimakonferenz in Kopenhagen auf dem Tisch lag und was diesmal auf dem Tisch liegt: Für uns endet der Weg diesmal nicht in Paris, sondern er führt durch Paris hindurch. Wir haben die sogenannten INDCs, die nationalen Klimaschutzpläne der einzelnen Länder geprüft. Diese Pläne sind nicht da, wo unsere Regierungen bereits sein sollten. Wir dürfen deshalb nicht zulassen, dass diese Klimaschutzpläne unveränderlich sind und die Menschen müssen auch nach Paris ihre Regierungen weiter unter Druck setzen. Die Bewegung in Kopenhagen war vor allem eine Umweltbewegung. In Kopenhagen waren zwar auch schon Entwicklungsorganisationen oder Gewerkschaften dabei, aber die sind heute viel involvierter. Andere Gruppen wie Menschenrechtsbewegungen sind dazu gestoßen. Die Klimabewegung ist heute viel breiter aufgestellt. Ich denke wir sind heute auch realistischer darin, was für ein Abkommen wir erwarten können als damals.

Woher kommt diese Veränderung?

Wir mussten seit der Konferenz in Kopenhagen zahlreiche Extremwetter-Ereignisse erleben. Das hat die Wichtigkeit unserer Forderungen unterstrichen. Es ist dieselbe Botschaft, die der letzte Bericht des Weltklimarates gesendet hat: Eile ist geboten.

Sie kommen ursprünglich nicht aus dem Umweltschutz, sondern aus der Menschenrechtsbewegung. Inwieweit hat das Greenpeace verändert?

Als Organisation arbeiten wir heute viel mehr mit den Menschen zusammen. Wir treten mehr in Dialog und beziehen sie mehr in unsere Kampagnen ein. Lassen sie mich ein Beispiel geben: Wir arbeiten in Afrika zum Thema Meere. Dafür tauschen uns wir uns mit den lokalen Fischergemeinden aus. Oder unsere Arktiskampagne. Wir haben sie 2011 gestartet. Die Kampagne ist noch lange nicht vorbei, aber wir waren erfolgreich. Shell bohrt nicht mehr nach Öl in der Arktis, dem Kühlschrank des Weltklimas, die außerdem ein hochsensibles Ökosystem ist. Gazprom ist noch in der Arktis aber wir werden sie hoffentlich bald stoppen.

Wir arbeiten außerdem mehr in Allianzen mit anderen Organisationen, zum Beispiel Gewerkschaften. Vor dieser Klimakonferenz haben wir eine Petition ins Leben gerufen, um die großen Verschmutzter-Firmen für die Folgen des Klimawandels verantwortlich zu machen – auf Basis der Menschenrechte.

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