: Gottlos im Westen
Hau-den-Glücks-Lukas: Die Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen spielt „Der Turmbau zu Babel“
Das war wohl für alle Beteiligten ein aufregender Moment: Am Donnerstag und Freitag präsentierte die Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen mit zwei Aufführungen im Schlachthof das Ergebnis von einem Jahr intensiver Schauspielarbeit. „Der Turmbau zu Babel“, das dritte Stück der Theaterwerkstatt (Leitung: Holger Möller und Roland Huhs), ist in mindestens einer Hinsicht ein Debüt: In den letzten Jahren lagen den Aufführungen immer literarische Vorlagen zugrunde, dieses Jahr erarbeiteten die gut drei Dutzend Darsteller Inhalte und Texte in den zurückliegenden zwei Semestern erstmals in Eigenregie.
Ausgehend vom biblischen Text der babylonischen Sprachverwirrung, entstand aus Improvisationen und inhaltlichen Auseinandersetzungen eine lose Abfolge von Szenen mit dem zentralen Thema: Glück. Glücklich ist, so meint man im gottlosen Westen, wer sich abhebt und sich wie die Babylonier einen Namen macht.
An den entsprechenden Stellen bauen sich die in schlichtes Weiß gekleideten, ruhelos umherirrenden Akteure auf der nackten Bühne des Schlachthofes ihren ganz persönlichen Turm – Leistung, Konsum, Körper, Erfolg, all‘ das muss herhalten, um Identität zu spenden und das grässliche Vakuum eines unerfüllten Lebens zu überdecken. Gelingen kann das freilich nicht: Am Rand der Bühne steht ein Hau-den-Lukas, und im Verlauf des Stücks versuchen immer wieder verzweifelte Menschen, die Lichtleiter mit einem kräftezehrenden Schlag bis ganz oben ins Ziel zu schlagen.
Indes, als es einer dann schafft, ist er so erschöpft, dass er seinen Triumph gar nicht merkt und das eigene Lebensglück schrecklich verpasst. Zwischen all den mal bitteren, mal absurd-humoresken Darstellungen des verirrten Strebens nach Glück keimt gelegentlich Hoffnung auf. Mehrmals taumeln zwei Menschen mit ausgestreckten Armen aufeinander zu, der liebenden Vereinigung ganz nah. Doch mit der Berührung endet die Annäherung, und nebeneinander liegend bleibt bloß ein zwiespältiges Gefühl, das „Liebe“ zu nennen sich beide schnell einigen.
Anderswo, im vielleicht besten unter vielen guten Momenten der einstündigen Aufführung, löst sich einer aus dem hohlen, geschäftigen Streben und robbt mühsam ins Freie. Die anderen, erst entsetzt von dem Ausbruch, kommen ihm bald nach, und zärtlich zusammengekauert findet die Gruppe einen Moment lang im liebkosenden, zweckfreien Miteinander den so schmerzhaft vermissten Seelenfrieden.
Doch dann erscheinen wieder die allgegenwärtigen Treiber, Menschen mit Bauhelm und Trillerpfeife, die sich selbst und alle anderen unbarmherzig zu zielloser, repetitiver Geschäftigkeit antreiben, und bald ist das kurze Glück vergessen. Oh weh dir Babel, oh weh.
Jörn Schlüter
nächste und letzte Aufführung von „Der Turmbau zu Babel“ am Dienstag, dem 11. Juni, um 20 Uhr im Kulturzentrum Schlachthof. Karten unter ☎ 37 77 50
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen