: „Glückwunsch ans Unternehmen“
■ Die Statistiken der Kaufhäuser sind immer so gut wie ihre Hausdetektive
Ladendiebstähle nehmen zu. Unternehmen untermauern dies mit Zahlen. Allein in den 220 inländischen Karstadt- und Hertie-Kaufhäusern wurden im letzten Jahr gestohlene Waren im Wert von knapp über acht Millionen Mark sichergestellt; der „Klauschnitt“pro gefaßter Person liegt bei 111 Mark. Auch der Bremer Einzelhandelsverband stöhnt über die Klauintensität der BremerInnen. Die Bremer Polizei vermeldet einen Anstieg der Ladendiebstähle seit 1990 um 17 Prozent auf 8.454 Fälle im letzten Jahr. Über die Entwicklung, die Unternehmen „alarmierend“nennen, sprach die taz mit Thomas Diersch, Rechtswissenschaftler an der Uni Bremen.
taz: Herr Diersch, verfällt der Eigentumsbegriff ?
Diersch: Ich würde sagen, das Sicherungsverhalten des Einzelhandels ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Wenn Sicherungssysteme bei hochwertigen Waren verbessert werden und die Bewachung konzentriert wird, ist der Aufdeckungserfolg in schadensträchtigen Bereichen natürlich größer und der Klauschnitt steigt. Deutlich gesagt: Wenn Hausdetektive in der Technikabteilung eingesetzt werden, ist die Schadenssumme pro ertapptem Dieb selbstverständlich höher als in der Lebensmittelabteilung. Aber wenn weiter Zahlen ohne die notwendigen Bezugsgrößen präsentiert werden, dann reduziert sich deren Aussagekraft noch. Wo Diebstahl um 2.000 Fälle zunimmt, muß man berücksichtigen, wie sich Verkaufsfläche und Umsätze entwickelt haben oder ob mehr Sicherheitspersonal eingesetzt wird.
Der durchschnittliche Karstadt-Dieb macht offenbar einen Schnitt von 111 Mark...
...das ist erstaunlich hoch und widerspricht der polizeilichen Kriminalstatistik. Dort liegen fast die Hälfte aller angezeigten Fälle unter einem Warenwert von 25 Mark. Ich meine, man kann, ketzerisch formuliert, den Unternehmen angesichts der veröffentlichten Zahlen nur Glückwünsche zu den Erfolgen ihrer Hausdetektive aussprechen. Aus den Zahlen Rückschlüsse auf die Wertvorstellungen der Bevölkerung hinsichtlich des Privateigentums zu ziehen, halte ich für verfehlt. Davon abgesehen, daß die Warendiebstahlskriminalität sich durch alle Schichten zieht, dokumentiert sie weder einen Verfall noch ein kritische Haltung gegenüber unserer Eigentumsordnung – sondern vielmehr Hilflosigkeit.
Stimmt es, daß Kaufhausdiebe ungeschoren davonkommen?
Der Ladendieb ist zuerst der sogenannten Warenhausjustiz aussgesetzt. Das heißt mindestens der konsequenten Anzeigenerstattung, dem Hausverbot, aber auch Schadensersatzforderungen bis hin zu Versuchen, Prämien und Gebühren einzutreiben, die einer Privatstrafe gleichkommen. Das führt ja unter anderem zu der hohen Aufklärungsquote von über 90 Prozent, wobei beim Ladendiebstahl in der Regel der Verdächtige gleich mitgeliefert wird.
Wie groß ist das Dunkelfeld?
Da gibt es nur wenig verläßliche Schätzungen, die von einem Verhältnis von bis zu 1:1.000 ausgehen. Enorm zum Teil.
Was die Strafverfolgung betrifft, wird Diebstahl von geringen Werten meist eingestellt. Das gilt besonders für Ersttäter. Meist gibt es nur für Wiederholungstäter eine Klage oder Hauptverhandlung und nur im Ausnahmefall wird das Strafmaß da ausgenutzt. Kaufhausdiebe werden also mit privaten und staatlichen Repressionen konfrontiert. Ich persönlich halte das Instrumentarium für ausreichend, allerdings dauern die Verfahren viel zu lange. Da bietet Bochum einen Schritt in die richtige Richtung, wo Ladendiebe innerhalb eines Tages abschließend bestraft werden.
Es klauen ja nicht nur Betriebsfremde, sondern auch -angehörige. Wie sieht es da aus?
Beim Schwund, bei der sogenannten Inventurdifferenz also, geht man davon aus, daß 20 Prozent von den Lieferanten unterschlagen wird; weitere 30 Prozent gehen auf das Konto der Angestellten; die übrigen 50 Prozent werden von Ladendieben gestohlen.
Immer wieder gibt es Klagen über Sicherheitsdienste. Was dürfen die und was nicht?
Die Rechtsordnung gestattet privaten Sicherheitsdiensten nicht mehr Befugnisse als jedem anderen Bürger. Polizeibefugnisse sind nicht vorgesehen, das heißt, es reduziert sich auf das Hausrecht.
Beispiel: Ich werde beim Diebstahl geschnappt. Muß ich die Ware bezahlen?
Natürlich nicht. Die Waren werden ja sichergestellt, außerdem wollte der Dieb das ja nie kaufen. Was die Befugnisse angeht, erfüllt das Einsperren oder Festhalten von Personen regelmäßig zwei Straftatbestände, meist die von Freiheitsberaubung bzw.Nötigung.
Das klingt, als dürften Ladeninhaber wenig unternehmen?
Nein. Häufig wird der Straftatbestand durch bestimmte Gründe gerechtfertigt, wie das Recht zur vorläufigen Festnahme und das auf Selbsthilfe. Wenn die Ware sichergestellt wurde, ist die vorläufige Festnahme nur möglich, wenn die Person der Flucht verdächtig ist oder die Identität nicht festgestellt werden kann. Darüberhinaus besteht keine Befugnis zur Festnahme, wenn die erwartete Strafe das nicht rechtfertigt. Wer weiß, wie nah in Bremen die Polizei zur Innenstadt liegt, wird eine private Zelle oder einen Gewahrsam unverhältnismäßig finden.
Steht da im Fall von Beschwerden nicht immer Aussage gegen Aussage?
Man muß eingestehen, daß professionelle Organisationen überhaupt nur mit einer entsprechenden Beweislage vorgehen. Da ist man als vermeintlicher Ladendieb meist in der schlechteren Position.
Fragen: Eva Rhode
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