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Globale Ungleichheit nach CoronaZukunftsdenken ist Luxus

In Deutschland träumen viele von einer besseren Welt nach der Coronakrise. Für die Ärmsten im globalen Süden wird danach alles nur noch schlimmer.

Gedanken über eine Zukunft nach Corona? Nur möglich, wenn man nicht hungrig ist Foto: Cyril Ndegeya/dpa

KIGALI taz | Kurz bevor die Müllabfuhr anrückt, wühlen sich Kinder durch den Abfall. Sie suchen nach Lebensmittelresten. Ein barfüßiger Junge findet etwas und läuft davon, da wird er von den anderen gefasst und verprügelt.

Hunger wegen Corona

Weltweit: Das UN-Welternährungsprogramm WFP warnt, dass sich die Zahl der unterernährten Menschen wegen der Coronapandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen weltweit fast verdoppeln könnte. Die Zahl der Menschen, die sich nicht ausreichend ernähren können oder Hunger leiden, könnte von 135 Millionen im Jahr 2019 auf 265 Millionen dieses Jahr anwachsen, hieß es in einem am Dienstag vorgelegten Bericht. (dpa)

Ostafrika: Das WFP befürchtet, dass sich hier die Zahl der Menschen verdoppeln könnte, die von Nahrungsmittelknappheit betroffenen sind. Die Versorgung sei bereits für rund 20 Millionen Menschen gefährdet, so das WFP am 28. April 2020. Ihre Zahl könnte innerhalb von drei Monaten auf bis zu 43 Millionen ansteigen. Besonders betroffen seien Äthiopien, Ruanda und Uganda. (afp)

In vielen afrikanischen Ge­sell­schaften wie hier in Ru­an­da zeigt sich derzeit: Die Zivilisation ist nur drei Mahlzeiten von der Anarchie entfernt. Und die städtische arme Bevölkerung, die von einem Tag auf den anderen lebt und durch die Ausgangssperre von heute auf morgen ihren Tageslohn verloren hat, kämpft nun nach acht Wochen Coronakrise ums nackte Überleben.

In Deutschland machen sich derzeit viele Gedanken, wie sie die Coronakrise als Chance für eine bessere Welt betrachten können. Die Deutschen fordern Lockerungen, sie wollen ihren Sommerurlaub planen. Doch das ist reines Luxusdenken, ermöglicht durch Soforthilfen, Kurzarbeitergeld und Ersparnisse. Nur wer sich nicht fragen muss, wie er den Tag übersteht, kann sich über die Zukunft Gedanken machen.

Europa sieht Licht am Ende des Coronatunnels. Afrika steht derweil angeblich noch ganz am Anfang. In düsteren Prognosen ist von zehn Millionen Toten und Leichenbergen auf den Straßen die Rede. Das hat Angst gemacht. Und es führte dazu, dass die meisten Afrikaner in Anbetracht ihrer maroden Gesundheitssysteme sämtliche radikalen Maßnahmen ihrer Regierungen akzeptiert haben.

Krise der Eliten wird zu Krise der Armen

Tatsächlich sind die Corona-Todeszahlen in Afrika im Vergleich zu Europa oder den USA sehr niedrig. In Ruanda, Uganda und Kenia starben mehr Menschen durch Polizeigewalt im Rahmen der Ausgangssperre als durch das Virus. Doch jetzt kommt die Phase, in welcher viele nicht an Covid-19, sondern an Hunger und Mangelerscheinungen zugrundegehen.

Was als Krise der reichen Elite begann, die das Virus aus dem Ausland einschleppte, wird nun zur Krise der Armen – und damit der Mehrheit. Milliarden von Menschen auf der Welt haben keine finanziellen Reserven, um überhaupt Reis und Bohnen zu hamstern, geschweige denn Klopapier. Mütter müssen jede Erbse zählen, die sie ihren Kindern vorsetzen.

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie werden die Ärmsten noch weiter in die Armut stürzen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird noch weiter auseinanderklaffen, in allen Bereichen. Schulunterricht via Internet kommt nur für Kinder der betuchten Oberklasse in Frage, die teure Privatschulen besuchen. Kinder armer Eltern, in deren öffentlichen Schulen es nicht einmal Glühbirnen gibt, müssen sich durch den Müll wühlen – ihnen fehlt jetzt die einzige warme Mahlzeit des Tages, die ihnen sonst die Schule hinstellt. Das ist die Realität.

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8 Kommentare

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  • Ja, jede Schwäche der Wirtschaft im industrialisierten Norden schlägt bei den Ärmsten von Indien bis Afrika doppelt so stark durch. Von diesem Zusammenhang von dem wir hier solange es läuft übrigens alle profitieren (Stichworte T-shirt für nen Eurofuffzig bis Lanthan im Mobfon) will auch hier bei den TAZ Lesern oft kaum einer was wissen. Von Geldern die der Malariabekämpfung nun fehlen und somit auch hier dieTodeszahlen steigen werden, ist ebenso kaum eine Meldung wert.



    Andere Dinge sind wichtiger, z.B. ob die Kinder wieder auf den Spielplatz dürfen...bzw. nicht mehr dürfen.

  • In diesen Ländern könnte es sogar sinnvoll sein, sämtliche Ausgangsbeschränkungen aufzuheben und die Krankheit durchzumachen.



