Getötete Radfahrerin in Berlin: Es geht einfach so weiter
Wieder ist eine Radlerin von einem rechtsabbiegenden LKW totgefahren worden. Radinitiativen werfen der Politik Nichtstun vor.
Es ist immer dasselbe: Erneut ist eine Radfahrer*in gestorben, weil ein Lastwagen sie beim Rechtsabbiegen offenbar übersehen und überrollt hat. Der Unfall geschah am Freitag in der Nähe des Gesundbrunnens im Wedding; die 29-Jährige starb trotz Reanimierungsversuchen noch am Unfallort. Am heutigen Sonntag findet um 18 Uhr an der Ecke Schönwalder Straße/Reinickendorfer Straße eine Mahnwache statt, organisiert vom Radlobbyverein Changing Cities.
Die Frau ist die neunte getötete Radlerin in diesem Jahr in Berlin. Im Schnitt wurde etwa die Hälfte der tödlichen Radunfälle in den vergangenen Jahren von rechtsabbiegenden Lastwagen verursacht – trotz aller Mahnungen, Proteste und umfassender Berichte in den Medien. Insgesamt sind 2021 in Berlin bisher 17 Menschen im Fuß- und Radverkehr getötet worden.
Weil sich offenbar nichts an der Gefahr für Radler*innen durch rechts abbiegende LKW ändert – es also wirklich immer dasselbe ist –, wirft Changing Cities der Politik in Bund und Land Versagen und Ignoranz vor. „Nichts zu tun ist offenbar am einfachsten“, sagte die Sprecherin des Vereins, Ragnhild Sørensen, am Sonntag der taz. Sie forderte das Land auf, flächendeckend Tempo 30 einzuführen, um die Straßen sicherer für alle zu machen.
Stefan Taschner, Grüne
Ampelschaltungen verändern
Doch es gebe noch weitere Möglichkeiten, so Sørensen. Die Ampelschaltungen an Kreuzungen könnten so geändert werden, dass abbiegende Fahrzeuge und geradeaus fahrende Radler*innen nie gleichzeitig grün haben. Teilweise wird das bereits gemacht.
Auch rechtlich wäre mehr möglich, betont die Sprecherin des Vereins. London könne dabei ein Vorbild sein: Dort habe die Stadt selbst eigene Vorgaben für LKW festgelegt, darunter größere Glasflächen an der Beifahrertür, damit die Fahrer*innen eine bessere Sicht haben. Auch die eigenständige Einführung eines verpflichtenden elektronischen Abbiegeassistenten, der ein Rechtsabbiegen bei Gefahr verhindert, sei möglich. „Ich sehe keinen Grund, warum das nicht gehen sollte. Es ist offensichtlich politisch nicht gewollt“, sagte Sørensen unter anderem an die Adresse der Grünen, denn die Senatsverwaltung für Verkehr wird seit fünf Jahren von der grünen Senatorin Regine Günther geleitet.
Auch der verkehrspolitische Sprecher der Grünenfraktion im Abgeordnetenhaus, Stefan Taschner, sieht Handlungsbedarf. „Was die veränderten Ampelschaltungen angeht, müssen wir deutlich schneller werden“, sagte er der taz. Derzeit werden die Ampeln von einer externen Firma gesteuert und gewartet; die Zusammenarbeit mit ihr gilt bisweilen als schwierig und kompliziert.
Auf eigene Faust in Berlin einen verpflichtenden elektronischen Abbiegeassistenten einzuführen, sei jedoch nicht möglich, sagt Taschner und verweist auf ein Gutachten im Auftrag der Verkehrsverwaltung. Laut EU-Verordnung gilt diese Pflicht für einen Teil der LKW erst ab 2024. Immerhin habe Berlin einen großen Teil des eigenen Fuhrparks inzwischen mit der Technik ausgestattet.
Taschner setzt für die Zukunft auf einen Mix unterschiedlicher Maßnahmen baulicher wie juristischer Art – und auf mehr Polizei. Denn seit der jüngsten Überarbeitung der Straßenverkehrsordnung dürfen LKW eigentlich nur noch im Schritttempo rechts abbiegen: „Das muss die Polizei viel stärker kontrollieren.“
Hoffen auf grüne Regierungsbeteiligung im Bund
Zudem hofft Taschner auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen und eine künftige Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen, damit die Verkehrswende auch im Bund ankomme. Stefan Gelbhaar teilt diese Hoffnung. „Das Thema Verkehrssicherheit gehört auf jeden Fall in die Koalitionsverhandlungen“, sagte der bisherige verkehrspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, der am 26. September seinen Wahlkreis Pankow direkt gewonnen hat.
Eine neue Bundesregierung müsse sich zudem für Nachbesserungen auf EU-Ebene einsetzen, was die Pflicht für elektronische Abbiegeassistenten angehe. Bisher gelte die Pflicht nicht für Bestands-LKW. „Für diese Fahrzeuge braucht es eine Lösung“, sagte Gelbhaar am Sonntag. Auch die rechtliche Möglichkeit für Deutschland, eigene Regeln dafür aufzustellen, müsse noch einmal geprüft werden. Drittens müsse dringend über eine umfangreiche Förderung für die Umrüstung solcher Fahrzeuge nachgedacht werden, so Gelbhaar.
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