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Gewalt in SyrienDoppelanschlag in Damaskus

Mehrere Dutzend Menschen werden bei den Explosionen vor den Gebäuden des Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt in den Tod gerissen, Hunderte verletzt.

55 Menschen wurden bei den Anschlägen in Damaskus getötet. Bild: dapd/sana

BERLIN taz | Kurz vor acht Uhr morgens, im dichten Berufsverkehr, detonierten nacheinander zwei Sprengsätze im südlichen Damaszener Vorort al-Qazzaz. Augenzeugen berichten, dass die Explosionen in der ganzen Stadt gehört wurden. Mehr als 55 Tote und über 300 Verletzte soll es nach Angaben der syrischen Nachrichtenagentur Sana gegeben haben.

Leichenteile, Blut, abgerissene Gliedmaßen sind auf veröffentlichten Bildern zu sehen. Es war bislang der schwerste Anschlag dieser Art im syrischen Bürgerkrieg. Offensichtlich wurde der Anschlag strategisch geplant, um durch die erste Explosion Helfer und Schaulustige anzuziehen und diese dann mit dem zweiten Anschlag zu treffen. Das Viertel al-Qazzaz ist eines der am besten bewachten Gebiete von Damaskus.

„Es kann sein, dass die heutigen Anschläge einen Wendepunkt bedeuten" sagt Hassan Chouman in Damaskus. Er arbeitet lange mit westlichen Journalisten in Syrien. Die bisherigen Anschläge in Damaskus, interpretiert er, seien „Inszenierungen der Sicherheitskräfte" gewesen, aber dass nun die Zentrale der Militärischen Sicherheit massiv angegriffen wurde, könnte eine „neue Qualität" in den Aufstand bringen.

Das zehnstöckige Haus nahe der Flughafenstraße ist das Hauptquartier der Antiterroreinheit, die stark an der Niederschlagung der Aufstände seit März 2011 beteiligt ist. Auch eine Basis des Militärischen Geheimdienstes wurde zerstört. In die Straße wurden zwei riesige Krater gerissen. „Das Ausmaß und der wirklich sensible Anschlagsort, den das Regime sich sicher nicht für einen inszenierten Anschlag ausgesucht hätte, könnte bedeuten, dass nun tatsächlich Kämpfer mit viel Erfahrung auf dem syrischen Schlachtfeld" angekommen seien.

Politikberater Dragic Mirkovic, der lange in Syrien lebte und jetzt in Saudi-Arabien tätig ist, ordnete die heutigen Attentate in einen größeren Zusammenhang ein. „Lange schon gibt es in den diplomatischen Kreisen im Nahen Osten Gerüchte, dass französische Spezialtruppen in der Türkei sind und die ,Free Syrian Army' auf Anweisung Sarkozys unterstützen." Nach dem Sieg Hollandes nun hätte der syrische Aufstand Angst, dass diese geringe, aber doch entschlossene Hilfe aus dem Ausland fehlen würde.

Nach den Informationen von diplomatischen Quellen in Brüssel „hat es noch keine schweren Waffenlieferungen an die Rebellen gegeben. Bisher gab es Unterstützung nur in Form von leichten Feuerwaffen und Explosivstoffen", sagte die Quelle in Brüssel der taz. „Der Frachter, der im Libanon hochgenommen wurde, war wohl einer der ersten größeren Lieferungen, wahrscheinlich zusammengestellt von libyschen Freiheitskämpfern und finanziert vom arabischen Emirat Katar", hieß es weiter.

Nach noch unbestätigten Angaben hat das IKRK (Internationales Komitee des Roten Kreuzes) den Konflikt in Syrien inzwischen als Bürgerkrieg eingestuft. Das heißt, dass beide Seiten an die Genfer Konventionen gebunden sind und Zivilisten schützen müssen. Zugleich bedeutet dies aber auch, dass die Opposition eine kriegsführende Partei ist, die militärische Ziele angreifen darf. Bislang ist noch kein Bekennerschreiben zum jüngsten Anschlag eingegangen. Auch sind die Urheber für die Attacke auf den UN-Konvoi vom Vortag, bei dem Soldaten und Zivilisten verletzt wurden, noch unbekannt.

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4 Kommentare

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  • A
    Ant-iPod

    Ich frage mich, wieso einige immer wieder behaupten, der so genannte "Westen" wolle den Regimewechsel?

     

    Wenn dem so wäre, warum stellt man sich dann so stümperhaft an? verfügt man etwa nicht über die tödlichste Militärmaschinerie des Planeten?

    Kann man die Opposition nicht mit den Waffen ausrüsten, um der Regierung gefährlich zu werden?

    Ca. 20-30 tausend FSA Soldaten stehen immer noch ca. 200.000 Soldaten der syrischen Armee gegenüber die in allen Waffengattungen besser ausgestattet sind?

