Gewerbemieten in Berlin: Zum Ausverkauf angeboten
Grüner Justizsenator erhebt bei Podiumsdiskussion über Gewerbemieten Vorwürfe gegen die Wohnungssenatorin der Linken.
In einem Lokal mit schicker Start-up Atmosphäre in Schöneberg wird am Donnerstagabend über das Thema Gewerbemieten diskutiert. Mit dabei: Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD), Grünen-Baustadtrat Jörn Oltmann sowie Constantin Terton von der Berliner Handwerkskammer. Und scherzhaft als „Gegenpol“ vorgestellt: Nicolas Jeissing, Geschäftsführer des Maklerunternehmens Engel & Völkers.
„So viele Anzugträger sieht man selten in dieser wilden Gegend hier“, bemerkt eine Anwohnerin. Circa 20 Leute sind in den Laden in der Mansteinstraße gekommen. Unter den Gästen sind die Geschäftsführerin eines sozialen Verbands, die befürchtet, ihr Laden müsse einer Kneipe weichen, und ein Augenoptiker, der sich sorgt, dass er eine mögliche Mieterhöhung nicht bezahlen könnte. Viele im Publikum treibt die Angst um, steigende Gewerbemieten würden ihre Existenz gefährden.
An diesem Abend geht es laut Oltmann aber nicht um „Einzelschicksale“. Das Podium spricht über Wohnen und Arbeiten an einem Fleck. Bei der neuen Mischung, von Terton auch „Berliner Mischung 2.0“ genannt, geht es insbesondere um Neubauprojekte: Ladenlokale und kleine Gewerbeflächen im Erdgeschoss, in den oberen Stockwerken Wohnungen. Auch Schöttler ist dafür. Viele kleine Unternehmen könnten sich nicht mal einen Umzug leisten, wenn sie rausmüssten. „Da ist schon der Umzug die Insolvenz.“
Behrendt stellt die Berliner Bundesratsinitiative zur Gewerbemietpreisbremse vor, die dem Bundesrat seit August 2019 vorliegt. Bisher gebe es dafür aber noch keine Mehrheit. Der Antrag folgt dem österreichischen Modell und bedeutet, dass die Hauptmiete für Gewerbeflächen nicht höher sein darf als der nach Größe, Art, Beschaffenheit, Lage, Ausstattungs- und Erhaltungszustand „angemessene Betrag“.
Verdrängung, Gentrifizierung und ausländische Investoren – ein Anwohner will mehr wissen: Warum interessieren sich überhaupt so viele Investoren für Immobilien in Berlin?
Behrendt kritisiert, der Senat habe die Stadt auf der Immobilienmesse in Cannes „zum Ausverkauf angeboten“. Seine Kritik gilt besonders der linken Senatorin Katrin Lompscher. „Ich streite mich mit Frau Lompscher immer noch darüber, dass wir uns dort nicht mehr anbieten sollten“, sagte Behrendt. SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz teile seine Meinung.
Makler Jeissing lobt Berlin als „Motor der deutschen Wirtschaft“. Die hohen Gewerbemieten führt er auf das rasante Wirtschaftswachstum zurück. Berlin sei „dynamisch“ und bei ausländischen Firmen begehrt. „Wollen wir die echt mit unserem rauen Pflaster anlocken und am Ende ist hier alles glatt geleckt?“, fragt eine Anwohnerin. Eine Antwort vom Podium bekommt sie nicht.
Schöttler hält die „Kiezmischung“ für sehr wertvoll. Man versuche, kleine und mittlere Betriebe vor Verdrängung zu schützen, aber mehr als beraten könne man nicht.
Am Ende herrscht Konsens darüber, dass es Regulierungen braucht. Wenn gebaut wird, müsse es eine gemischte Nutzung geben aus Wohnen und Arbeiten. „Wirtschaftsförderung und Stadtplanung müssen zusammenspielen“, so Oltmann. Schlüsselgrundstücke sollten „gemeinwohlorientiert entwickelt werden“, bestätigt Schöttler. Ein Zuhörer, der sich als Vertreter des Immobilienriesen BNP Paribas vorstellt, merkt an: „Der Markt regelt das schon.“ Das Publikum lacht kopfschüttelnd. „Das nennt man Gentrifizierung“, sagt eine Frau, „Die regelt nichts.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten