Der ostkongolesische Nationalpark Kahuzi-Biéga

Der ostkongolesische Nationalpark Kahuzi-Biéga Foto: Alexis Huguet

Gewalt gegen Twa-Pygmäen im Kongo:Staatsterror für den Naturschutz

Mord, Folter, abgebrannte Dörfer: Wie Kongos Nationalpark Kahuzi-Biéga die indigene Bevölkerung behandelt. Und: Deutsche Geber wissen Bescheid.

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6.4.2022, 14:08  Uhr

Dunkle schwere Wolken hängen oft über den Baumkronen des Regenwaldes. Die hohen Gipfel der beiden erloschenen Vulkane Kahuzi und Biéga, die dem Nationalpark Kahuzi-Biéga ihren Namen geben, sind selten klar auszumachen. Wer mit dem Auto 30 Minuten von der Provinzhauptstadt Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo in den Dschungel fährt, passiert neben dem Hauptquartier der Parkverwaltung ein handgemaltes großes Schild mit einer deutschen und einer kongolesischen Flagge: „Finanzkooperation“ steht dort in roten und blauen Lettern.

Der Kahuzi-Biéga-Nationalpark ist das älteste Kleinod der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Kongo. Seit den 1980er Jahren finanziert die Bundesregierung den Schutz dieses Regenwaldes mit seinen seltenen Flachlandgorillas inmitten eines Kriegsgebiets.

Doch jetzt häufen sich Berichte, dass die Parkwächter, die auch mit deutschen Steuergeldern bezahlt werden, Verbrechen begehen – an der ärmsten Bevölkerungsgruppe des Landes, den Twa, auch Pygmäen genannt.

„Mit Gewalt den Wald säubern“ – so der Titel eines Berichts, den die Nichtregierungsorganisation Minority Rights Group am 6. April veröffentlicht. Auf 90 Seiten sind Übergriffe der Wildhüter dokumentiert: Mord, Folter, Exekutionen, Massenvergewaltigungen, abgefackelte Dörfer. Zwei Kinder verbrannten lebend in Hütten, die Wildhüter mutmaßlich in Brand gesetzt hatten.

Bereits 2020 berichtete die taz über die Gewalt der Parkverwaltung gegen die Batwa. Daraufhin fror die Bundesregierung ihre finanzielle Unterstützung für den Park ein und stellte ihre gesamte Zusammenarbeit mit Kongos Naturschutzbehörde ICCN (Kongolesisches Institut für den Schutz der Natur) auf eine neue Grundlage. Das ICCN richtete Beschwerdemechanismen ein, eine Telefonhotline, einen Menschenrechtsbeauftragten, Leitfäden für den Umgang mit der lokalen Bevölkerung.

Die Übergriffe gehen weiter

Deutsche Gelder fließen nur weiter, wenn die Parks gemeinsam mit internationalen Organisationen verwaltet werden. Für Kahuzi-Biéga ist das seit kurzem die US-amerikanische „Wildlife Conservation Society“ (WCS).

Daraufhin nahm die deutsche Entwicklungsbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) 2021 die finanzielle Unterstützung der Wildhüter als „Brückenzahlungen“ wieder auf, wie sie gegenüber der taz bestätigte. Doch die Übergriffe gehen weiter.

„Es war so schockierend“, erzählt Robert Flummerfelt, Autor des Berichts der „Minority Rights Group“, die sich weltweit für die Rechte Indigener einsetzt. Der freie Journalist und Researcher arbeitet seit vier Jahren in Bukavu. Angeregt durch die taz-Berichterstattung machte er sich im Oktober 2020 auf in den Park und umliegende Dörfer.

Zwischen den Batwa und der Parkverwaltung gibt es seit jeher Konflikte. Sie wurden bei der Gründung des Parks 1970 durch belgische Naturschützer aus dem Wald ausquartiert. Seitdem leben rund 15.000 Batwa in kleinen Gemeinden am Rande des Parks. Die meisten sind bettelarm. Sie besitzen kein Ackerland.

Mit deutscher Hilfe wurden ihnen Dörfer gebaut, Schulen errichtet. Doch zahlreiche Batwa ziehen es vor, weiter im Wald zu leben, wo die Vorfahren beerdigt sind und wo sie Heilkräuter, Honig und Waldfrüchte ernten, nach ihrer traditionellen Lebensweise. Viele zogen aus den Dörfern wieder zurück in den Park.

