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Gnade ist Auslegungssache

Im Petitionsgremium wird über Satz aus der Koalitionsvereinbarung zur Abschiebung gestritten: Einvernehmen oder nicht?  ■ Von Elke Spanner

Als er sich in der Bürgerschaft zur Hamburger Abschiebepolitik zu Wort meldete, hatte Jürgen Klimke Ende Juni Erstaunen ausgelöst. Als Linker wurde der CDU-Mann von den einen gelobt, von den anderen beschimpft. Einig waren sich die Abgeordneten aller Fraktionen indes darin, dass der Vorsitzende des Petitionsausschusses diesen vertrauensvoll leiten werde. Nun jedoch stehen Gespräche über Klimkes Politik auf der Tagesordnung des „Gnadenausschusses“: Gestern mussten die Obleute der Fraktionen im Schnellverfahren über die Abschiebung einer kranken Rumänin entscheiden. Obwohl der Regenbogen-Abgeordnete Lutz Jobs dagegen stimmte, gab Klimke als Vorsitzender der Ausländerbehörde grünes Licht.

Erstmals hat er damit eine Formulierung der rot-grünen Koalitionsvereinbarung vom 9. Juli ausgelegt. In einer Nachtsitzung hatten sich die Fraktionsspitzen von SPD und GAL über eine gemeinsame Linie in der Abschiebepolitik der Ausländerbehörde verständigt. Die hatte unter anderem die rechtliche Möglichkeit von Flüchtlingen ausgehebelt, die zwangsweise Ausreise durch eine Petition zu verhindern. Wurde das Rechtsmittel kurz vor dem Abflug eingelegt, argumentierte das Amt, sei es missbräuchlich: Es solle keine „Gnade“ ereicht, sondern allein der Flug verhindert werden. Immer wieder setzte sich die Ausländerbehörde über den Grundsatz hinweg, dass Petitionen eine aufschiebende Wirkung haben, der Flüchtling bis zur Entscheidung also bleiben darf.

Für derartige Fälle legten die Koalitionspartner ein Schnellverfahren fest: Die Ausländerbehörde muss den Vorsitzenden des Petitionsauschusses benachrichtigen. Der prüft die Akten und befragt dann die übrigen Obleute der einzelnen Fraktionen telefonisch zu deren Meinung. Unter Punkt 4 der Vereinbarung ist das in die Worte gefasst: Klimke „stellt telefonisch Benehmen mit den Obleuten her“.

Dazu, was „Benehmen“ ist, schweigt das Papier indes. Dass eine einstimmige Lösung gefunden werden müsse, findet GALier Mahmut Erdem, der nach dem gestrigen Fall bereits Gespräche mit Klimke angekündigt hat – ebenso wie Lutz Jobs vom Regenbogen. Dass es lediglich eine Einigung sein müsse, der jedoch nicht alle vier Obleute zugestimmt haben müssen, interpretiert Klimke. Und dass sich nur die Obleute der regierenden GAL und SPD verständigen müssen, liest Rolf Polle (SPD) aus dem Satz heraus.

Über ihre Interpretation gesprochen haben die Obleute bisher nicht. Dennoch will Klimke nicht allein zu seiner Auslegung gelangt sein. Dass es ausreiche, wenn die Mehrheit der Obleute einer Meinung sei, sei ihm in Gesprächen signalisiert worden. Von einem Senatsvertreter. Wer das war? „Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde.“

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