Gleichberechtigung in Deutschland: Den Männern geht es gar nicht gut
Frauenbeauftragte lehnen das neue Gleichstellungsgesetz ab, weil es auch Männer fördern will. Möglicherweise ist es sogar verfassungswidrig.
BERLIN taz | Das Lied war viel zu leise, dann singen wir es lauter. Nach diesem Motto verfahren die Gleichstellungsbeauftragten des Bundes am Donnerstag. Mit einer „Versammlung“ vor dem Brandenburger Tor wollen sie den Bundestag und Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) gewinnen, noch einmal über die Neufassung des Gleichstellungsgesetzes nachzudenken. Der Entwurf, der nächste Woche bei einer Anhörung im Bundestag besprochen werden soll, enthält nach ihrer Auffassung massive Verschlechterungen gegenüber der jetzt gültigen Fassung.
Das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst soll nach dem Willen des Ministeriums zugleich mit dem Quotengesetz für die Wirtschaft novelliert werden. Doch die Veränderungen sorgen für Unmut. So spricht der Gesetzentwurf davon, dass auch Männer, dort wo sie unterrepräsentiert sind, gefördert werden sollen.
Das widerspricht nach Meinung der Gleichstellungsbeauftragten ihrem grundgesetzlichen Auftrag, auf die „Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken, wie es in Artikel 3 des Grundgesetzes heißt. Denn Männer sind oft auf den unteren Ebenen des öffentlichen Dienstes unterrepräsentiert. Aber nicht, weil sie benachteiligt sind, sondern weil sie diese Jobs schlicht nicht wollen.
„Wenn wir uns aber darum kümmern sollen, massenhaft Männer in die Niedriglohnbereiche zu locken, bleibt für unsere eigentliche Aufgabe, nämlich die Benachteiligung von Frauen zu bekämpfen, kaum noch Kapazität“, erklärt Kristin Rose-Möhring, Gleichstellungsbeauftrage im Familienministerium und Vorsitzende des Arbeitskreises der Gleichstellungsbeauftragten des Bundes.
Vernichtende Stellungnahme
Die Gleichstellungsbeauftragten wollen, dass der kritisierte Gesetzesteil aus dem Paket gelöst wird und später in veränderter Fassung verabschiedet wird.
Der frauenpolitische Sprecher der Union, Marcus Weinberg, sagte: „Es kann nicht das Ziel sein, vom Grundsatz der Parität auf allen Ebenen auszugehen.“ Da sehe die Union „bei der konkreten Ausformulierung noch Bedarf“. Am 23. Februar werden ExpertInnen den Gesetzentwurf auseinandernehmen. Dabei wird etwa der Kommentator des Bundesgleichstellungsgesetzes, Torsten von Roetteken, sein.
Seine Stellungnahme, die der taz vorliegt, fällt vernichtend aus. Das Ziel der Geschlechterparität sei „offensichtlich verfassungswidrig“, heißt es darin, der Gesetzentwurf „ein erheblicher Rückschritt“.
Leser*innenkommentare
Wolf b.
Die heute real existierende Benachteiligung von Frauen im Beruf basiert zu einem großen Teil darauf, dass sie immer noch zu einem großen Teil die Erziehungsleistung übernehmen.
Wie ich aus eigener Erfahrung erlebt habe, werden wir Männer genauso benachteiligt wenn wir diese übernehmen.
Erziehungzeiten und danach längere Zeit in Teilzeit ist eben nicht gerade karrierefördernd.
Nebenbei: die Gleichstellungsbeauftragte in meiner Firma setzte sich für meine Probleme diesbezüglich in den konkreten Fällen genauso ein. So soll und muß es sein.
Mittlerweile habe ich sogar einen Bescheid, daß ich die erweiterte "Mütterrente" bekomme. :-)
Seifenblase
"Die heute real existierende Benachteiligung von Frauen im Beruf basiert zu einem großen Teil darauf, dass sie immer noch zu einem großen Teil die Erziehungsleistung übernehmen."
Volle Zustimmung.
Ich würde es sogar schon von Krise der Reproduktion reden.
Wobei ich nicht bestreite, dass es Frauen auschließende Männernetzwerke gab und gibt.
Nur gibt es inzwischen auch sehr mächtige Frauennetzwerke, die Erziehende und Pflegeleistende mit ihrer Politik der Vereinbarung von Familie und Arbeit (welche im Grunde genommen nur eine ständige Entwertung von Erziehungsleistung und Pflegeleistung ist - und somit eine Aufwertung der eigenen Weiblichkeit als Nichterziehemde / Pflegende dient) an den Rand drücken.