Um zu überleben, stellen die Batwa im Park Brennholz her, das sie verkaufen. Die Parkverwaltung beschuldigt die Batwa, über 400 Hektar Wald abgefackelt zu haben. Parkchef De-Dieu Bya'ombe stellte ihnen im Frühjahr 2019 ein Ultimatum: Alle Batwa müssen bis Ende April raus aus dem Park, „sonst werden sie mit Gewalt entfernt“.

Laut Flummerfelts Recherchen begannen im Juli 2019 gezielte Militäroperationen von Wildhütern gemeinsam mit der Armee. Dabei sollen, so der Bericht, mindestens 20 Batwa, darunter Kinder, getötet und über 30 Frauen und Mädchen vergewaltigt worden seien. Flummerfelt und sein Team sprachen mit hunderten Batwa, die aus ihren Dörfern gewaltsam vertrieben worden waren. „Am Anfang konnte ich es fast nicht glauben, was sie uns berichteten“, so Flummerfelt. „Der Einsatz von schweren Waffen, abgebrannte Dörfer – das ganze Arsenal“.

Als Flummerfelt schließlich selbst auf den Gräbern und in der Asche der zerstörten Dörfer stand, „wurde uns das ganze Ausmaß der Gewalt erst bewusst“. Wochenlang zog er von Dorf zu Dorf, führte hunderte Interviews, sammelte leere Patronenhülsen, machte Fotos von zerstörten Hütten, frischen Gräbern und Verletzten. „Auf einem Hügel fanden wir gebrauchte 60-Milimeter-Mörsergranaten“, so der Researcher.

Wildhüter und Soldaten bestätigten ihm, sie hätten von Parkchef Bya'ombe persönlich Befehle erhalten, Batwa-Dörfer zu bombardieren. Zuvor seien sie von „weißen Söldnern“ an diesen Waffen trainiert worden. Die US-Naturschutzorganisation WCS (Wildlife Conservation Society) finanziert seit Jahren Ausbildungsprogramme für Kongos Parkwächter, um sie gegen Wilderer fit zu machen.

Ein abgbranntes Haus, Reste mit Kohle

Ein abgebranntes Haus in einem Batwa Dorf, Juli 2021 Foto: NGO Minority Rights

Im Juli 2021 wurde der Amerikaner selbst Zeuge dieser Gewalt, berichtet er. Flummerfelt saß in Bukavu am Computer, da klingelte das Telefon: „Der Batwa-Gemeindevorsteher, der anrief, war total in Panik“, erinnert er sich: „Das Dorf war unter Beschuss“. Flummerfelt fuhr sofort los. „Als wir ankamen, war die Asche noch heiß, wir fanden blutgetränkte Kinderkleidung in den Ruinen“, sagt er. Überlebende berichteten, Frauen und Mädchen seien vergewaltigt worden, sie hätten die Exekution ihrer Männer mit anschauen müssen.

So schrieb Minority Rights am 29. Juli 2021 Parkchef Bya'ombe eine Email, die der taz vorliegt. „Mit Sorge und Bestürzung“ habe man von „Menschenrechtsverletzungen, einschließlich der Ermordung von zwei Batwa-Zivilisten“ erfahren. Die NGO forderte den Parkchef auf, „alle Angriffe unverzüglich einzustellen“ sowie die Übergriffe „unverzüglich zu untersuchen“.

In Kopie dieser Mail waren über zehn internationale Partner der kongolesischen Naturschutzbehörde – auch die Deutschen. Spätestens von diesem Moment an wussten die deutschen Geber, darunter die KfW, die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) sowie das zuständige Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), Bescheid.

Der Parkchef streitet alles ab

In seiner Antwort vom 10. August 2021, die der taz ebenfalls vorliegt, streitet Bya'ombe jedoch alles ab. Er erläutert ausführlich die angehenden Militäroperationen von Kongos Armee gegen die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die sich auch im Park verschanzt hatten. „Und zu Ihrer Information“, so der Parkchef weiter: „Es gab keine Todesfälle, in keinem Dorf, das ich kenne“, schreibt er: „Wenn das wahr wäre, würde diesem Wildhüter der Tod durch den Strang blühen, selbst wenn unsere Gesetze das nicht mehr zulassen.“

Auf taz-Anfrage erklärt das BMZ, der Parkdirektor habe die Deutschen in einer Email informiert. „Demnach sei das Ultimatum nicht mit der Androhung von Gewalt unterlegt, sondern ein Versuch gewesen, gemeinsam mit verschiedenen lokalen Gemeindevorstehern einen gewaltfreien Auszug aus dem Park zu erreichen“, so das BMZ.

Die KfW sagt gegenüber der taz: Sie habe „ICCN aufgefordert, und zwar unmittelbar nach Bekanntwerden der schlimmen Vorwürfe, Informationen bereitzustellen“, so die KfW-Pressestelle: Sie betont: „Wir verurteilen die Taten, sollten diese sich bewahrheiten, auf das Schärfste“.

Robert Flummerfelt, Autor des Berichts

„Diese Form des Naturschutzes ist einfach ein neokoloniales Unterfangen – nichts anderes“

Sechs Tage nach der Email an die Deutschen, am 4. August 2021, besuchte der deutsche Botschafter im Kongo, Oliver Schnakenberg, gemeinsam mit der GIZ-Beauftragten in Bukavu die Gorillas im Kahuzi-Biéga-Park. Laut einem Artikel auf der Park-Webseite begutachtete der Diplomat die von Deutschland gestifteten neuen Baracken der Wildhüter und fragte sie nach ihrer Arbeit. Diese beklagten, dass sie aufgrund von Anschuldigungen von Menschenrechtsverbrechen nur einen Teil ihres Gehalts erhielten. Der Botschafter versprach, „dies mit den betroffenen Institutionen und Personen zu erörtern, um diese Situation zu lösen“.

Flummerfelt ist entsetzt: „Der Botschafter stellte öffentlich seine Unterstützung für den Park zur Schau“, so der Researcher. „Dabei hatte die GIZ uns bestätigt, dass sie unseren Brief erhalten hatte.“ Für Flummerfelt ist dies ein „fantastisches Beispiel des Enthusiasmus, mit dem die Deutschen die Hilfe für den Park aufrecht erhalten – trotz all der Beweise, welches Ausmaß der Gewalt die Parkverwaltung gegen die Batwa-Gemeinden organisiert“.

Die GIZ erklärt der taz, sie habe für den Besuch des Botschafters im Park Treffen mit Vertretern der indigenen Gemeinschaft und zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzen, organisiert“. Die GIZ habe von den Gewaltvorwürfen kurz vor dem Botschafterbesuch erfahren. „Diese konnten jedoch nicht verifiziert werden“, so die GIZ.

Danach war erstmal alles ruhig im Dschungel. Flummerfelt hoffte, der Druck der Geber habe gewirkt, die Parkverwaltung habe die Attacken eingestellt.

Fehlanzeige. Ende November 2021 erhielt der Researcher erneut Anrufe. Wieder fuhr er los, geriet beinahe selbst unter Beschuss. „Wir hörten Schüsse und sahen Rauch aufsteigen, die Hütten brannten“, erinnert er sich. Als die Angriffe vorbei waren, wagte er sich zum Tatort: „Die Dörfer waren dem Erdboden gleich gemacht worden“.

Wieder schrieb Minority Rights an den Park und dessen Geber, schilderte, dass „Kinder lebend in den Flammen verbrannt“ seien. Auch die taz konfrontierte daraufhin die KfW. Die Antwort war kurz und knapp: Man sei über die „Zwischenfälle informiert“ und habe die Parkbehörde „aufgefordert, entsprechende Informationen bereitzustellen und eine Untersuchung unter Beteiligung unabhängiger Instanzen zu initiieren“.

„Berichtspflicht“ aus dem Kongo

Die deutsche Unterstützung für den Kahuzi-Biéga-Park läuft weiter. Über 6.000 Kilometer liegen zwischen Berlin und dem Park. In Hintergrundgesprächen geben die deutschen Sachbearbeiter offen zu, dass sie nur wenig Einblick haben, was tatsächlich da los ist. Sie seien auf die „Berichtspflicht“ des ICCN angewiesen – eine staatliche kongolesische Behörde.

„Die für den Park verantwortliche kongolesische Naturschutzbehörde (ICCN) streitet eine Beteiligung an den Vorkommnissen ab“, beantwortet ein Pressesprecher des BMZ eíne taz-Anfrage. „Nähere Erkenntnisse zu den internen Ermittlungen liegen bislang nicht vor“.

