Gleichberechtigung an britischen Unis: Die einzige schwarze Direktorin
Die höchsten Posten an britischen Universitäten besetzen fast nur Weiße. Die Londoner Soas bildet mit Valerie Amos eine der wenigen Ausnahmen.
Als Sohn afrikanisch-karibischer Einwanderer aus Jamaika fällt Beckford unter dem akademischen Führungspersonal britischer Universität auf. Das beweisen Statistiken der Higher Education Statistics Agency (Hesa). Das Institut erfasst Akademiker in vier groben Kategorien, die auf das Antidiskriminierungsgesetz, das sogenannte Rassenbeziehungsgesetz aus dem Jahr 1965 und 1976, zurückgeht. Die Kategorien sind „schwarz“, „weiß“, „asiatisch“ und „andere“. Mit der Erfassung soll kontrolliert werden, ob Menschen einer dunkleren Hautfarbe in der britischen Wissenschaft diskriminiert werden.
Unter 565 von Hesa befragten Führungspersonen, Managern, Direktoren sowie hochgestellten Akademikern gab es niemanden in der Kategorie „schwarz“, jedoch 510 „weiße“ Angestellte. 15 Personen fanden sich in der Kategorie „asiatisch“ (darunter zählen auch Menschen aus Indien oder Bangladesch) und 10 in der Kategorie „andere“. 30 Personen machten zu ihrer Herkunft keine Angaben. Fragt man nach den Gründen dieser Unterrepräsentierung, verweist das britische Erziehungsministerium auf die Universitäten. Die Verantwortung liege bei den Universitäten selbst, sagt eine Sprecherin. Als Arbeitgeber hätten sie die Pflicht, Gleichberechtigung nach dem Gleichberechtigungsgesetz „zuzusichern“.
Der Schattenminister für Universitäten der Labour-Partei, Gordon Marsden, widerspricht dem jedoch: Die Regierung trage Mitverantwortung und müsse mit den Universitäten zusammenarbeiten, um größere Menschenvielfalt und Arbeitschancen auf allen Levels inklusive des akademischen Personals zu erreichen. Dementsprechend hätte Labour bei den letzten Gesetzesbeschlüssen in Erziehungs- und Hochschulbelangen entsprechenden Druck auf die Regierung gemacht, „damit sie ihrer Verantwortung in der Förderung von Gleichberechtigung nachkommen“.
Die Dachorgansition britischer Universitäten University UK will die Statistik schönreden. Bei Hesa würde man einen oder zwei „schwarze“ Hochschulrektoren auf „null“ abrunden. Außerdem gebe es 5.735 Universitätsangestellte, die sich als schwarz bezeichneten. Dazu zählt aber auch Reinigungspersonal oder Mitarbeiter in der Verwaltung. Doch letztendlich gibt auch Geschäftsführerin Nicola Dandridge, zu, dass „das Fehlen schwarzer Repräsentation in den Führungspositionen an britischen Universitäten ein ernstes Thema ist“.
„Unbewusste Vorurteile“
Diese Resultate, sagt Gary Loke von der Gleichberechtigungsinitiative Ecu, sind klare Indizien dafür, dass Akademiker mit „BME-Hintergrund“ (Black and Minority Ethnic) an ihren Arbeitsplätzen nicht so vorankommen wie ihre „weißen“ KollegInnen. In der letzten nationalen Volkszählung gaben 86 Prozent der Befragten an, sie seien weiß, berichtet Loke. „Somit ist es zu erwarten, dass mindestens 14 Prozent der in Hochschulen Angestellten einen BME-Hintergrund haben müssten, und zwar auf allen Ebenen.“ Dem ist nicht so, weil ethnische Minderheiten schon im Studium diskriminiert würden, glaubt Loke. An den Unis herrsche eine Art „unbewusstes Vorurteil“.
Davon kann Theologie-Professor Robert Beckford ein Lied singen. Als er sein Doktorat im Jahr 2000 abgeschlossen hatte, gab es trotz gegenteiliger Behauptungen in Großbritannien stets weniger Möglichkeiten für „Menschen wie ihn“, wie er sagt. Auch hätte es an Beispielen und Vorbildern gemangelt. „Ich musste selbst meinen eigenen Weg finden.“ Und auf diesem fühlt er sich nun benachteiligt. Seine Beförderung sei drei Jahre später als für gleichrangige „weiße“ Kollegen gekommen.
Das Potenzial von schwarzen und karibischen Gelehrten werde einfach oft übersehen, sagt Beckford. Werke von Wissenschaftlern, die sich mit Fragen wie Rassismus, Ethnizität, Identität beschäftigen, litten unter solch unbewussten Vorurteilen und würden als zweitrangig angesehen. Viele müssten deswegen doppelt so hart arbeiten.
