Gesundheit: Der Krebs geht um
An der Südseite von Cloppenburg erkranken auffallend viele Menschen an Krebs. Anwohner verdächtigen eine alte Müllkippe. Das Gesundheitsamt hält weitere Untersuchungen für sinnlos.
Vom einen bis zum anderen Ende der Krapendorfer Kämpe sind es gut tausend Meter. Um die 15 Häuser stehen rechts und links des Sträßchens, das sich vom Cloppenburger Stadtrand schnurstracks nach Süden zieht. Eine ländliche Idylle zwischen Feldern und Wäldchen. Doch eine Anwohnerin war misstrauisch geworden: Krebs bei den Nachbarn links, Krebs bei den Nachbarn rechts. Es ließ ihr keine Ruhe. Sie lief die Straße ab und in die Seitenstraßen, klingelte an rund 30 Türen. Sie stellte überall dieselbe Frage und bekam häufig, viel zu häufig, dieselbe Antwort Krebs.
"Das kann kein Zufall sein", sagt Franz-Josef Hermes. Der Vorsitzende des Verkehrs- und Verschönerungsvereins für den Cloppenburger Südwesten (VVC) erinnert sich noch gut an jenen Tag vor vier Jahren, als ihm die Frau ihre Statistik präsentierte: 29 Menschen, die mit Krebs kämpften oder daran bereits gestorben waren. Fast in jedem Haus einer.
"Erst wenn wir Bürger was machen, passiert etwas", sagt Bernd Hindrichsmeyer. Der Lehrer, der sich im VVC um das Krebsproblem kümmert, ist nicht gut zu sprechen auf die Stadtverwaltung, auf den Landkreis und auf die MinisterInnen in Hannover. Ja, es hat Studien gegeben, nachdem der VVC das Thema öffentlich gemacht hat, Das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) etwa wertete die Sterbedaten im nahen Umfeld aus. Ergebnis: "Es sind in der gesamten Untersuchungsregion 1987 bis 2006 überdurchschnittlich häufig Krebssterbefälle aufgetreten." Frauen starben sogar doppelt so häufig an Krebs, wie statistisch zu erwarten gewesen wäre. Das ist umso erstaunlicher, als es normalerweise überwiegend Männer sind, die an Krebs erkranken.
Und es gab Wirbel um die Deponie. Die liegt nicht weit vom südlichen Ende der Krapendorfer Kämpe, ein Hügel, zwölf Hektar groß, seit vielen Jahren wuchert Gras darüber. Früher wurde hier Müll aus dem ganzen Landkreis gelagert. "Siedlungsabfall", unterstreicht der Landkreis noch heute. Der VVC dagegen stieß bei Recherchen auf Dokumente, die ausdrücklich die Einlagerung von mit Lindan verseuchten Futtermitteln zuließen. Wie viel davon dort landete, ist unklar - die Einlagerungsprotokolle sind verschollen. Das Vertrauen Hindrichsmeyers in die Behörden hat das nicht gerade gestärkt.
Ein Gutachten des Niedersächsischen Landesamts für Gesundheit und Arbeitsschutz (NLGA) zur Deponie stellt heraus, dass das Deponierohgas bei allen untersuchten gefährlichen Stoffen deutliche Belastungen aufwies - auch bei Stoffen, die nachweislich krebserregend sind oder als krebsfördernd gelten. Einen Zusammenhang mit den Krebserkrankungen in den Wohngebieten, die in Hauptwindrichtung der Deponie liegen, schließt die Behörde allerdings aus: die Verdünnungsrate sei zu groß. Für weitere Untersuchungen bestehe kein "sinnvoller Anhaltspunkt".
Der VVC dagegen hält das Gutachten für irreführend und fordert, es öffentlich zurückzuziehen. Das NLGA, kritisiert Hindrichsen, gehe von falschen Annahmen bei der Verdünnung der Deponiegase aus. Es ignoriere, dass sich über chemische Reaktionen im Gas neue giftige Stoffe bilden könnten. Zudem unterschätze es die Gefahr: Viele der Stoffe könnten das Immunsystem schwächen und somit das Entstehen von Krebs begünstigen. Der VVC will zudem Hinweise auf weitere seltene Immunerkrankungen im Umfeld haben.
Der Altteil der Deponie hätte, so steht es im Planfeststellungsbeschluss, schon 1981 abgedeckt und "sofort rekultiviert" werden müssen. Geschehen ist bis heute nichts. Anfang 2007 wies die Bürgerinitiative mit Fotos nach, dass die Sickerwasserrinnen regelmäßig überlaufen. Giftige Stoffe, sagt Hindrichsmeyer, könnten so in den nahen Bach gelangen - ein Zustand, der bis heute anhalte. Unter Verweis auf die hohen Kosten versuchte der Landkreis stattdessen jahrelang, die gesetzlich vorgeschriebene Abdeckung der Deponie zu verhindern. Seit ein paar Tagen sind zumindest die Planungsleistungen ausgeschrieben. Die Arbeiten selbst sollen 2012 beginnen.
Hindrichsen reicht das nicht aus. Er will die Ursache der Erkrankungen geklärt wissen, verlangt Schadstoffmessungen der Luft, des Wassers und vor allem der Bevölkerung, etwa mittels Urin- und Blutproben: "Es ist Aufgabe der Behörden, die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zu schützen." Das NLGA verweist auf 30.000 chemische Stoffe. Ohne konkrete Indizien gleiche das der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen - "nur dass wir nicht einmal wissen, ob es wirklich eine Nadel ist".
Vor zwei Wochen reichte die Initiative eine Petition im Landtag ein, 882 BürgerInnen haben unterschrieben. "Wer die Ursachen nicht erforschen will, der nimmt in Kauf, dass die Bevölkerung in Cloppenburg überproportional an Krebs erkrankt und stirbt", sagt Hindrichsmeyer.
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