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Gewalt in ÄgyptenWesterwelle droht mit Liebesentzug

Die EU-Außenminister beraten sich über eine Reaktion auf die Gewalt in Ägypten. Indes ändern die Muslimbrüder ihre Protesttaktik, viele ihrer Anführer sind in Haft.

Soldaten patroullieren in Kairo. Bild: ap

KAIRO/BRÜSSEL/BERLIN ap/dpa | Angesichts der Gewalt in Ägypten beraten die EU-Außenminister am Mittwoch in Brüssel über eine gemeinsame Reaktion. Auf dem Tisch liegen Vorschläge zum Stopp von Hilfsprogrammen und Rüstungslieferungen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte vorab, die EU wolle ein starkes Signal an Ägypten senden, doch müssten die Erwartungen realistisch bleiben.

Binnen einer Woche sind in Ägypten rund 1.000 Menschen ums Leben gekommen. Die Eskalation der Gewalt begann, als die vom Militär gestützte Übergangsregierung zwei Protestlager von Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi in Kairo räumen ließ.

Europa ist für Ägypten ein wichtiger Handelspartner und Geldgeber. Zudem lebt der ägyptische Tourismus auch von Gästen aus Europa.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat zuvor der neuen Führung in Ägypten mit einem kompletten Stopp der Unterstützung vonseiten der Europäischen Union gedroht. „Alle Punkte der Zusammenarbeit mit Ägypten stehen jetzt auf dem Prüfstand“, sagte Westerwelle am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Jetzt müsse mit „maximalem Druck“ dafür gesorgt werden, dass die verschiedenen Kräfte in Kairo an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Muslimbrüder ändern ihre Taktik

Die ägyptischen Muslimbrüder wollen ihre Taktik im Machtkampf mit der neuen Führung ändern. Nachdem es bei Protestaktionen der „Allianz gegen den Putsch“ in den vergangenen Tagen zu Festnahmen gekommen war, teilte die Bewegung ihren Anhängern in der Nacht zum Mittwoch mit, sie sollten ihre Proteste ab sofort spontan und dezentral organisieren.

Die Islamisten waren bei Kundgebungen zuletzt auch mehrfach von Passanten attackiert worden. Gleichzeitig schärften die Gegner der Übergangsregierung ihren Mitstreitern ein, es sei ihre „Pflicht, nicht nachzulassen, sondern jeden Tag an Aktivitäten teilzunehmen“. Gleichzeitig sollten sie Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte dokumentieren.

Inzwischen sitzt etwa ein Drittel der Führung der Muslimbruderschaft in Untersuchungshaft. In der Nacht wurde am Flughafen Kairo der Medienberater der Partei der Muslimbrüder, Murad Ali, festgenommen. Er habe nach Rom fliegen wollen, hieß es am Flughafen. Der sonst stets konservativ gekleidete Ali habe vor der geplanten Reise sein Aussehen geändert. Er sei in Jeans und ohne Bart festgenommen worden.

Anhörung wegen Mubarak

Der ägyptische Ex-Präsident Husni Mubarak bemüht sich vor Gericht um seine Freilassung aus der Haft. In der Anhörung am Mittwoch wolle sein Anwalt Einspruch gegen die weitere Inhaftierung des 2011 entmachteten Staatschefs wegen Korruptionsvorwürfen erheben, hieß es aus Justizkreisen. In drei anderen Verfahren hatten Gerichte bereits die Freilassung des früheren Präsidenten unter Auflagen angeordnet. Dabei ging es ebenfalls um Korruptionsvorwürfe sowie um die Tötung von Demonstranten.

Mubarak muss sich gemeinsam mit seinem früheren Innenminister Habib al-Adli und sechs hochrangigen Polizisten vor Gericht wegen Beihilfe zur Tötung an Demonstranten verantworten. Der Ex-Staatschef war vor einem Jahr zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Januar gab die Justiz aber seiner Berufung statt und kassierte das Urteil wegen Formfehlern. Anschließend wurde ein neuer Prozess angesetzt.

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2 Kommentare

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  • Schwierig, schwierig...CIA unterstützt Moslembrüder, EX-MB Sadat erlässt eine Amnestie für diese, daraufhin wird er von ihnen ermordet ... Herr Westerwelle verlangt nun die Einbindung der MB als politische Kraft, übersieht aber, daß diese das rigoros abgelehnt haben, weil sie die Absage von Gewalt nicht leisten wollen und sowieso die absolute Alleinherrschaft anstreben. Tja, Herr Aussenminister, könnte für Sie schwierig werden, in einem zukünftigen moslembrüderfreien Ägypten als Aussenminister einen Besuch abzustatten. Aber fragen Sie doch nochmal bei den NSA/CIA Experten in Maryland nach, ob es sicher ist, daß ohne tatkräftige Unterstützung der MB die ganze Welt den Al-Quaida-Leuten in die Hände fällt ? Sicher, MB und Hamas lassen die Kirche im Dorf (allerdings abgefackelt und geplündert), während "Al-Quaida" sogar NY und das Pentagon angreift, was Amerika (Nordteil/Obama) auf eine Linie bringt, deren Auswüchse E.Snowden aufdecken konnte, was ihn zum Staatsfeind Nr.1 machte, aber war nicht auch Muhammed Atta ein...waschechter Ägypter?

  • K
    Kairener

    Warum liebt man im Westen plötzlich die Muslim-Brüder so sehr? Mit zweifelhaften Wahlen an die Macht gekommen, haben sie alles daran gesetzt, eine Demokratie zu verhindern. "Gleichschaltung" in weiten Bereichen, eine auf sie zugeschnittene Verfassung, Zensur, Ausgrenzung von Andersdenkenden und -gläubigen - das gab es alles in der Regierungszeit von Mursi. Die Mehrheit der Ägypter hatte genug davon. Das Militär hat eingegriffen und den Brüdern vorher oft genug angeboten, an einem neuen Anlauf in Richtung Demokratie mitzuwirken. Kompromisse gibt es aber für diese Gruppierung nicht. Hinzu kommen die Gewaltbereitschaft, öffentliche Aufrufe zur Tötung von Gegnern, Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und Kirchen usw. Übertrieben gewaltsam war das Vorgehen gegen die Mursi-Anhänger sicher, aber nötig war es auch.

    Wenn man in Ägypten lebt, stellt sich im Moment die Frage: Vor wem habe ich mehr Angst, dem Militär oder den Muslim-Brüdern? Eine klare Mehrheit, zu der meine Familie und ich, sowie alle aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis gehören, fürchtet sich mehr vor den Muslim-Brüdern, was man offenbar in den EU-Ländern und den USA überhaupt nicht verstehen kann. Wieso wünscht man sich denn dort bloß eine islamistische Dikatur in Ägypten?