Die notwendigen Reformen, die in den USA in den 1960er Jahren, in Südafrika in den 1990er Jahren durchgeführt wurden, stünden in Großbritannien noch aus. Quelle dieses Problems seien eurozentrische Perspektiven über das, was in der Forschung als wichtig anzusehen sei. Zusammen mit der Unlust, sich mit der eigenen kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen, führe das zu Vorurteilen gegenüber schwarzen und postkolonialen Perspektiven.
Soas als Ausnahme
Gary Loke von der Ecu bemerkt hierzu, dass sogar die Gleichberechtigungs- und Menschenrechtskommission Großbritanniens, also die amtlich-rechtliche Stelle für Diskriminierung jeglicher Art, vor nicht allzu langer Zeit anmerkte, dass in Fragen rassistischer Benachteiligung viele im Land nur Gebärdenpolitik betreiben würden. Ecu arbeite deshalb seit sieben Jahren an einer Charta für Universitäten. In ihr heißt es unter anderem, „dass rassistische Diskriminierung sich nicht unbedingt offen manifestiere, sondern auch in alltäglichen Prozessen und Verhalten“ zeige. Britische Universitäten könnten außerdem nicht ihr Potenzial ausschöpfen, ohne die Talente aller ethnischen Minderheiten zu berücksichtigen. Bisher haben nur 27 der über 150 Universitäten diese Charta aufgenommen.
Eines der Institute, das auch ohne die Ecu-Charta bemerkenswerte Veränderungen erreichte, ist die Londoner School of Oriental and African Studies (Soas). Früher wurden hier die Verwalter für die kolonialen Gebiete ausgebildet. Neulich gerieten hier einige Studenten in die Schlagzeilen, weil sie das Ende einer mutmaßlich eurozentrischen Philosophie verlangten. Soas ist heute die einzige britische Universität, deren Direktorin einen afrikanisch-karibischen Hintergrund hat.
Baronin Valerie Amos behauptet, dass es für sie ein Schock gewesen sei, als sie bemerkte, dass sie die Erste war. Doch schon vor ihrer Ernennung zur Direktorin erreichte die gebürtige Guayanerin, die in Großbritannien aufgewachsen ist, bemerkenswerte Posten. So war sie Geschäftsführerin der britischen Gleichberechtigungskommission, UN-Untersekretärin für humanitäre Hilfe und Koordinatorin für Nothilfe sowie die erste Frau ihres Hintergrunds und ihrer Hautfarbe, die in Großbritannien zu einem Kabinettsmitglied der britischen Regierung wurde. Amos hat dennoch keinerlei Zweifel daran, dass Diskriminierung im akademischen Sektor existiert.
„Wir müssen akzeptieren, dass es eine gläserne Decke gibt“, sagt sie. Es gebe eine ganze Menge von Berichten und Forschung, welche die gegenwärtige Arbeitssituation von Menschen mit BAME-Hintergrund (Black, Asian, and Minority Ethnic) belegen. Ihre Nominierung zur Direktorin am Londoner Soas ist dennoch kein Zufall gewesen. 39 Prozent der Studenten dort sind schwarz oder stammen aus Asien – entgegen dem nationalen Durchschnitt von nur 11 Prozent. Auch hat jeder vierte Lehrer und fast jeder fünfte Manager an der Uni BAME-Hintergrund.
AG deckt eurozentrische Lehre auf
„Selbstgefällig sind wir trotzdem nicht“, versichert Amos, deren Adelstitel eine Ehrung ihres Einsatzes für die Gleichberechtigung war. Seit einem Jahr gibt es an der Soas auch eine AG aus Studenten und Lehrkräften, die die Lehrpläne auf eurozentristische Perspektiven durchforsten und beim Lehrstuhl Europäische Philosophie fündig geworden sind. Zusammen mit den Lehrkräften schufen sie dann ein „Visionskonzept“ zur Entkolonialisierung des Lehrinstituts.
Ziele, die woanders skeptisch betrachtet werden. Am Kings College in London etwa glaubt Paul Gilroy nicht an ein Ende der Diskriminierung. Der Professor für amerikanische und englische Literatur ist Mitglied der British Academy und der königlichen Gesellschaft für Literatur. Auch Gilroy stammt mütterlicherseits aus Guyana, seine Mutter war die Schriftstellerin Beryl Gilroy. „Auch wenn es ein Skandal ist, dass es in Großbritannien so wenig schwarze Akademiker gibt, kann eine Infusion schwarzer und brauner Akademiker allein unser funktionsgestörtes Erziehungssystem nicht retten“, glaubt er.
Um das ganze System zu reformieren, empfiehlt er stattdessen die Wiedereinführung gebührenfreier Hochschulen. Erziehung, sagt Gilroy, ist ein öffentliches Gut. Großbritannien hat die höchsten Studiengebühren aller OECD-Staaten. Sie können bis zu 9.000 Pfund pro Jahr betragen. Mehr als 10.000 Euro.
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