piwik no script img

Gespräche mit MöchtegernintellektuellenLacrosse und des Teufels Advokat

Manche Männer geben vor, „Dinge von allen Seiten zu betrachten“. Dabei wollen sie eigentlich, dass es immer um sie selbst geht.

Macht auch kurz mundtot, aber anders als ein Advokat des Teufels Foto: Brenna Huff/Unsplash

N eulich als ich im Bett lag neben meiner angefangenen Spinat-Tiefkühlpizza, mit halboffenem Mund und komplett dumpfem Gehirn durch Twitter scrollte und irgendwas Erheiterndes suchte, blieb ich an einem Tweet hängen: „wh*te boys be like yea I played two sports in highschool, Lacrosse and Devil’s advocate“. Frei übersetzt: Weiße Jungs so: In der Schule habe ich zwei Sportarten ausgeübt, Lacrosse und den Advokat des Teufels spielen.

Ich fühlte mich durch diesen Tweet so was von zurückversetzt in die Oberstufe, als Klassen (leider nur Schulklassen) aufgelöst wurden und 70 Prozent der Elftklässler auf meinem Gymnasium plötzlich eine intellektuell anmutende, Indie-Band-liebende Persönlichkeit annahmen. Plötzlich fanden alle Helge Schneider witzig, tauschten Eastpaks gegen Umhängetaschen aus Lkw-Planen, und statt „Thirstdays“ im E-Dry zu feiern, nahmen sie an Poetry Slams in irgendwelchen Kellern teil.

Um diese Zeit herum kristallisierte sich ein besonderer Typus heraus. Der weiße, junge Mann, der in vielen Diskussionen den Advokaten des Teufels (AdT) spielen musste. Er durfte das, schließlich hatte er Jack Kerouacs „Unterwegs“ gelesen, konnte im Philosophieunterricht die Namen der Philosophen richtig aussprechen (dachte er jedenfalls) und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die „Dinge von allen Seiten“ zu beleuchten. Was klingt wie ein nobler Vorsatz, entpuppt sich recht schnell als die nervige Angewohnheit, andere Menschen auf eine fake-intellektuelle Art mundtot zu machen. Alles dreht sich nur um ihn.

Doch AdTs bleiben nicht ein Leben lang im Philosophieunterricht. Sie lassen irgendwann die Lkw-Planen-Tasche hinter sich und kaufen sich ein Lederetui für Tabak und selbstgedrehte Zigaretten oder vielleicht auch ein Vaper. Statt auf Festivals sind sie jetzt viel auf Konferenzen anzutreffen und sagen im Anschluss an jeden Vortrag zum Vortragenden (meistens zu Frauen): „Das was ich sagen will, ist nicht wirklich eine Frage, sondern eher eine Anmerkung.“ Und halten ihre spontane Anmerkung für schlauer als den lange vorbereiteten Vortrag.

Feminazis und Woody-Allen-Hasser

Advokaten des Teufels erklären dir, warum es unter Umständen okay ist, wenn sie als weißer Mann das N-Wort sagen. Und egal, was du entgegnest, du bist eh viel zu emotional für so eine rationale Unterhaltung. AdT erklären dir entgegen aller Logik und Beweise in aller Ruhe, dass Feminazis eine weltweite Zensur wollen und Woody Allen so Unrecht tun.

Ein AdT sieht sich als netten Mann, der von Frauen übersehen wird, weil diese am Ende doch den Macho-Typen wollen. Gegen Feminismus spricht doch schon die Tatsache, dass Frauen und Männer biologische Unterschiede aufweisen, die man nicht einfach negieren kann, erklären dir AdT in der Bar, weil dein AdT-Frühwarnsystem versagt hat und du dich doch auf einen eingelassen hast. Renn! Renn aus der Bar und zurück ins Bett. Jede Spinat-Tiefkühlpizza ist besser als diese Unterhaltung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anna Dushime
Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Flugs erst mal wieder mit der Definition des Advocatus Diaboli beschäftigt.

    Einen inneren AD auszuformen bedeutet einen Schutz gegen den Verlust der Objektivität wie Selbstüberschätzung oder Betriebsblindheit.

    Normal deutsch heiß das, als Frau an der Bar zwischen dem AdT links und dem Macho rechts, immer der Macho:

    Rainhard Fendrich Macho Macho 1989

    www.youtube.com/watch?v=XrPTgBtaiNc

    egal was die Zukunft bringt.

    Eine Spinatpizza im Bett ist allemal drin.

    (Pirat, hier fehlt ein uns bekannter F., also können wir nur ein Ei drüberschlagen)

  • Es werden im Prinzip alle zu AdTs die die eignen Meinung des Gegenübers nicht promoten. Das ist ggf. noch engstirniger als ein AdT zu sein.

  • Gesa Steeger , , Reporterin

    mmm

  • Witzig. Mich regen diese Klugscheißer auch auf.

  • Aus welchem Paralleluniversum kommt dieser Artikel? - in eine Zeitung mit dem Anspruch, "ein starkes linkes Korrektiv in den wichtigen Debatten unserer Zeit" zu sein?!

    • @kommentomat:

      Bedenkt man, dass das eine "Vorstufe" des allzu häufig auftetenden pseudointellektuellen Reaktionären, aka AfD Wählers/Mitglieds/Politikers ist, scheint mir der Kommentar schon relevant. Nebenbei gibt es eine Unmenge solcher Gestalten in den Untiefen des Internets. Auf YT oft ganz perfiede als Betreiber von etwas scheinbar harmloses wie einen Gamingkanal (z.B. The Quartering). Und man mag das als "Parallelwelt" betrachten, aber es suppt genug davon in die reale Welt, als dass man sich darüber Gedanken machen sollte.

      • @haldeigosh:

        Ja, das leuchtet mir ein.

  • Sehr treffender Kommentar! Diese Spezies ist besonders auch im deutschen "Qualitäts"-Journalismus anzutreffen. Und wer alles aus allen Blickwinkeln betrachten muss, kann sicher auch Indie-Musik irgendwie gut finden. Oder sich das zumindest einbilden, denn das ist wirklich nur reine Einbildung.

  • Ja ne, is klar. Probiers mal mit Vorheizen auf 200 Grad bei Unter/Oberhitze und dann so 12 min drin lassen, dann klappt's zumindest mit der Tiefkühlpizza besser.