Gesundheitspolitik: Ulla Schmidts "Endmoränen"
Experten sind sich uneins über die Bewertung der Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung. Das System wird sozialer, sagt Ärztevertreter Til Spiro.
Kritik von den Hausärzten, Lob von der Kassenärztlichen Vereinigung: Die Experten streiten sich derzeit auch in Bremen über die Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung.
"Ich finde es erschreckend, wie das Gesundheitssystem nach und nach entsolidarisiert wird", sagt der Vorsitzende des Bremer Hausärzteverbandes, Hans-Michael Mühlenfeld. Wichtig für ihn: Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat jenen Paragrafen, der die Krankenkassen verpflichtet, mit den Hausarzt-Verbänden Verträge über so genannte Hausarzt-Modelle abzuschließen, nicht - wie vielfach erwartet - gestrichen.
Genau dieser Punkt ist für den Vorsitzenden der Bremer Kassenärztlichen Vereinigung, den Radiologen Til Spiro, der Sündenfall schlechthin: Die bayerischen Hausärzte hatten vor der Bayern-Wahl den damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer mit dieser Forderung "erpresst", sagt Spiro. Und es werde Zeit, dass die "Endmoränen" der alten Gesundheitspolitik endlich "von den jungen Leuten aufs Altenteil geschoben werden". Jungen Leuten wie Philipp Rösler (FDP), dem designierten neuen Gesundheitsminister.
Entsolidarisierung? Genau das Gegenteil werde in Berlin derzeit verhandelt, sagt Spiro. "Mehr soziale Gerechtigkeit" werde das Ergebnis der Reform sein. Denn der für die ArbeitnehmerInnen geplante einheitliche Beitragssatz werde, so die Pläne, aus Steuermitteln für die subventioniert, die über ein geringes Einkommen verfügten. Bisher war es meist so, dass die Beiträge aller erhöht wurden, wenn das Geld nicht reichte - nur die Privatpatienten wurden nicht zusätzlich herangezogen. "Der neue Weg wäre daher der gerechtere Weg", sagt Spiro.
Auch dass die privaten Kassen in ihrer Existenz gesichert werden, findet Spiros Zustimmung. Denn ihm geht es wie vielen Fachärzten: Die Kassenpatienten - 90 Prozent der Bevölkerung - lasten die Praxis aus, aber mit den Privatpatienten verdienen die Ärzte ihr Geld. So sieht der Radiologe die "Chance auf einen guten Neubeginn" und hofft auf "frischen Wind". Nach acht Jahren Ulla Schmidt seien die Fronten verhärtet, das Misstrauen in Ärzteschaft und Bevölkerung gegen Gesundheitspolitik groß. Es sei "nicht schlecht, dass ein Arzt an der Spitze des Ministeriums steht", sagt Spiro, und Rösler habe sich zwei "ausgewiesener Gesundheitspolitiker" an seine Seite ins Ressort geholt.
Das sieht der Hausärzte-Vertreter Mühlenfeld ganz anders. Für ihn besteht das Problem des Gesundheitssystems in einem falschen Anreizsystem. Jeder Deutsche hat 18 Arztkontakte im Jahr - in England oder in den Niederlanden sind es sechs. Warum? "Im Moment müssen Ärzte möglichst viele relativ gesunde Patienten in der Praxis haben, um Geld zu verdienen." Die Arzttermine seien daher kurz - gründliche Beratung wird nicht honoriert. Gerade Privatpatienten würden gern unnötige Untersuchungen angeraten - weil das Geld bringt. Dagegen, so der Hausärztevertreter, richte sich das "Hausarzt-Modell": Die Patienten brauchen einen, der sie vor unnötigen Facharzt-Angeboten schützt.
Wenn die Gesundheitspolitiker die Fehlanreize korrigieren würden, wäre "auf Jahre genug viel Geld im System", um steigende Gesundheitskosten solidarisch auszugleichen, findet Mühlenfeld.
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