: Gott und göttliche Komödie
Großdichter Gernhardt imitierte Stimmen zwischen Dante und dem Allmächtigen
Ein kleiner Festtag war es mindestens, als Meister Gernhardt am Dienstag im Schlachthof zum Worteschlürfen lud. Auf dem Programm stand ein Zug durch die Gemeinde – alte Bekannte vom Allmächtigen über Dante und Heine bis zum Enzensberger wurden heimgesucht.
Robert Gernhardt las vor allem aus seinem aktuellen Buch „In Zungen reden – Stimmenimitationen von Gott bis Jandl“. Variationen auf Dichtungen und andere Textsorten vom Mittelalter bis heute. Im Vorwort beschreibt er die Technik des Spottens – einst die Bezeichnung für Nachahmung, wie sie sich im Namen der „Spottdrossel“ erhalten hat. Dass der Satiriker Gernhardt das Spotten auch in seiner gegenwärtigen Bedeutung meint und beherrscht, bedarf kaum einer Erwähnung.
Dass es gerade im Falle Gernhardts dem Stoff zuträglich ist, wenn er ihn selbst vorliest, erfüllt die meist aus Werbezwecken veranstaltete Form der Dichterlesung mit zusätzlichem Sinn. Seine Meisterschaft im Umgang mit den klassischen Formen der Lyrik ist die virtuose Beherrschung einer Technik, die dem größeren Teil von Gernhardts Publikum in der Regel kaum geläufig sein dürfte. Weshalb Gernhardt dann auch für diejenigen, die Melodie und Rhythmus der Terzinen aus Dantes „Göttlicher Komödie“ vielleicht „nicht immer und an jedem Ort“ parat haben könnten (wie Gernhardt scherzte), fachgerecht ein paar Verse aus der deutschen Übersetzung skandierte, bevor er seine Imitation folgen ließ.
Die Vollendung, in der er Inhalte in Form, Ton und Rhythmus gießt, ist über jede Kritik erhaben. Wer sich weniger für Finessen der Metrik interessierte, konnte sich an dem feinsinnigen Humor Gernhardts erfreuen, der den wesentlich eigenen Ton in seine Arbeit bringt, für deren Nachahmung erst noch einer gefunden werden müsste. Bis das geschieht, bleibt Gernhardt eine Instanz.
Andreas Schnell
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