Gleichstellungsbeauftrage über München: „Wir wollen Akzeptanz für alle“
München bekommt einen Preis für seine Gleichstellungspolitik. Warum, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Nicole Lassal.
taz: Frau Lassal, Ihre Stadt hat gerade den Gender Award erhalten. Woran erkennt man, dass München eine geschlechtergerechte Metropole ist?
Nicole Lassal: Das merken Sie zum Beispiel, wenn Sie U-Bahn fahren. Uns ist wichtig, dass deren Ein- und Ausgänge gut beleuchtet und einsehbar sind, damit sich alle sicher fühlen. Bei der Planung von Spielplätzen achten wir darauf, dass nicht nur ein asphaltierter Bolzplatz zur Verfügung steht, sondern Spielgeräte, die alle Geschlechter ansprechen und die Kommunikation intensivieren – etwa durch Schaukeln, die sich gegenüber stehen. Aber natürlich gibt es auch vieles, was Sie erst auf den zweiten Blick erkennen.
Zum Beispiel?
Wir testen demnächst für ein Jahr ein Frauennachttaxi. Mädchen und Frauen bekommen einen Zuschuss von 5 Euro, wenn sie zwischen 22 Uhr und 6 Uhr früh mit dem Taxi nach Hause fahren. Seit 2018 haben wir zudem sexistische Werbung auf städtischen Werbeflächen verboten. Und München hat sich freiwillig verpflichtet, alle Gremien, in denen Stadtratsmitglieder sitzen, gleichberechtigt zu besetzen. Da geht es zum Beispiel um Aufsichtsratsposten in den Stadtwerken, Kliniken oder der Sparkasse. Bei zwei Dritteln aller Gremien haben wir die Vorgaben schon erfüllt. Ich weiß von keiner anderen Kommune, die das gemacht hat.
Wie geschlechtergerecht ist die Verwaltung?
Wir bemühen uns seit 1985 in den städtischen Handlungsfeldern, Gleichstellung zu verwirklichen. Damals schrieb die erste Gleichstellungsbeauftragte noch einen Frauenförderplan, heute heißt das Gleichstellungskonzept. Dafür, dass wir das strategisch einbringen, haben wir jetzt den Preis gewonnen. München hat rund 37.000 Mitarbeitende, 59 Prozent davon sind Frauen. Und fast die Hälfte der Führungspositionen ist mit Frauen besetzt. Mehr als 20 Prozent der Führungskräfte wiederum arbeiten Teilzeit. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, ist uns wichtig.
Haben Sie eine Quote?
Die Stadt München wurde am Montag im Bundesfrauenministerium mit dem ersten Platz des „Gender Award – Kommune mit Zukunft 2019“ für ihre Frauen- und Gleichstellungspolitik ausgezeichnet. Der Preis wird seit 2016 alle zwei Jahre von der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen in Deutschland (BAG) verliehen. Bochum und Brühl belegen die Plätze zwei und drei.
Nein. Wir haben die guten Zahlen über unsere konzeptionelle Arbeit geschafft. Es wurde zum Beispiel darauf geachtet, dass Beurteilungen zur Beförderung von Mitarbeitenden gerechter werden, indem Stereotype überwunden wurden. Früher haben Frauen, die in Teilzeit arbeiten, oft automatisch schlechtere Bewertungen bekommen. Gleichzeitig wurde ein Engagement für das Team nicht als Leistung bewertet, sondern als etwas abgetan, was halt der „Natur der Frau“ entsprach. Hier hat sich viel geändert. Da hat es viel Grundlagenarbeit gebraucht, viele Coachings mit Führungskräften. Die Früchte dieser jahrelangen Arbeit ernten wir jetzt.
Betrifft Geschlechtergerechtigkeit vor allem Frauen und Männer?
Die betrifft alle Geschlechter. In den Neunzigern haben wir mit Leitlinien für die Arbeit mit Mädchen und Frauen begonnen, 2005 kam die Arbeit mit Jungen und jungen Männern dazu, 2018 schließlich die mit lesbischen, schwulen und trans Kindern und Jugendlichen. Das Ziel ist immer, geschlechtersensibel zu arbeiten, Rollenklischees zu überwinden und Aufklärungsarbeit zu machen. Wir wollen Akzeptanz für alle.
Gab es Widerstände?
48, ist seit vier Jahren Gleichstellungsbeauftragte der Stadt München.
Wir müssen für unsere Vorhaben immer und in alle Richtungen politisch arbeiten. Aber unser Glück ist, dass wir eine Gleichstellungskommission haben, die zur Hälfte mit Stadträt*innen und zur Hälfte aus der Stadtgesellschaft besetzt ist. In München gibt es eine sehr aktive feministische Bewegung aller Altersgruppen, die darüber eingebunden wird. Diese Kommission beschließt Empfehlungen, die über die Stadträt*innen dann in die Fraktionen getragen werden. Dort wird Überzeugungsarbeit geleistet.
Wie soll es weitergehen?
Wir legen dem Stadtrat als Nächstes einen Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt vor. Deutschland hat sich ja zur Istanbul-Konvention verpflichtet, einem europaweiten Abkommen gegen Gewalt an Frauen. Wir wollen zusammen mit freien Trägern, Beratungsstellen und Frauenhäusern erarbeiten, wie diese auch für Zielgruppen mit schwierigen Bedarfen erreichbar werden können, also zum Beispiel für Frauen mit psychischen Erkrankungen. Und nächstes Jahr wollen wir eine Kampagne für mehr Sicherheit im Nachtleben starten. Die wendet sich auch an Clubs, damit Diskriminierung und Belästigung besser vermieden werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?