Der taz liegen interne Emails zwischen dem BMZ und der KfW vor, die Minority Rights über eine Akteneinsicht gemäß des Informations-Freiheitsgesetzes erhalten hat. Anlass war 2017 der Tod eines Batwa-Jungen, den ein Wildhüter erschossen hatte. Sein Vater hatte sich direkt an die KfW gewandt. In ihrer Antwort versichterte die KfW, dass Menschenrechte sowie die Rechte der Ingigenen „Schlüsseldirektiven“ ihrer Arbeit seien. Das ICCN spendierte der Familie ein neues Holzhaus sowie „Zahlungen zum Aufbau einer kommerziellen Tätigkeit“. Der Schütze landete im Gefängnis.

Ein NGO-Vertreter

„Ich bin bereits zehnmal vom Geheimdienst einbestellt worden“

Doch seitdem kommt es rund um den Park ständig zu solchen Vorfällen. Das zeigen auch die internen Emails. Bereits am 1. Mai 2019, also am Tag des Ablaufs des Ultimatums des Parkchefs an die Batwa, erhielten KfW und BMZ ein Schreiben der NGO „Forests People Programme“, das die Deutschen über das Ultimatum in Kenntnis setzt.

„Die KfW wusste von Bestrebungen, sich illegal im Park befindliche Bevölkerungsgruppen zu einem Auszug aus dem PNKB zu bewegen“, gibt die KfW jetzt auf Anfrage der taz zu. „Vor diesem Hintergrund und der Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit an der Achtung und dem Schutz der Menschenrechte haben wir ICCN unmissverständlich zur Achtung der Menschenrechte aufgefordert und dabei unterstützt, einen friedlichen Dialogprozess mit allen beteiligten Bevölkerungsgruppen zu initiieren.“ Ein Großteil der deutschen Gelder sei daraufhin in den sogenannten Bukavu-Dialog geflossen, der eine friedliche Lösung des Problems sucht.

Ein Holzkreuz mit Patronen

Ein Kreuz erinnert an ein Opfer, das bei einem Angriff von Parkrangern und Soldaten ermordet wurde Foto: NGO Minority Rights

Zur Aufklärung der Vorfälle habe Kongos Naturschutzbehörde im Juli 2021 eine unabhängige Kommission einberufen, in der auch Mitarbeiter des UN-Menschenrechtsbüros sitzen, erklärt das BMZ. Die Arbeit sowie der „internationale Experte“, der die Kommission leite, werden von der KfW mit deutschen Geldern bezahlt.

„Zu laufenden Ermittlungen, der Dauer der Untersuchung und auch zu einzelnen Vorwürfen kann die KfW keine Aussagen machen“, so die KfW: „Ob und in welchem Umfang die Ergebnisse der Untersuchung veröffentlicht werden, kann derzeit noch nicht eingeschätzt werden“. Das BMZ betont zudem: „Sollte die Untersuchung Beweise für begangene Straftaten ergeben, dann müssen diese strafrechtlich verfolgt werden.“

Geleakt an den Geheimdienst

Währenddessen ist Kongos Geheimdienst aber eifrig dabei, Spuren zu verwischen. Die taz sprach mit NGO-Vertretern in Bukavu, die sich für die Rechte der Batwa einsetzen. Ihre Namen können aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden. Sie sind in Panik.

„Ich bin bereits zehnmal vom Geheimdienst einbestellt worden“, berichtet einer der taz. Die Verhöre gingen oft tagelang. Dabei hätten die Geheimdienstler eine französische Übersetzung des Minority-Rights-Berichts vorgelegt, sowie ein weiteres Dokument mit einem „roten GIZ-Logo“.

Wie gelangte der bislang nicht veröffentlichte Bericht in die Hände des kongolesischen Geheimdienstes? Minority Rights teilte im Januar eine kopiergeschützte Version mit nur wenigen Gebern in Berlin, Frankfurt und den USA. Alle verpflichteten sich schriftlich, diese nicht in Umlauf zu bringen – auch aus Quellenschutzgründen. BMZ, GIZ und KfW versichern auf Nachfrage, dass sie den Bericht nicht mit Dritten geteilt hätten.

Über die „Ignoranz“ der Deutschen ist Flummerfelt entsetzt, gibt er zu. „Diese Form des Naturschutzes ist einfach ein neokoloniales Unterfangen – nichts anderes“, sagt er. Der Bericht, der heute veröffentlicht wird, sei ein „Weckruf“ für internationale Geber und NGOs, so Colin Luoma, Chefresearcher von Minority Rights, zur taz. „Diese müssen öffentlich anerkennen, dass ihre eigenen Aktivitäten zu Menschenrechtsverletzungen im Park beitragen“.

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