piwik no script img

Globale KlimapolitikGegengift gegen die Verzweiflung

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

Der Bericht zu den Entwicklungszielen steckt voller Hiobsbotschaften. Doch er liefert die nötigen Daten, um Druck auf die Staaten zu machen.

Schlechte Entwicklung in den USA, hier Obdachlose in San Francisco Foto: Michael Ho Wai Lee/Zuma/imago

W er sich derzeit in der Welt umblickt, den kann schnell der Mut verlassen. Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine geht unvermindert weiter, die Coronapandemie ist nicht vorbei, Klimakrise und Artensterben eskalieren. Millionen Menschen sind auf der Flucht, es drohen Hungersnöte, und autoritäre Systeme wie in Russland, China, der Türkei oder Ungarn unterdrücken jede Alternative. Und jetzt bestätigt auch noch eine Zwischenbilanz der UN-Entwicklungsziele diesen Eindruck, dass alles immer schlimmer wird.

Dabei ist der Bericht zu den „nachhaltigen Entwicklungszielen 2022“ von Thinktanks und WissenschaftlerInnen auch ein Gegengift gegen die allgemeine Verzweiflung. Denn er liefert detaillierte Daten, mit deren Hilfe diese Probleme angepackt werden können – und die den nötigen politischen Druck dazu erzeugen können. „Nachhaltige Entwicklung“ ist ja das Versprechen auf eine bessere Zukunft: eine Welt ohne Hunger, ohne Armut, mit stabiler Gesundheitsversorgung, Bildung, einem Dach über dem Kopf, einer guten Arbeit, in einer gerechten Gesellschaft und einer gesunden und lebenswerten Umwelt. Diese „Sustainable Development Goals“ (SDGs) versprechen allen Menschen ein Leben, wie es den meisten von uns in den demokratischen Wohlfahrtsstaaten normal vorkommt.

Diese SDGs haben aber einen Geburtsfehler: Sie wurden von allen Staaten beschlossen, sind aber nicht einklagbar und werden gern ignoriert. Hier setzt der aktuelle Bericht an: Er erinnert an die Versprechen und zeigt detailliert, welches Land in welchem Bereich Fort- und Rückschritte macht. Mit dieser Transparenz macht er deutlich, wer Verantwortung trägt, welche Maßnahmen funktionieren und wo ein Land beim Versuch steht, das Leben seiner BürgerInnen in den zentralen Überlebensfragen zu verbessern: Es ist etwa peinlich für die USA, hinter Kuba und der Ukraine abzuschneiden.

Bang­ladesch und Kambodscha dagegen können sich bestätigt fühlen. Der Bericht erinnert auch daran, wie schwer die Verantwortung der Industriestaaten wiegt: Wenn etwa Deutschland Platz 6 bei der Umsetzung der SDGs zu Hause erringt, aber bei der internationalen Verantwortung nur auf Platz 149 landet, zeigt uns das, wie viele Lebenschancen unsere Importe, Exporte und unsere Handelspolitik andernorts zerstören.

Der Bericht ist brisant, denn Information ist eine mächtige Waffe. Auch das Pariser Klimaabkommen zum Beispiel galt lange als zahnlos. Bis das Bundesverfassungsgericht dessen Pflichten ins Juristische übersetzte. Sobald jemand politische oder juristische Hebel für die Umsetzung der SDGs findet, schlummern hier viele überzeugende Argumente für echte Veränderung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Solange wir den Umgang mit Rechten und Pflichten dem 1x1 der Liturgie entnehmen, sehe ich keine Anzeichen für eine Änderung unserer Lebensweise. Der Erfolg wird von außen kommen müssen.

  • Aus einem Lesefehler heraus und als Ergebnis einiger Vorträge habe ich die sdgs immer als "social development goals" in meinem Kopf abgespeichert. Und dann war ich ganz überrascht als ausgeschrieben das Wort sustainable auftauchte. Und das bin ich auch noch heute.



    Wir haben in Europa einen etwa 10 %igen Anteil an Kreislaufwirtschaft innerhalb unserer Wirtschaft. Der Rest ist one way.



    Ich frage mich von wem wir denn Nachhaltigkeit lernen wollen und ob wir bereit sind konsequente Nachhaltigkeit zu leben? Oder übernehmen wir Modelle die im globalen Süden entworfen werden? Und wo sind die?



    Kambodscha hat ein massives Problem mit (illegalem) Holzverkauf und es werden gewaltige Bausünden in sensiblen Gebieten vorgenommen, um den reichen Touristen (bevorzugt aus einem grossen Land im Norden) was bieten zu können. Taugt auch nicht recht als Vorbild.



    Wo ist die Nachhaltigkeit bei den 17 Zielen denn definiert und wo ist der Weg aufgezeigt, ähnlich CO2 Ausstoss, wo wir ja auch kläglich scheitern?

  • Einen Lebensstil, wie z.B. wir in Deutschland ihn haben, für 8 Milliarden Menschen herzustellen, gibt der Planet nicht her. Das ist der eigentliche Geburtsfehler der SDG. Wenn wir nicht ohne existentielle Zwänge bereit sind, uns einzuschränken, und das sind wir mehrheitlich nicht, wird sich an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen nichts ändern. Selbst im Ahrtal wollen die Leute mehrheitlich alles genauso weitermachen wie vor der Katastrophe. Klima, das ist abstrakt. Das verstehen Menschen nicht als direkte Bedrohung. Kein Sprit mehr, das wird als Bedrohung empfunden.