Goethe-Universität in Frankfurt: Module statt Adorno
An der Frankfurter Goethe-Universität scheint man sich nicht mehr an Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zu erinnern.
E s hat lange gedauert, bis die Stadt Frankfurt und die Goethe-Universität sich dazu entschließen konnten, Straßen und Plätze des neuen Campus Westend nach Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zu benennen.
Diese Philosophen und Soziologen haben nicht nur als Vertreter der Frankfurter Schule die Stadt weltbekannt gemacht, sondern vor allem den Sozial- und Geisteswissenschaften eine Richtung gegeben, die bereits in der Theorie auf eine Veränderung der Gesellschaft zum Besseren zielt.
Das gilt nicht zuletzt für die Pädagogik, der Adorno in seinen Überlegungen zu einer „Erziehung nach Auschwitz“, die auch und gerade in der globalisierten Welt aktuelle Norm vorgab: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen.“
Voraussetzung zur Orientierung an dieser Norm sei die Autonomie der Individuen, ihre Kraft zur Reflexion. Dass zu dieser Autonomie auch Kenntnisse darüber gehören, wie Mündigkeit verächtlich gemacht und Unterwerfung gefeiert wurde, sollte sich von selbst verstehen; Kenntnisse zumal der Pädagogik im NS-Staat sind daher unerlässlich.
Klein-Klein der Universitätspolitik
Deshalb auch hat das am Mittwoch in Berlin gegründete Netzwerk zur Erforschung, Erfassung und Bekämpfung des Antisemitismus (NEBA) gefordert, dass Bildung und Erziehung vermehrte Anstrengungen unternehmen sollen, künftige Lehrerinnen und Lehrer verstärkt in den Themen Rassismus und Antisemitismus zu qualifizieren.
Die Frankfurter Universität, die sich mit dem Namen Adornos schmückt, beweist freilich, dass eine Platzbenennung auch eine Verdrängungsleistung erster Klasse sein kann: Entsorgung von Kritik in Straßenschild. Das zu erklären erfordert, sich dem Klein-Klein von Universitätspolitik zuzuwenden.
So hat der Fachbereich Erziehungswissenschaften, dem der Autor dieser Zeilen früher angehörte, vor einiger Zeit – gegen Proteste auch des AStA – verfügt, dass der Besuch von Vorlesungen zu Antisemitismus und Rassismus für Lehramtsstudierende nicht mehr mit den im modularisierten Studium unerlässlichen Credit Points honoriert werden darf. Angeblich aus hochschuldidaktischen Gründen: Könne man doch diesem so schwierigen Thema in kleinen Lerngruppen weitaus besser entsprechen als in großen Vorlesungen.
Straßenschilder abhängen
Ziel dieser Maßnahme, die von der dem schwarz-grün regierten Land Hessen verbundenen „Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung“ (ABL) vorangetrieben wurd, war es jedoch lediglich, sich der Konkurrenz eines unbequemen Zeitgenossen zu entledigen: Benjamin Ortmeyer, Professor am Fachbereich, der in der Dokumentation der NS-Pädagogik eine Forschungsleistung vorgelegt hat, die ihresgleichen sucht, zog mit seinen Vorlesungen regelmäßig Hunderte von Studierenden an. Die „Akademie für Lehrerbildung“, die Ortmeyers Vorlesungen nicht für anrechenbar hält, artikuliert ihr Selbstverständnis so:
„Davon ausgehend, dass hervorragend ausgebildete Lehrkräfte die tragenden Säulen unseres Bildungssystems darstellen, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, Lehrangebote wissenschaftlich fundiert und konsequent theoriebasiert an den Erfordernissen der späteren beruflichen Tätigkeit auszurichten.“
So bleibt nur der peinvolle Schluss übrig, dass nach Überzeugung der „ABL“ und des Fachbereichs Erziehungswissenschaften Kenntnisse der Geschichte der Pädagogik und der NS-Zeit nicht zu den professionellen Qualifikationen von Lehrerinnen und Lehrern gehören.
Eine Universität und ihr erziehungswissenschaftlicher Fachbereich, die davon überzeugt sind, sollten dann entweder den Anstand aufbringen, sich nicht mehr mit Adornos Namen zu schmücken oder doch wenigstens in regelmäßigen Abständen jene Straßenschilder, die seinen Namen tragen, schamvoll zu verhüllen.
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