Dummerweise ist der Hauptarbeitgeber für Frauen der Öffentliche Dienst. Würde man hier quotieren, würde man die gesammte Frauenerwerbstätigkeit enorm senken.
In allen Ländern, in denen viele Frauen erwerbstätig sind, ist der ÖD der größte Arbeitgeber.
Lena A.
Selbst als Frau muss ich sagen, dass ich diesen gesetzlichen "Gleichstellungsauftrag" nicht besonders gelungen finde.
Es ist in unserer Gesellschaft ohne jeden Zweifel wichtig, dass niemand Nachteile u. a. aufgrund seines Geschlechtes erfährt, aber müssen wir Frauen nun (wieder) mit gesetzlicher Grundlage als das „schwache“ Geschlecht abgestempelt werden? Als Teil der Gesellschaft, dem man unter die Arme greifen muss, damit aus uns was wird? Früher durften wir nicht wählen und heute stehen wir unter „Artenschutz“?! Man muss sich eben irgendwann – aus rein biologischen Gründen - entscheiden, ob man Kinder bekommen möchte, oder ob man durchgängig arbeiten will. Das kann auch keine Gleichstellungsbeauftragte ändern.
Viel entscheidender ist es doch, anstelle Frauen per Gesetz zu bevorteilen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, Beruf und Familie miteinander verbinden zu können und ein Aufstiegssystem zu schaffen, in dem man nicht sagt „die Stelle hat sie nur bekommen, weil sie eine Frau ist“. Was nützt es einer Frau denn schon, eine Führungsposition zu erlangen, ohne wirkliche Akzeptanz oder Anerkennung ihrer Leistung zu erfahren?!
Wie unfair ist es denn bitteschön, einem ebenso qualifizierten Mann eine Stelle nicht zu geben, „nur“ weil er ein Mann ist! Das ist meiner Meinung nach echte Diskriminierung...
Anonymisierte Bewerbungen wären meiner Meinung nach daher ein riesen Schritt nach vorn.
Velofisch
Verfassungswidrig wäre das Gesetz, wenn es pauschal Männer als nicht benachteiligt und Frauen als benachteiligt erachten würde. Die "Gleichstellungsbeauftragten", die von ihrem Auftrag nur "Frauenbeauftragte" mit schönerem Namen sind, handeln im Sinne ihres Auftrages aber gegen das Grundgesetz. Es mag sein, dass in manchen Fällen eine Unterrepräsentierung eines Geschlechts mehr auf Präferenzen und weniger auf Diskriminierung zurück zu führen ist. Dies aber prinzipiell unterrepräsentierten Männern und nie unterrepräsentierten Frauen zu unterstellen, wäre grob gleichheits- und damit verfassungswidrig.
Die Frauenbeauftragten alter Schule wollen nur möglichst viele Privilegien für Frauen herausholen. Die Benachteiligung dienen als Begründung. Echte Gleichstellung oder Gleichberechtigung ist unerwünscht.
Vor 40 Jahren waren Frauen tatsächlich noch rechtlich diskriminiert. Als das überwunden war, wurde das Ziel "Gleichstellung" gefunden. Damit konnten Frauen priviligiert werden. Nun ist in einigen Teilen die Gleichstellung nicht nur erreicht sondern schon überschritten. Das darf aber dann natürlich kein Grund sein, an den Privilegien zu rütteln...
Matze21
Wie das Hochschulgesetz in NRW (SPD). Da heißt es auch wenn Frauen in einem Fachbereich unterrepräsentiert sind ist eine Quote anzuwenden. Wenn Männer in einem Bereich unterrepräsentiert sind, ist rein gar nichts zu machen.
Gleichstellungsbeauftragte sind Frauenbeauftragte und Genderwissenschaften sind Frauenwissenschaften. Männer sind bei beiden immer nur die Täter, sozusagen per Definition.
Das Männer diskriminiert werden können, passt hier einfach nicht in deren Konzept von Diskriminierung.
Aber bezahlen dürfen die Männer diesen Lobbyismus gegen Männer natürlich gerne auch weiterhin. ^^
Age Krüger
Dann sollten die Gleichstellungsbeauftragten mal dafür sorgen, dass Erzieher und ErzieherInnen, Heilpädagogen und Heilpädagoginnen, Heilerziehungspfleger und Heilerziehungspflegerinnen und deren Gruppenleiter nicht mehr auf der untersten Gehaltsstufe angeordnet sind.