     

    Diese Anschläge geben der Regierung die Möglichkeit zu behaupten, sie gingen nicht gegen eine friedliche Opposition vor, sondern beschützen das eigene Volk vor Terror.

     

    Die Opposition kann mit solchen Nagelstichen nicht wirklich etwas gewinnen. Zwar ist das getroffene Zentrum eines Geheimdienstes sicher eine Schaltstelle des Regimes, aber damit sind die Ressourcen des Regimes höchstens angekratzt - mehr nicht.

    Einen Feind für dumm zu halten, ist ein Fehler - es wäre aber dumm zu glauben, dass diese Explosion das Regime destabilisieren könnte. Dazu braucht es mehr - das weis sicher auch die Opposition.

     

    Folglich hat den größten Nutzen von diesen Anschlägen das Regime, da es seine Ignoranz der politischen Opposition weiter fortsetzen kann und den Anschein erweckt, man müsse die zivile Ordnung mit allen Mitteln aufrecht erhalten.

     

    Das heisst nicht, dass nicht genausogut Gruppierungen wie Al-Kaida oder wer weis wer verantwortlich sein können... aber was bringt denen ein Bürgerkrieg, den sie mit den momentanen Ressourcen nicht gewinnen können?

    Die Regierung ist zu Gewalttätig, die Opposition zu politisch und militärisch zu schlecht ausgestattet, der internationale Druck auf das Regime deutlich zu gering.

  • T
    toddi

    Qui bono - wem nützt der Bombenanschlag auf die UNO?

    Stellt sich eine ganz einfache logische Frage:

    Scheitert die Mission und die Beobachter ziehen ab wird was passieren?

    Der Westen will den Regimewechsel. Das ist klar. Das Land versinkt im Bürgerkrieg. Katar, Saudis und NATO liefern dafür, entgegen dem UNO-Embargo, schon lange illegal Waffen und Ausrüstung und Geld über die türkisch- und libanesisch-syrische Grenze. Und das soll Assad nützen?

    Es war der Boss der „Freien Syrischen Armee“ der verkündete, seine bewaffneten Gruppen würden die Angriffe auf die reguläre Armee fortsetzen. Diese „Freie Syrische Armee“ würde bei einem Erfolg des Annan-Planes überflüssig und der Kampf um Syrien verloren werden.

    Von Bombenanschlägen und Bruch der Waffenruhe profitiert ergo ausschließlich der Westen mit seinen Kampfgruppen. Und dort wird man die Schuldigen an dem Terroranschlag auf die UNO-Beobachter finden. Zitiert aber mir aus dem Herzen (Verstand) ...

  • TH
    Thomas H

    Die UNO und der Westen haben durch ihre allzu zögerliche und konfliktscheue Haltung im Syrienkonflikt auf ganzer Linie versagt.

     

    Die logische Folge ist nun, dass auf der einen Seite zunehmend friedensfeindliche Kräfte wie Al Qaida mitmischen, und auf der anderen die ebenso friedensfeindlichen Kräfte Hisbollah, Mehdi-Armee und Pasdaran immer tonangebender Stellung in Syrien beziehen, was in der logischen Folge unweigerlich zu einer Eskalation und Regionalisierung des innersyrischen Konflikts führen muss.

     

    Der UN-"Friedensplan" Annans wird vom Assad-Regime seit seinem formellen Inkrafttreten nahezu total ignoriert und bewusst und provokativ missachtet, mit Rückendeckung Moskaus und Pekings im Weltsicherheitsrat.

    Allein die militärisch deutlich unterlegene oppositionelle FSA versucht den Waffenstillstand mehrheitlich einzuhalten, um die eigenen Kräfte zu schonen und sich im Untergrund besser aufzustellen und auszurüsten.

     

    Die jüngsten verheerenden Selbstmordanschläge Al Qaidas in Damascus weisen nun in jene üble Richtung, in welche sich der Syrienkonflikt nun zwangsläufig weiter entwickelt und zum langandauernden Bürgerkrieg auswächst.

     

    Wir im Westen hätten diese negative innersyrische Entwicklung verhindern können, wenn wir die echte syrische Opposition von Anfang an konsequent und angemessen unterstützt hätten.

     

    Statt dessen haben wir Westler und die UNO mit unserem Stillhalten und Raushalten lediglich maßgeblich dazu beigetragen, dass die friedensfeindlichen und hassideologisch verblendeten Kräfte nun ihre Zeit gekommen sehen, um aus Syrien ihr Schlachtfeld in Sachen "Dschihad" zu machen.

  • CB
    Cui bono?

    Wem nützt es? Am wenigsten haben die von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten unterstützen sunnitischen Radikalislamisten (Salafisten) ein Interesse an einem Abflauen der Kämpfe.