Gewässerschutz nach EU-Kriterien: Weiterhin trübe Aussichten
Flüsse und Seen in Berlin und Brandenburg sollten längst in einem ökologisch guten Zustand sein – davon kann aber noch keine Rede sein.
Eigentlich sollte es längst geschafft sein: Bis 2015 waren die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, alle Gewässer in einen „guten ökologischen und chemischen Zustand“ zu bringen. Möglichst wenig Schadstoffe, eine ausgeglichene Nährstoffmenge und genügend Sauerstoff im Wasser, aber auch eine möglichst natürliche Form der Bäche, Flüsse und Seen sollen diese wieder zu einem gesunden Lebensraum für Pflanzen und Tiere machen.
Grundlage dafür ist die Wasserrahmenrichtlinie der EU (WRRL) aus dem Jahr 2000. Auch das Grundwasser fällt darunter – beispielsweise darf die Entnahme von Wasser seine Neubildung nicht übersteigen.
Mittlerweile schreiben wir allerdings das Jahr 2021, und wie in den meisten deutschen Bundesländern ist es auch in Berlin und Brandenburg noch lange nicht soweit: Dem Naturschutzbund Nabu zufolge erhalten mehr als 50 Prozent der Wasserläufe in der Region das WRRL-Label „ökologisch unbefriedigend“ bis „schlecht“, der chemische Zustand sei sogar durchweg „schlecht“. Keiner der Berliner Seen erreiche die ökologischen Kriterien, in der Mark seien es auch nur 13 Prozent. Grundwasser und die Moore blieben gefährdet.
Immerhin: Bis 2027 gibt die WRRL den Ländern noch eine Gnadenfrist. „Aussichtslos, wenn dieses Ziel so unambitioniert verfolgt wird wie bisher“, findet die Initiative „Wassernetz“, zu der sich nun 17 Berliner und Brandenburger Umweltverbände und -Organisationen zusammengetan haben.
„Werden die mengen- und qualitätsbezogenen Anforderungen nicht erreicht, ist die Trinkwasserversorgung in den kommenden Jahren durch sinkende Grundwasserstände und Verschmutzung ernsthaft in Gefahr“, heißt es in einer Mitteilung vom Montag. Auch EU-Vertragsverletzungsverfahren würden dann unausweichlich, „denn das dramatische Artensterben, das auch die aquatische Lebewelt betrifft, setzt sich ungehindert fort“.
Vor diesem Hintergrund übergaben VertreterInnen des Bündnisses am Montag einen Forderungskatalog an Mitglieder des Abgeordnetenhauses, die sich zu einer Sondersitzung des Umweltausschusses trafen. Auch vor dem Brandenburger Landtag bekamen VertreterInnen der Brandenburger Koalitionsfraktionen den Katalog in die Hand gedrückt.
Die PolitikerInnen müssten jetzt „geeignete Maßnahmen entwickeln und die finanziellen wie personellen Voraussetzungen schaffen, anstatt die Wasser- und Biodiversitätskrise weiter zu verschärfen und später aufwendig gegen Vertragsverletzungsverfahren argumentieren zu müssen“, hieß es.
Im Sommer trockengefallen
Als Negativbeispiel für die Probleme in der Region nannte das Bündnis das Fredersdorfer Mühlenfließ, das bei Strausberg entspringt und bei Wilhelmshagen in den Müggelsee mündet. Von Anliegern in beiden Ländern werde Wasser zur Bewässerung entnommen, hieß es – aber die Untere Wasserbehörde gehe nicht dagegen vor, obwohl das Brandenburger Wasserhaushaltsgesetz diese Möglichkeit biete.
Weil Wasser auch noch in Nebengewässer abgeleitet werde, sei das Fließ in den letzten Sommern regelmäßig trockengefallen. Der Lebensraum von Teichmuscheln, Libellen und anderen Tieren werde dadurch zerstört, teilte das „Wassernetz“ mit.
Auf taz-Anfrage bestätigte die grün geführte Senatsumweltverwaltung die Bestandsaufnahme der Verbände in Bezug auf den ökologischen und chemischen Zustand der Gewässer gemäß WRRL. Allerdings sei bei dieser Einstufung immer die jeweils schlechteste Komponente maßgeblich („One-out-all-out“-Prinzip), heißt es in der Antwort.
Eine Betrachtung der einzelnen Komponenten ergebe ein differenziertes Ergebnis. So habe ein verringertes Nährstoffangebot in den letzten 4 Jahren zur „weiteren Abnahme der Cyanobakterien bis auf ein Minimum, zu hohen Sichttiefen und der Entwicklung von Wasserpflanzen in der Mehrzahl der Seen sowie zu einer Wiederbesiedlung naturnaher Seeufer mit anspruchsvoller wirbelloser Fauna“ geführt.
Sieben Seen seien zumindest hinsichtlich der Nährstoffbelastung in einem guten Zustand, heißt es aus der Umweltverwaltung. Dass der „gute chemische Zustand“ der Berliner Oberflächengewässer verfehlt werde, sei auf weit verbreitete Stoffe wie Quecksilber zurückzuführen. Aus diesem Grund erreiche im Übrigen derzeit kein einziger Wasserkörper in Deutschland das geforderte Ziel.
In den vergangenen Jahren seien schon „wichtige Maßnahmen zur Erreichung der Umweltziele der WRRL umgesetzt“ worden, „weitere werden in den nächsten Jahren ergriffen“. Die Senatsverwaltung verweist auf „umfassende Investitionen“ in den Klärwerken, Aktivitäten zum Regenwassermanagement und Maßnahmen zur hydromorphologischen Verbesserung – vereinfacht gesagt: zur Renaturierung – von Wasserläufen.
Probleme bereiteten weiterhin ein hoher Nutzungsdruck und der wachsende Anteil von eingewanderten Arten (Neozoen), die heimischen Arten den Lebensraum nehmen, aber auch die Komplexität von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Zudem führten viele Maßnahmen erst mit deutlicher Verzögerung zu einer Zustandsverbesserung.
Bis 2027 wird das nichts
Das nüchterne Fazit der Umweltverwaltung: „Es ist absehbar, dass die Berliner Gewässer nicht im erforderlichen Umfang bis 2027 das WRRL-Ziel eines durchweg guten ökologischen bzw. chemischen Zustands erreichen werden.“ Insbesondere Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung seien „zeit- und kostenintensiv und mit Unsicherheiten behaftet“, und auch die Belastung der Gewässer durch Kanalisationsüberläufe müsse noch weiter reduziert werden
Die Verwaltung geht allerdings auch davon aus, dass die Ziele der WRRL bis 2027 bei „vielen europäischen Gewässern“ nicht erreicht werden. Vertragsverletzungsverfahren seien dann nicht auszuschließen. „Mit welchen finanziellen Sanktionen dies verbunden wäre, ist derzeit nicht einschätzbar.“
„Wir wollen und müssen schneller werden“, sagte Umwelt-Staatssekretär Stefan Tidow der taz, auch wenn beim Gewässerschutz und Wassermanagement in den vergangenen Jahren „einiges passiert“ sei. Mit dem „Masterplan Wasser“ habe die Senatsverwaltung das Thema „ganz nach oben auf die politische Agenda“ gesetzt. Schließlich gehe es auch um eine sichere Trinkwasserversorgung in der Stadt.
Aber, so Tidow: „Diese Themen müssen daher für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung in der gesamten Breite von Politik und Gesellschaft einen noch höheren Stellenwert bekommen.“
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