Gesundheitsminister unterläuft Urteil: Spahn verhindert Sterbehilfe

Unheilbar Kranke, die sich mit einem Betäubungsmittel das Leben nehmen wollen, können es nicht bekommen – obwohl ein Gerichtsurteil das in Ausnahmefällen erlaubt.

Jens Spahn sitzt zufrieden im Bundestag

Spahn erkärte, sein Ministerium habe eine andere Rechtsauffassung als das Bundesverwaltungsgericht Foto: dpa

BERLIN epd | Schwerstkranke haben weiterhin keine Chance, an tödlich wirkende Medikamente zu kommen. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht geurteilt hat, dass dies in Ausnahmefällen zu ermöglichen sei, lehnt das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte entsprechende Anträge auf Weisung des Gesundheitsministeriums ab, wie die Behörde am Dienstag bestätigte. Die FDP im Bundestag will diese Praxis prüfen lassen. Patientenschützer kritisieren die unklare Rechtslage.

Ein Sprecher des Bundesamts für Arzneimittel sagte dem Evangelischen Pressedienst, dass es bisher in keinem Fall einen positiven Bescheid gegeben habe. Insgesamt seien 123 Anträge gestellt und 93 abgelehnt worden. Die übrigen befänden sich noch in der Bearbeitung. Insgesamt gehe die Zahl der Anträge zurück. Von Mai 2018 bis Ende Januar 2019 habe es nur 16 neue Ersuchen gegeben, sagte der Sprecher.

Der in Berlin erscheinende Tagesspiegel hatte über die Ablehnungen berichtet und aus internen Vermerken des Bundesgesundheitsministeriums zitiert, wonach die Behörde angewiesen wurde, keine positiven Entscheidungen zu treffen. Im zentralen Schreiben von Gesundheits-Staatssekretär Lutz Stroppe vom Juni 2018 heißt es dazu, es könne „nicht Aufgabe des Staates sein, Selbsttötungshandlungen durch behördliche, verwaltungsmäßige Erteilung von Erlaubnissen zum Erwerb des konkreten Suizidmittels aktiv zu unterstützen“.

Es wendet sich an den Behördenleiter mit der Bitte, „solche Anträge zu versagen“. Der Sprecher des Bundesamts bestätigte, bei dieser Bitte handele es sich um eine Anweisung, die die Behörde bei der Bearbeitung der Anträge berücksichtige.

Der Tagesspiegel hatte berichtet, zwar erkläre das Bundesamt offiziell, es bescheide die Anträge „stets nach sorgfältiger Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der individuellen Umstände“. Doch aus internen Unterlagen des Bundesgesundheitsministeriums, die nach Angaben des Tagesspiegels nach dem Informationsfreiheitsgesetz an die Zeitung herausgegeben werden mussten, gehe hervor, dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) selbst eine Sperre verfügt habe – ohne, dass es auf nähere Prüfungen ankommen solle.

„Rechtswidrige Hinhaltetaktik“

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr kritisierte das Vorgehen von Spahn als „rechtswidrige Hinhaltetaktik“: „93 von 123 Patienten hat das Gesundheitsministerium trotz schwerster Leiden nicht selbstbestimmt sterben lassen“, sagte die Politikerin. Die FDP will erreichen, dass das Ministerium sich an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hält und unheilbar Kranken in schwerster Notlage der Erwerb eines Betäubungsmittels für den Suizid zu ermöglichen ist. Auf Antrag der Fraktion findet dazu am Mittwoch eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags statt.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte im März 2017 letztinstanzlich entschieden, dass Schwerstkranke in einer unerträglichen Leidenssituation vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Erwerb tödlich wirkender Betäubungsmittel erhalten können. Das Bundesgesundheitsministerium steht dem Urteil jedoch kritisch gegenüber, weil es nach seiner Ansicht den Staat zur Suizidassistenz verpflichtet.

Spahn hatte dies mehrfach bekräftigt und erklärt, sein Ministerium habe eine andere Rechtsauffassung als das Bundesverwaltungsgericht. Der Minister will bevorstehende Verfahren beim Bundesverfassungsgericht abwarten, in denen das vom Bundestag 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung überprüft werden soll. Erst nachdem diese Entscheidung gefallen sei, werde er die Position des Ministeriums überprüfen, hatte Spahn erklärt.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz drängte auf eine Entscheidung des höchsten Gerichts. Danach müsse der Bundestag für Rechtsklarheit sorgen. Weder Verwaltungsbeamte noch ärztliche Kommissionen könnten bewerten, wer ein Tötungsmittel erhalten darf und wer nicht, sagte Vorstand Eugen Brysch.

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