Gewalt gegen Frauen in Berlin: Femizide klar benennen
June Tomiak (Grüne) fordert ein Umdenken in der Sicherheitspolitik. Dazu gehöre, Morde an Frauen als Femizide polizeilich zu erfassen.
Im gesamten Jahr 2020 listet die Polizeistatistik rund 15.900 Gewalttaten in dem Bereich – die Tendenz ist seit Jahren steigend. Die Zahlen gehen auf die polizeilichen Meldedaten zurück. Die reellen Zahlen dürften noch deutlich höher sein, da nicht jede Gewalttat der Polizei gemeldet wird.
Tomiak sieht darin ein Problem: „Mit den Kontakten zu Frauenhäusern und Beratungsstellen hätte die Senatsverwaltung noch andere Möglichkeiten gehabt, um zu verdeutlichen, wie hoch die Gewalt gegen Frauen ist“, sagte Tomiak der taz. Sie schätzt die Senatsverwaltung für ihre bisherige Arbeit in diesem Bereich, sieht aber gleichwohl Verbesserungsbedarf.
Darunter fällt nach Ansicht feministischer Initiativen auch die Frage nach der Zuständigkeit: Für Gewalt gegen Frauen ist die Senatsverwaltung für Soziales zuständig, während Gewaltdelikte normalerweise in die Zuständigkeit der Innenpolitik fallen.
June Tomiak, Grüne
Für June Tomiak würde außerdem eine deutliche Benennung weiterhelfen. So fragt sie: „Wie steht der Senat einer Einführung des Begriffes ‚Femizid‘ in die polizeilichen Kriminalstatistiken gegenüber, um im Kontext von Hassverbrechen gegen Frauen eine gesicherte Datenlage zu schaffen und dem gesamtgesellschaftlichen, strukturellen Problem zu begegnen?“ Bislang wird Gewalt gegen Frauen nicht gesondert in einer solchen Kategorie erfasst.
Tomiak sagte der taz: „Ich halte den Begriff Femizid für sehr, sehr hilfreich.“ Wenn von partnerschaftlicher Gewalt die Rede sei, wirke es so, als sei die Gewalt den persönlichen Umständen geschuldet. „Es gibt immer individuelle Kontexte, das ist klar“, sagt Tomiak. „Aber der Begriff ‚Femizid‘ kann auch zu einer Versachlichung der Diskussion führen.“
Die Senatsverwaltung verweist in ihrer Antwort auf einen bereits stattfindenden Prozess: „Bundesweit gibt es Bestrebungen, eine einheitliche Definition als Grundlage für die polizeiliche Erfassung und Auswertung von Straftaten in Partnerschaften und Familien zu entwickeln.“ Das Land Berlin beteilige sich in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gewalt im familiären Umfeld“ aktiv an diesem Prozess. Ob die Senatsverwaltung den Begriff für passend hält, lässt sie offen.
Polizisten als „Multifunktionstool“
Perspektivisch kann sich Tomiak auch andere Maßnahmen vorstellen, um Gewalt gegen Frauen systematisch zu bekämpfen: „Im Fall von Gewalt kann die Polizei gerufen werden. Es stellt sich aber die Frage, ob das der alleinig richtige Ansprechpartner ist.“ So müsse man darüber nachdenken, ob das nicht eher Aufgabe für multiprofessionelle Teams sei, dass also Sozialarbeiter:innen oder Psycholog:innen gemeinsam mit der Polizei gerufen werden können. „Polizist:innen werden oft als Multifunktionstool eingesetzt. Aber sie sind nicht immer die richtige Antwort, wenn es gilt, den Täter vom Opfer zu trennen und Lösungen darüber hinaus zu finden“, sagt Tomiak.
Um eine angemessene Strategie zu erdenken, bräuchte es laut Tomiak auch mehr Frauen im Bereich der Innenpolitik, die sich für ein derartiges Vorgehen starkmachen. „Die Bedürfnisse von Frauen werden dort nicht beachtet, weil sie in der Sicherheitspolitik kaum vertreten sind“, sagt Tomiak. „Dabei ist Gewalt gegen Frauen eine Riesenproblematik, die fast alle Frauen persönlich betrifft.“
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