Gipfel in Lissabon: EU und Afrika reden aneinander vorbei
Die Kontroversen über Menschenrechte und Freihandel belasten den Gipfel in Lissabon. Angela Merkels Kritik an Simbabwe verärgert afrikanische Staaten.
LISSABON taz Achtzig Teilnehmerländer aus der EU und Afrika, ein Geflecht aus bilateralen Begegnungen, gemeinsamen Sitzungen und diplomatischen Stolperfallen - der erste europäisch-afrikanische Gipfel nach sieben Jahren Pause war für die portugiesischen Gastgeber eine echte Herausforderung. Die über dreißig Seiten umfassende gemeinsame Strategie und ein fünfzig Seiten langer Aktionsplan für die Jahre 2008 bis 2010 waren lange vorher auf Beamtenebene ausgefeilt worden. So blieb in Lissabon Zeit für offenen politischen Austausch. Schwierige Themen gibt es genug: den Exodus von Afrika nach Europa, die von Afrika als nachteilig empfundenen neuen Handelsabkommen, gemeinsame Friedensmissionen in Tschad oder Dafur.
Angela Merkel hatte die heikle Aufgabe freiwillig übernommen, Robert Mugabe deutlich zu machen, dass alle europäischen Regierungen den britischen Abscheu gegen das Regime in Simbabwe teilen. Während der alte Mann, so weit wie möglich entfernt von der Kanzlerin am ovalen Tisch platziert, mit unbewegtem Gesicht zuhörte, las sie ihm die Leviten. "Einschüchterungen Andersdenkender und Behinderungen der unabhängigen Presse sind durch nichts zu rechtfertigen. Daher möchte ich ausdrücklich die Bemühungen verschiedener afrikanischer Staaten würdigen, die Krise in Simbabwe zu überwinden."
Die Afrikaner hätten auf diese Würdigung wohl lieber verzichtet. Senegals greiser Präsident Abdoulaye Wade betonte nach dem ersten Arbeitstag, außer Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hätte sich niemand für Mugabe interessiert. "Frau Merkel wurde leider falsch informiert. Simbabwe ist kein Land in Auflösung und Mugabe kein Präsident, der bald abdankt. Wegen eines bilateralen Streits zwischen Großbritannien und seiner ehemaligen Kolonie sollte man kein Treffen platzen lassen."
Ähnlich sieht Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy die Sache. Er ergriff wie immer gern die Gelegenheit, möglichst viel von Merkels diplomatischem Glanz auf sich selbst umzulenken. "Die Afrikaner müssen selber entscheiden, wer sie vertritt. Wenn wir deshalb gleich Gipfel platzen lassen, wird es nur wenige Treffen geben." In der Substanz aber sei er doch einig mit der Position der Bundeskanzlerin, fügte Sarkozy hinzu.
Mit deutlich gestärktem Wirgefühl und gehobenem Selbstbewusstsein präsentierte sich die Afrikanische Union (AU) ihren europäischen Partnern. Omar Konare, Kommissionspräsident der AU, zählte in seiner Rede auf, wie von China über Indien bis zu Japan und der Türkei die Interessenten Schlange stünden, um mit Afrika Geschäfte zu machen.
Die Botschaft, dass Afrika jetzt Alternativen hat, scheint bei der EU angekommen zu sein. Auf afrikanischen Wunsch wurde ein Passus ins Abschlussdokument gefügt, dass Europa bei der "friedlichen Nutzung der Kernenergie" behilflich sein will. Ungewohnt offen zeigte sich Kommissionspräsident Barroso für den afrikanischen Wunsch, die umstrittenen Handelsabkommen (EPAs), die Importquoten und Zölle zwischen den afrikanischen Ländern und dem europäischen Binnenmarkt ab 2008 neu regeln sollen, nachzubessern. Die bislang geschlossenen Vereinbarungen seien nur "Übergangsregelungen", versicherte er.
Nun will sich der EU-Gipfel am Wochenende in Brüssel mit dem Thema befassen. Im Februar sollen die Verhandlungen neu starten. Barroso warnte aber davor, die jetzt noch geltenden Abkommen zu idealisieren: In den letzten dreißig Jahren seien Afrikas Importe nach Europa trotz Vorzugsbehandlung um mehr als die Hälfte zurückgegangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid