Gesundheitspolitik nach Covid: WHO verabschiedet Pandemievertrag
Mehr als 190 Länder haben den Vertrag unterschrieben, um Chaos bei einer nächsten Pandemie zu vermeiden. Wichtige Details sind noch offen.

Ein Vertrag war aus Sicht der WHO-Mitglieder nötig, weil eine ähnliche Situation wie die Corona-Pandemie zu befürchten ist. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warnt: „Die nächste Pandemie ist keine Frage des „ob“, sondern des „wann““. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was lief bei der Corona-Pandemie schief?
Als sich 2020 das Coronavirus Sars-Cov-2 von China aus in der ganzen Welt verbreitete, reagierten viele Länder mit Panik. Masken und Schutzmaterial waren knapp. Regierungen machten sich gegenseitig Bestellungen streitig, viele verhängten Ausfuhrsperren für solches Material, auch Deutschland. Als endlich Impfstoff da war, horteten Länder die Impfdosen, die USA und Indien stoppten sämtliche Ausfuhren. Und während in reichen Ländern schon die dritte Impfung verabreicht wurde, warteten Menschen in ärmeren Ländern noch auf die erste Lieferung.
Die Folgen: schätzungsweise 36 Millionen Tote weltweit – durch eine Infektion oder weil sie wegen anderer Krankheiten in der Pandemie nicht behandelt werden konnten. Die Wirtschaft brach weltweit ein, Millionen von Kleinunternehmen gingen pleite.
Was wird mit dem Vertrag anders?
Prävention: Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme und die Überwachung des Tierreichs so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden.
Lieferketten: Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll weltweit zuerst versorgt werden.
Technologietransfer: Pharmafirmen sollen ihr Know-how teilen, damit auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können.
Forschung und Entwicklung: DNA-Sequenzen von Pathogenen – also etwa Viren, Bakterien oder anderen Mikroorganismen – sollen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug sollen Impfstofffirmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben – das sogenannte Pabs-System.
Sind alle Erwartungen erfüllt worden?
Unterm Strich ja – aber in den gut dreijährigen Verhandlungen waren zahlreiche Kompromisse nötig. Europäer wollten zum Beispiel stärkere Auflagen bei der Prävention: Regierungen sollen das Krankheitsgeschehen in der Tierwelt enger überwachen, weil Erreger von dort sich an Menschen anpassen können. Ärmere Länder verwiesen auf die hohen Kosten. Die afrikanischen Länder wiederum hätten gerne strengere Auflagen im Pabs-System und beim Technologietransfer gesehen sowie klare Finanzierungshilfen zur Stärkung der Gesundheitssysteme.
Warum warnen Populisten vor dem Vertrag?
Verschwörungstheoretiker behaupten vor allem in sozialen Netzwerken, die WHO könne nun bei der nächsten Pandemie Zwangsmaßnahmen anordnen. Auch die konservative Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ haut in diese Kerbe: „Die WHO würde mit dem neuen Vertragswerk faktisch zur mächtigsten Behörde der Welt, zu einer Behörde, die über den Ausnahmezustand entscheidet“, schreibt sie.
Das ist falsch. In Artikel 22 des Pandemievertrags steht ausdrücklich, dass weder die WHO noch ihr Generaldirektor innerstaatliche Maßnahmen anordnen, Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen können. Der Vertrag gilt nur in Ländern, die ihn ratifizieren. In dem Vertrag sind keine Strafmaßnahmen vorgesehen, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Wie geht es weiter?
Die Modalitäten des Pabs-Systems wurden in einen Anhang ausgelagert, der noch ausgehandelt werden muss. Das dürfte ein weiteres Jahr dauern. Dann erst kann der Vertrag den Regierungen zur Ratifizierung vorgelegt werden. Er tritt erst in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. Die WHO hat derzeit noch 194 Mitgliedsstaaten, die USA und Argentinien haben jedoch ihren Austritt angekündigt.
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