    Dabei müsste man in Kauf nehmen, dass ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung stirbt. Vielleicht sogar 5%.



    Das könnte immer noch besser sein als noch höhere Todeszahlen durch eine verhungernde Bevölkerung zu haben. Ich weiß, es ist furchtbar. Aber in Ländern, in denen >70% der Bevölkerung "von der Hand in den Mund" leben ohne festes regelmäßiges Einkommen könnte das das geringere Übel sein.



    Und wir sorgen uns um unseren Sommerurlaub.



    Das ist nur noch pervers.

    • @Chris-AC:

      Da bin ich gespannt, wie das Betroffene sehen in Afrika. Wer will schon freiwillig krank werden und womöglich sterben? Die Herdenimmunität ist nirgendwo eine Alternative ohne Impfung. Das RKI hat heute schon wieder schwadroniert davon, das 60 bis 70% der Bevölkerung die Seuche durchmachen müßten. Das dauert bei täglich mehreren tausend neuen Fällen Jahrzehnte, kostet Hundertausenden das Leben und nützt gar nichts, weil die



      Immunität nur etwa ein bis zwei Jahre sein soll, was auch umstritten ist. Ohne Impfung ist das einfach gefährlicher Blödsinn.

      Armut, Krankheit, Hunger, Heuschreckenplagen, Klimawandel, noch mehr werden sich auf den Weg machen nach Europa. Da ist die EU und die UN gefragt gegen zu steuern mit vielen Programmen. Persönlich kann man etwas machen, indem man z.B. Patenschaften o.ä. übernimmt bei seriösen Hilfsorganisationen, wie Caritas oder Diakonie. Wenn jede/r EU-Bürger/in, jedes Unternehmen in der EU jeden Monat nur ein paar Euro abgibt, ist ebenso vielen etwas geholfen in Afrika.

      • @Geli75:

        Meine Schwägerin stammt aus Kenia.



        Meine (voljährigen) Nichten waren dort noch an Weihnachten zu Besuch. Eine von denen beendet derzeit ihren Master in "internationaler Entwicklungs-Zusammenarbeit".



        Sie schildert mir die dortigen Probleme sehr eindringlich. Natürlich haben die Leute Angst vor dem Virus - und auch davor an CoVid19 zu sterben.



        Aber wie würden Sie sich entscheiden: Aus Angst vor dem Virus zu Hause bleiben und dann spätestens nächste Woche nichts mehr zu essen zu haben, oder trotzdem rausgehen um zu versuchen etwas Geld aufzutreiben um zu überleben - mit dem Risiko zu erkranken...



        Es gibt keine Sozialhilfe und keine "Wohlfahrt".



        Die haben die Wahl zwischen Pest und Cholera.



        Sie sagen, man kann etwas tun: Eine Patenschaft haben wir schon vor über 10 Jahren bei SOS Kiderdorf übernommen. Dazu kamen immer noch Einzelspenden.



        Jetzt bekomme ich Kurzarbeitergeld und muss selbst zusehen wie wir karkommen.



        Ich habe leider keine Lösung...

        • @Chris-AC:

          Es ist diese typische weiße Ideologie, die meint, was gut ist für Afrika. Herdenimmunität, ohne Impfstoff, ist es sicher nicht. In Afrika nicht und hier auch nicht. Ein Risiko gezwungenermaßen eingehen zu müssen ist nun mal ganz was anders als davon zu schwadronieren, das alle den Virus durchmachen müssten und dann noch einen hohen Anteil von Todesopfern in Kauf zu nehmen, über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Das ist moralisch und ethisch zutieft verwerflich und eine inakzeptable Debatte auf dem Niveau von Herrn Palmer & Co. Muß man noch schreiben, das nur jeder der kann, etwas geben soll? Das Risiko sich hier anzustecken auf der Arbeit gibt es auch. Das Hauptproblem scheint zu sein, das im Moment mehr Menschen durch Polizeigewalt in Afrika sterben bei der Durchsetzung der Ausgangsbeschränkungen als an Corona selbst, wenn man den Medien glauben kann, nämlich weil viele kein Geld haben und jeden Tag draußen arbeiten müssen, um nicht zu verhungern.

    • @Chris-AC:

      Wissen Sie, wieviele Menschen weltweit jährlich an Hunger sterben? Es sind ca. 9 Mio.. Das prangert der schweizer Soziologie-Professor und Politiker Jean Ziegler seit Jahren an. Aber diese 9 Mio. Menschen sterben nicht in den wohlhabenden Ländern...

      • @shashikant:

        Ich weiß.



        Das würde ich gerne ändern, aber das steht leider nicht in meiner Macht.



        Ich kann mit meiner Hilfe leider nicht viel bewirken und würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen helfen würden...

        • @Chris-AC:

          Entschuldigen Sie meinen unangemessenen Ton im vorigen Kommentar. Ich hatte Ihre Email nicht aufmerksam genug gelesen.



          Dennoch sollte die Priorität unserer Aktivitäten meiner Meinung nach nicht in erster Linie darin bestehen, den Regierungen in Entwicklungsländern (EL) Empfehlungen zu geben, sondern erst einmal unsere Hausaufgaben im Umgang mit EL zu machen. Jean Ziegler und Andere haben dazu viele Vorschläge gemacht.



          Machen Sie es gut!