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Gleichstellungsbeauftragte über Sexarbeit„Schutz sieht anders aus“

Prostituierte sollen mit einem neuen Gesetz mehr selbstbestimmen können. Die Gleichstellungsbeauftragte in Kiel befürchtet, dass das Gegenteil geschieht.

Schutz oder Kontrolle? Im Hamburger Stadtteil St. Georg patroullieren „bürgernahe Beamte“. Foto: Christian Charius/dpa
Interview von Larissa Robitzsch

taz: Frau Rausch, wieso kritisieren Sie den Entwurf des neuen Prostituiertenschutzgesetzes?

Helga Rausch: Weil es nicht das erfüllt, was es verspricht. In dem Gesetz heißt es, dass es das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in der Prostitution stärken will. In Wahrheit werden die Frauen durch das Gesetz bevormundet.

Inwiefern?

Die Anmeldepflicht ist ein gutes Beispiel dafür. Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie haben alle Unterlagen für die Gewerbeanmeldung ordnungsgemäß ausgefüllt und dann wird Ihnen die Anmeldung versagt, weil die Behörde Ihnen nicht glaubt, dass Sie wirklich freiwillig arbeiten wollen und sich schützen können. Wie will die zuständige Person darüber nach einem Treffen entscheiden können? Schutz sieht für mich anders aus. Für mich ist das Kontrolle von volljährigen und mündigen Menschen.

Was ändert sich für SexarbeiterInnen und BordellbetreiberInnen?

Die SexarbeiterInnen sollen mit dem neuen Gesetz dazu verpflichtet werden, sich jedes Jahr untersuchen zu lassen, sich anzumelden und diese Anmeldung alle zwei Jahre zu wiederholen. Bei den BordellbetreiberInnen wird ebenfalls eine Erlaubnis für das Betreiben eines Prostitutionsgewerbes verlangt, aber diese Erlaubnis wird ohne Befristung erteilt. Ich finde es merkwürdig, dass diejenigen, die eigentlich geschützt werden sollen, deutlich stärker kontrolliert werden, als die BordellbetreiberInnen.

Was ist an Anmeldepflicht und verpflichtender Gesundheitsuntersuchung denn problematisch?

Im Interview: Helga Rausch

54, die Verwaltungsbeamtin ist seit zwei Jahren Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Kiel.

Für mich ist nicht klar, warum bei der Gesundheitsuntersuchung mit Zwang, Kontrolle und Regulierung gearbeitet wird, anstatt auf Empowerment und die Stärkung der SexarbeiterInnen zu setzen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Anmeldepflicht aus datenschutzrechtlicher Perspektive in Ordnung ist. In den Niederlanden wurde aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken so ein Vorhaben gekippt.

Was kommt auf die Bundesländer und die Kommunen zu, sollte das Gesetz in der jetzigen Form beschlossen werden?

Dem Gesetzentwurf ist zu entnehmen, dass allein für die Umsetzung der Anmeldepflicht und die verpflichtende Gesundheitsversorgung Kosten von mehreren Millionen Euro entstehen würden. Abgesehen von der Frage, ob Bund oder Länder die Kosten übernehmen, wäre das Geld an anderer Stelle ohnehin besser angelegt.

Wo denn?

Das Geld sollte investiert werden, um Frauen zu unterstützen und zu informieren. Wir sollten mit Instrumenten arbeiten, die die Selbstständigkeit der Prostituierten fördern, wie Aufklärung und Rechtsberatung. Dafür bräuchten wir finanzielle Mittel für aufsuchende Arbeit und vertrauensbildende Maßnahmen. Auch die Finanzierung der schon bestehenden Facheinrichtungen und Frauenhäuser könnte ausgebaut werden.

Sie sagen, der Gesetzentwurf geht an der Lebenswirklichkeit der Prostituierten vorbei. An was denken Sie da konkret?

Die Frauen müssen beispielsweise bei der Anmeldung angeben, in welchen Orten sie in den kommenden zwei Jahren tätig sein werden. Das ist völlig unrealistisch, weil sie häufig zwischen mehreren Städten wechseln. Viele SexarbeiterInnen haben außerdem nur sehr geringe Deutschkenntnisse und ohne DolmetscherInnen ist eine Anmeldung in Behördendeutsch nicht so einfach zu bewerkstelligen. Es kostet entweder viel Geld oder Sie brauchen eine Person in Ihrem Umfeld, die von Ihrer Tätigkeit weiß und Sie begleitet. Das wird für viele ein Problem sein.

Mit welchen Folgen?

Ich denke, es wird dazu führen, dass die Frauen die Anmeldung umgehen und ohne Schutz und rechtliche Absicherung arbeiten. Den Prostituierten wird man dann vorwerfen, dass sie sich nicht angemeldet haben und mit Bußgeldern bestrafen.

Das Gesetz wird häufig damit begründet, dass Zwangsprostitution und Menschenhandel bekämpft und die Prostituierten geschützt werden sollen. Kann das Gesetz das leisten?

Ich arbeite mit der Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein Contra zusammen und dort geht man davon aus, dass die MenschenhändlerInnen die Frauen sehr gut auf das Anmeldeverfahren vorbereiten werden. Sie werden sie briefen und zur Anmeldung begleiten und die Frauen trauen sich dann nicht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Können da die BehördenmitarbeiterInnen nicht eingreifen?

Den MitarbeiterInnen in den Behörden wird es gar nicht möglich sein, im Anmeldeverfahren festzustellen, ob die Frauen von Dritten zur Prostitution gezwungen werden oder ob sie selbstbestimmt und einfach nur unglücklich mit ihrer Situation sind. Besser wäre, wenn die ExpertInnen ihre Arbeit gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution ausweiten. Das werden wir mit diesem Gesetz nicht leisten können.

Es gibt auch die Forderung, ein Gesetz nach schwedischem Modell einzuführen, bei dem nicht die SexarbeiterInnen, sondern die Freier bestraft werden. Im Hamburger Stadtteil St. Georg gibt es so eine Regelung bereits. Was halten Sie davon?

Davon halte ich nicht viel. Ich habe die Sorge, dass bei dem Modell noch mehr Frauen im Untergrund verschwinden und es noch weniger Schutz für die Prostituierten gibt. In Schweden findet Prostitution nur in einem anderen Rahmen statt – sie kann nicht verhindert werden. Sexarbeit wird es wahrscheinlich immer geben, deswegen finde ich es wichtig, den Schutz der Menschen, die dort arbeiten, zu stärken.

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