Goethe-Medaille für Iraner: „Dreißig Jahre Doppelleben“
Mahmoud Hosseini Zad, aktuell geehrt mit der Goethe-Medaille, übersetzt Judith Hermann oder Peter Stamm. Sein eigener Roman aber bleibt zensiert.
taz: Herr Hosseini Zad, bevor Sie Übersetzer von deutscher Literatur im Iran wurden, hatten Sie in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren Politikwissenschaften studiert. Wie kam es dazu?
Mahmoud Hosseini Zad: Deutschland genießt eine gewisse Beliebtheit im Iran. Es heißt bei uns, es habe keine kolonialistische Vergangenheit im Iran und habe sich historisch häufig gegen Briten, Russen und später Amerikaner gestellt. Wissen Sie, es gab im Iran sogar eine Gruppe, die geglaubt hat, Adolf Hitler sei Muslim und eigentlich Iraner …
Klingt abenteuerlich, das höre ich jetzt aber zum ersten Mal.
Doch, doch. Dass sich viele Deutsche wie auch Iraner für Arier und damit für Verwandte halten, spielt auch eine Rolle bei den bilateralen Beziehungen beider Staaten. Das hat schon mit dem Interesse für Deutschland bis heute zu tun. Jedenfalls, als ich mein Abitur gemacht habe, sagte mein Vater: Jetzt gehst du nach Deutschland.
Sie gingen in Teheran zur Schule?
Nein, in Maschhad. Das ist eine Stadt im Osten des Irans. Die heilige Stadt Maschhad. Mein Vater war Beamter, er arbeitete bei der iranischen Bahn. Wir zogen viel um, mein Abitur habe ich dann in Maschhad abgelegt.
Werdegang: 1946 in Firuzkuh, Iran geboren. 1967 Studium in Graz, ab 1968 in München. Diplom der Politikwissenschaften. Begann während des Studiums mit ersten literarischen Übersetzungen. 1975 Rückkehr in den Iran. Lebt mit Familie in Teheran.
Übersetzer: Arbeitete als Übersetzer im Auslandsdienst der staatlichen Rundfunkgesellschaft IRIB. Dozent für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Teheran, an der Azad-Universität und an der Tarbiat Modares. Übersetzte Brecht, Dürrenmatt sowie aktuell Judith Hermann, Peter Stamm und Uwe Timm. Autor von Dramen und Prosa. Wurde zusammen mit Petros Markaris und Naveen Kishore am 28. August in Weimar mit der Goethe-Medaille geehrt.
Veranstaltungen mit Hosseini Zad: Freitag, 6. 9., 18 Uhr, Rathaus Charlottenburg, Berlin; 12. 9., 20 Uhr, Café Ambiente, Bremen; 13. 9., 19 Uhr Goethe-Institut, München. Sprachen: deutsch und persisch.
Und dann hat der Familienrat, bzw. Ihr Vater beschlossen, es geht nach …
… Deutschland, ja. Ein mir damals komplett fremdes Land. In den sechziger Jahren merkte man aber bereits auch im Ausland, die Bundesrepublik Deutschland war wirtschaftlich im Kommen.
Was war das damals für eine Situation, als junger Iraner in die noch junge Nachkriegsrepublik zu kommen?
Zuerst war ich sechs Monate in Graz, Österreich. Ich habe nie Interesse für technische Fächer gehabt. Aber ich sollte dort Maschinenbau studieren. Graz war meine erste Station, ich war sechs Monate dort, begann Deutsch zu lernen und ging dann nach München. Dort habe ich Soziologie und Politikwissenschaften studiert. Es war die Zeit um 1968, die Conföderation Iranischer Studenten (Cisnu) war sehr aktiv und bestimmte unseren Alltag. Ich machte mein Diplom und wollte meinen Doktor in Berlin machen. Aber dann kamen die Anfänge der Revolution gegen den Schah. Und ich ging 1975 in den Iran zurück, da wollte ich schon dabei sein. Unser Traum war, den Schah zu stürzen. Bei seinem Besuch in der Bundesrepublik …
… am 2. Juni 1967 …
… da war ich gerade zwei Monate in München gewesen. Es gab riesige Demonstrationen, von denen ich mich aber als neu Angekommener noch fernhalten musste. Wegen der Polizei und drohender Abschiebung. Die Iraner, die in Deutschland studierten, gehörten größtenteils zum Mittelstand. Sie waren auch hierhergekommen, weil man gut Arbeit fand. Und fast alle standen in Opposition zum Schah.