Ich habe in meiner Berufslaufbahn nur zweimal einen direkten männlichen Vorgesetzten gehabt und mir erzählte jetzt noch ein Lehrer für SekI, dass er oftmals SchülerInnen unterrichten muss, die noch niemals eine männliche Person als Lehrer oder Erzieher gesehen haben.
Ich würde gerne selbst noch in meinem Alter noch mal in einer dieser unteren Lohngruppen tätig sein. Wieso wollen Gleichstellungsbeauftragte dort nur Frauen haben?
Normalo
Es ist schon irgendwo verständlich, dass gerade die Gleichstellungsbeauftragtinnen mit echter Gleichberechtigung im öffentlichen Dienst ein Problem haben. Schließlich sitzen sie alle auf Posten, bei deren Besetzung Männer zu 100% offen strukturell diskriminiert werden.
Davon abgesehen ist es schon schade, dass diese "Profis" nicht kapieren, welcher Zusammenhang zwischen dem geringen Männeranteil auf weniger gut bezahlten Stellen und dem geringen Frauenanteil an der Spitze besteht. Könnten mehr Männer in den niederen Rängen der Hierarchie arbeiten, ohne als Versager stigmatisiert zu werden, bräuchten sie auch nicht mehr in so großen Zahlen bissig nach oben zu streben. Aber wenn jemand dieses Problem löst, bräuchte es natürlich auch keine Gleichstellungsbeauftragten mehr, egal welchen Geschlechts...
Krampe
Gleichstellung wird von den verantwortlichen Beauftragten immer noch als Leuchtturmprojekt verstanden, was angesichts ihrer Sozialisation bedeutet, einigen Frauen den Weg an die Spitze frei zu schießen, statt sehr viel mehr Frauen eine bessere Anerkennung und Bezahlung zu sichern, indem die "unteren Ebenen" auch mit Männern bevölkert werden, die sich das Lohndumping nicht über konservative Familienmodelle querfinanzieren lassen können. Wo soll denn der politische Druck sonst her kommen, "Frauenberufe" angemessen zu entlohnen?
4845 (Profil gelöscht)
Gast
Gleichberechtgigung bedeutet gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten. Selbstverständlich gilt daher alle Benachteiligungen für beide Geschlechter abzuschaffen. Alles andere ist Heuchelei.
arunto
Es gibt eben ein grundsätzliches Dilemma in Gleichstellungsfragen:
Insgesamt gibt es immer noch eine deutlich stärkere Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es aber auch Teilbereiche, in denen Männer benachteiligt sind.
Betrachtet man Gleichstellung nun als statistische Größe (dann ist der Job von Gleichstellungsbeauftragten weiterhin nur die Frauenförderung) oder als Aufgabe für jeden einzelnen Menschen? M.E. ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nur die zweite Lesart vereinbar.
Eine Gleichstellungsbeauftragte mit Aussagen wie "...bleibt für unsere eigentliche Aufgabe, nämlich die Benachteiligung von Frauen zu bekämpfen, kaum noch Kapazität" müsste aus dem Amt entfernt werden, weil sie nicht wirklich Gleichstellung sondern Geschlechterkampf propagiert.
Mio TM
"Denn Männer sind oft auf den unteren Ebenen des öffentlichen Dienstes unterrepräsentiert. Aber nicht, weil sie benachteiligt sind, sondern weil sie diese Jobs schlicht nicht wollen."
Ich lach mich schlapp. Dasselbe Argument nutzen Männer, wenn es um Frauen in Führungspositionen geht. Und dort soll es nicht gültig sein?
Was denn nun? Gleichberechtigung ist eigentlich kein Wort, welches einer Interpretation bedarf. Es gibt keine einseitige Gleichberechtigung.
Kleopatros
@Mio TM hier geht es nicht um gleichberechtigung, gegen die nichts ein zu wenden ist, sondern um gleichstellung, die einfach nur falsch ist. Man braucht nicht überall 50/50.
849 (Profil gelöscht)
Gast
Vernichtend fällt vielmehr aus, was die TAZ da als Stellungnahme wiedergibt. Wieso sollte bitte sehr eine Geschlechterparität verfassungswidrig sein?
KarlM
Weil, theoretisch, Stellen nach Qualifikation besetzt werden sollten.
Und "Geschlecht" keine Qualifikation ist?
DasNiveau
@849 (Profil gelöscht) Weil man GG Art. 3 scheinbar für Erfunden oder Überflüssig hält.