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Giftspritze im Wald

Wegen starken Borkenkäfer-Befalls kommen in Niedersachsens Staatswäldern seit 2018 verstärkt Insektizide zum Einsatz. Die Landtags-Grünen finden das falsch

Soll mit durchschlagenden Pestiziden beseitigt werden: Borkenkäfer-Befall Foto: Friso Gentsch/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Wer Waldspaziergänge mag, begegnet oft Holzstapeln, fertig zum Abtransport. Was nur wenige ahnen: Viele sind mit Pestiziden besprüht, auch in staatlichen Wäldern. Nicht nur „Schädlinge“ sind Opfer des Gifts, sondern auch Tiere, deren Nahrung sie sind. Auch andere Insekten.

Den grünen niedersächsischen Landtagsabgeordneten Miriam Staudte, Imke Byl und Christian Meyer hat das keine Ruhe gelassen. Also haben sie bei der Landesregierung nachgefragt. Die Antwort des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz alarmiert sie: Allein der Einsatz des hauptsächlich verwendeten Wirkstoffs Lambda-Cyhalothrin hat sich von 31 Kilo in 2013 auf 853 Kilo in 2020 erhöht, 2019 waren es sogar 1.040 Kilo. „Ein extremer Kurswechsel“, sagt Christian Meyer, Vize-Fraktionschef der Grünen im Hannoveraner Landtag, der taz.

„Die Erhöhung der Ausbringungsmengen in den letzten Jahren“, erklärt das Ministerium, sei „ausschließlich auf die Massenvermehrungen der Borkenkäfer zurückzuführen“. Durch Sturmschäden, Dürre und Käferbefall habe man eine „historische Katastrophenlage im Wald“. Durch den Rückgang der Borkenkäferproblematik werde sich die Menge „in den nächsten Jahren wieder auf ein deutlich geringeres Niveau reduzieren“.

Aber derzeit wird ein Giftkrieg geführt. Von 2018 bis 2020 bekam rund die Hälfte des käferbefallenen Holzes im Wald eine Pestizidbehandlung. Christian Meyer empört das. Bis Ende 2017 war er in Hannover selbst Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. „Damals hätte ich so was nicht zugelassen“, sagt er bitter.

2017 wurden in Niedersachsens Landesforsten nur 57 Kilo Lambda-Cyhalothrin ausgebracht. 2018, nach Übernahme des Ministeriums durch Barbara Otte-Kinast (CDU), waren es schon 576. „Während Otte-Kinast und Umweltminister Lies den ‚Niedersächsischen Weg‘ feiern, steigt der Einsatz von umstrittenen Insektengiften in unseren Wäldern um mehr als das Zehnfache. Das passt nicht zusammen“, sagt Meyer. Der „Niedersächsische Weg“, eine Vereinbarung von Landesregierung, Landwirtschaftskammer und den Natur- und Umweltverbänden, nicht zuletzt der Insektenvielfalt verpflichtet, ist also holprig.

Lambda-Cyhalothrin wird unter martialischen Namen verkauft: Der Hersteller Syngenta, bestens im Geschäft, nennt ihn etwa „Karate Forst flüssig“. Man könnte das geschlagene Holz auch mit Folien oder Netzen abdecken. Oder entrinden. Oder es schnell aus dem Wald entfernen. Oder es künstlich mit Wasser beregnen. „Aber das ist alles teurer“, sagt Meyer. „Also greift man lieber zur Giftspritze.“

Dirk Schäfer, der Vorsitzende des Bunds Deutscher Forstleute, Landesverband Niedersachsen, sieht den verstärkten Einsatz von Insektiziden seit 2018 als „letzten Strohhalm, an den wir uns geklammert haben, um den sterbenden Patienten noch zu retten“. Gerne gemacht habe das keiner, sagt Schäfer der taz. „Aber das war eine Extremsituation, und alle anderen Möglichkeiten waren ausgeschöpft. Da fielen ja gigantische Mengen Holz an, in sehr kurzer Zeit, fast unvermarktbar, und die logistischen Probleme waren immens.“

Der Einsatz von Insektiziden spiele im Wald „nur eine untergeordnete Rolle, schon rein mengenmäßig, in Relation zur Fläche“, sagt Schäfer. In der Landwirtschaft sehe das ganz anders aus. Schäfer hofft, dass sich die Insektizidausbringung bald wieder reduziert. „Durch die Klimakrise verändert sich der Wald extrem“, bilanziert er. In seinem eigenen Mischwald-Revier bei Wolfsburg verliert er nicht nur Fichten: „Auch Buchen sterben, weil ihnen die Wuchsbedingungen nicht mehr reichen.“

Zur punktuellen Anwendung von Pestiziden im Wald seien „keine negativen Auswirkungen auf den Menschen, Tier und Naturhaushalt“ bekannt geworden, antwortet das Ministerium Staudte, Byl und Meyer. Syngenta, stolz auf die „bemerkenswerte Dauerwirkung“ von „Karate“, ist das sicher Musik in den Ohren.

Was Martin Stallmann, Sprecher des Umweltbundesamts in Dessau-Roßlau der taz schreibt, liest sich anders. Lambda-Cyhalothrin sei ein „Breitbandinsektizid, als Fraß- und Kontaktgift unspezifisch und hochwirksam“. Ein Risiko für Nicht-Zielarten sei „nicht ausgeschlossen“, etwa für Schmetterlinge, Libellen oder Fliegen. Auf Wasserorganismen wirke es stark toxisch.

Bis Ende 2021 darf „Karate“ noch verwendet werden. das Umweltbundesamt bearbeitet derzeit eine Neuzulassung. Ein Insektizideinsatz dürfe immer nur die „letzte Option“ sein.

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