Auf Ihren Wechsel vom Maschinenbau zur Politikwissenschaft folgte noch ein weiterer: zur deutschen Sprache und Literatur. Wie kam es dazu?
Meine Beziehung zur deutschen Sprache ist bis heute kompliziert geblieben. Wissen Sie, wenn man nach Weimar kommt als Iraner, um hier die Goethe-Medaille überreicht zu bekommen, dann erwartet jeder ein Referat über Goethe, Hafis und den „West-östlichen Divan“. Ich werde aber kein Wort mehr über meine Beziehung zum „Deutschen“ sagen.
Hm, was ist denn daran so kompliziert?
In meiner Familie wurde viel gelesen, Bücher, Zeitungen und sehr viel Film geschaut. Im Iran hatten wir die einheimische Literatur gelesen, aber auch die US-Amerikaner, Hemingway, Faulkner, Steinbeck. Deutsche waren sehr wenige darunter. Als ich dann in den Sechzigern nach Österreich und Deutschland kam, habe ich über das Lesen von Romanen und Zeitschriften Deutsch gelernt.
Deutsch kannte ich vom Klang als harte und gewalttätig klingende Nazisprache aus Hollywood-Filmen. Aber jetzt lernte ich auch das andere Deutsch kennen. Diese Diskrepanz spüre ich bis heute, einerseits diese wunderschöne Sprache und andererseits diese brutale Geschichte.
Können Sie sich noch an Ihre erste deutschsprachige Lektüre erinnern?
Ja, das war, noch in Graz, ein Roman, „Ein gewisser Herr Ypsilon“ von Barbara Noack. Und als ich dann zum ersten Mal Friedrich Dürrenmatt gelesen habe, „Der Richter und sein Henker“, da konnte ich kaum glauben, dass man auf Deutsch so wunderschön alles beschreiben kann. Die Natur, so prägnant, dass du in einem Satz schon alles hast. „Der Richter und sein Henker“ gehört zu den ersten Büchern, die ich in Deutschland noch als Student zu übersetzen begann. Mit meinem damaligen Deutsch. Und so habe ich meine Liebe zur deutschen Sprache und Literatur entdeckt.
War die Art zu schreiben, die eines Dürrenmatt, so anders als das, wie sich iranische Schriftsteller jener Zeit auszudrücken pflegten?
Ja, das kann man schon sagen. Ich stand damals aber bereits unter Einfluss iranischer Klassiker und Autoren, die ebenfalls sehr prägnant und sachlich schrieben. Ohne Adjektive, ohne Attribute, knappe, nüchterne Formulierungen. Als Schriftsteller schreibe ich selbst auch heute so ähnlich. Die Kritik im Iran sagt über meine Erzählungen häufig, ich könne ruhig etwas mehr ausschweifen und ausschmücken. Aber ich orientierte mich eher an der Prägnanz, die ich bei Dürrenmatt und anderen sah oder jetzt der neueren Generation.
Neuere Generation?
Ich meine Schriftsteller der Gegenwart, die ich übersetze wie Judith Hermann, Ingo Schulze oder Uwe Timm.
Hatten Sie nach der – aus linker und demokratischer Perspektive – gescheiterten Revolution von 1979 und der Islamisierung des Landes nicht den Wunsch verspürt, wieder in den Westen zu gehen?
Meine familiären Bindungen waren dafür viel zu stark. Auch heute nach dem Tod meiner Eltern ist das so. Nach 1979 sind Millionen Iraner ausgewandert. Aber ich wollte nicht. Nein. Aber wir hatten auch nie gedacht, dass wir einmal in diese Situation geraten würden nach der Revolution. Der Iran war in den siebziger Jahren ein fast modernes Land, und alles schien möglich. Auch längere Aufenthalte im Ausland. Es ist anders gekommen.
Welchen Stellenwert haben die deutsche Literatur und überhaupt die westliche Gegenwartsliteratur im Iran?
Deutschland und Iran rühmen gern ihre langjährigen Beziehungen. Man hatte im Iran zwar von Goethe, Schiller oder Thomas Mann gehört, später von Böll und Brecht, aber richtig übersetzt wurden nur wenige. Es wurde mehr die angloamerikanische Literatur gelesen. In den vorrevolutionären siebziger Jahren wurde viel Brecht übersetzt. Von manchen seiner Werke gibt es sieben verschiedene Übersetzungsfassungen.
Und wie ist das heute, erzielt eine von Ihnen herausgebrachte Anthologie mit übersetzten Texten von Judith Hermann, Ingo Schulze, Uwe Timm eine nennenswerte Auflage auf dem iranischen Markt?
Erstaunlicherweise: ja. Zum Beispiel „Alice“ von Judith Hermann, „Agnes“ von Peter Stamm oder „Am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm sind richtige Publikumserfolge geworden. Die Leute wollen das. Die Bücher sind in mehreren Auflagen im Iran erschienen.
Holen sich auch die jüngeren Leute Bücher oder lesen die digital und übers Internet?
Also E-Books sind kaum üblich. Über das Internet macht man Werbung für Bücher oder liest Bücher, die längst vergriffen sind. Aber die aktuellen Bücher werden schon traditionell hergestellt und verbreitet.
Gibt es denn überhaupt ein richtiges Buchhandelssystem?
Gibt es. Im Iran gibt es zwar kein Copyright, der Iran hat die Copyright-Konvention nie unterschrieben, aber die zwei Verlage, mit denen ich arbeite, versuchen sich dennoch an die internationalen Standards zu halten. Wir erleben bei den Übersetzungen derzeit einen richtigen Boom. Übersetzungen werden weniger stark zensiert von den Behörden. Aber für mich als Schriftsteller mit meinen eigenen Erzählungen ist es schwieriger. Eines meiner Romanmanuskripte bleibt seit fünf Jahren zensiert, bekommt keine Publikationsgenehmigung, nichts.
Man muss alles vor Veröffentlichung den Behörden vorlegen?
Alles. Drehbücher, Dramen, Romane, Ausstellungen, alles.
Worum geht es in Ihrem zensierten Roman?
Über die korrupte Wirtschaft. Der Roman ist eine Adaption von Shakespeares „Macbeth“ vor dem Hintergrund der Neureichen und Aufsteiger nach der Revolution. Wie sie sich nach 1979 bereichert haben.
Gibt es das Buch im Ausland oder in Übersetzung?
Ich will, dass es im Iran veröffentlicht wird und nicht in einem Exilverlag, sonst wird es niemand im Iran jemals öffentlich diskutieren.
Wir leben in schweren Zeiten. Im Iran selber kommen Reformen nur mühsam oder gar nicht voran. Im Nachbarland Syrien tobt ein lang anhaltender brutaler Bürgerkrieg. Wie nehmen die Iraner das wahr?
Die syrische und die iranische Regierung arbeiten zusammen. Aber ich bezweifle, dass dies vom Volk begrüßt wird. Die demokratischen Aufstände in der arabischen Welt haben auch im Iran Spuren hinterlassen, zum Beispiel die neue Präsidentschaft Rohanis.
Gerade habe ich gelesen, dass 200.000 Menschen im Iran abhängig von Alkohol sind und man nun ganz offiziell eine Entzugsklinik für Alkoholiker eröffnet hat. Wie passen solche Nachrichten zu dem Bild eines rigoros religiös geprägten Gottesstaates?
Ach, es ist noch viel schlimmer: Korruption, Prostitution. Drogen kannst du an jeder Ecke Teherans kaufen. Kokain, Heroin, Crystal, das bei uns Schische heißt, werden konsumiert. Und beim Alkohol heißt es: Vor der Revolution hatten wir drei Spirituosenwerke, jetzt Hunderte von Schwarzbrennereien. Seit dreißig Jahren müssen wir dieses Doppelleben führen: Wir haben ein öffentlich-gesellschaftliches Leben und davon abgespalten ein privates Untergrundleben. Auf den Straßen von Teheran siehst du die teuersten Porsches, BMWs und Mercedes. Die sind im Iran irrsinnig teuer. Daneben existiert praktisch kaum mehr eine Mittelschicht. Die Kluft ist gewaltig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos